Armut als Beleg für gescheiterte Politik

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Armut als Beleg für gescheiterte Politik

"Wir sind gezwungen, zu längst überwunden geglaubten Formen der sozialen Betreuung zurückzukehren – Suppenküchen, Obdachlosenhilfe, Spendenaktionen", stellte Silvia Steinbach, stellvertretende Landesvorsitzende des Sozial- und Wohlfahrtsverbandes Volkssolidarität in Mecklenburg-Vorpommern, am Donnerstag in Berlin fest. Das erinnere an die Gründungszeit des Verbandes nach dem 2. Weltkrieg. Ursache der heutigen Entwicklung sei die aktuelle Sozial- und Wirtschaftspolitik der Bundesregierung, so Steinbach. Sie sprach auf einer Fachtagung der Volkssolidarität zu Fragen der Armen- und Obdachlosenhilfe.

Als "politisches Scheitern" bezeichnete auf der Veranstaltung Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes, den Sozialabbau unter dem Stichwort Hartz IV sowie die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich. "Die Chancen, aus Armut wieder herauszukommen, haben abgenommen, Millionen Kinder wachsen ohne Perspektive auf – das sollte uns Angst machen." Schneider verwies unter anderem darauf, dass gegenwärtig in der Bundesrepublik jedes vierte Kind in Armut aufwächst oder davon bedroht ist. Während die Reichen immer reicher würden, werde Armut für Millionen Menschen ein Dauerzustand. "Die Politik ist gescheitert, während sie die Situation selber ganz bewusst herbeigeführt hat." Schneider wandte sich dagegen, die sozial Benachteiligten als selbstverantwortlich für ihre Situation abzustempeln.

"Ein Kind muss sich auf morgen freuen können", zitierte Eberhard Schulreich, Mitglied des Bundesvorstandes der Volkssolidarität den Pädagogen Johann Heinrich Pestalozzi. Wenn aber Millionen Kinder ohne Zukunftsperspektive aufwachsen, müssten sich die Politiker schämen. Schulreich beschrieb Projekte, mit denen der Verband versucht, Kindern und Jugendlichen aus sozial benachteiligten Familien zu helfen. Solche und andere Möglichkeiten der konkreten Hilfe für von Armut Betroffene beschäftigten die mehr als 100 Teilnehmer der Fachtagung. Es gehe nicht nur um notwendige politische Antworten zu den Ursachen der Entwicklung, sagte Marianne Linke, Vorsitzende der Arbeitsgruppe Sozialpolitik des Verbandes. "Wir müssen den Menschen das Selbstbewusstsein zurückgeben, gebraucht zu werden." Die wirksamste Armutsbekämpfung sei die soziale Integration durch eine funktionierende soziale Infrastruktur.

Zu den vorgestellten Beispielen aus der Arbeit der Volkssolidarität gehörte die Zusammenarbeit des Stadtverbandes Dresden mit der "Tafel" in der sächsischen Landeshauptstadt. Stadtvorsitzender Werner Schnuppe berichtete davon, dass inzwischen 12.000 Dresdner die Angebote der "Tafel" in Anspruch nehmen müssten. Schnuppe stellte klar: "Wir brauchen Partner, da wir nicht alles allein leisten können." Wichtig sei auch das sozialpolitische Engagement vor Ort, sich einzubringen in Gremien und Einfluss zu nehmen auf Entscheidungen. Ursula Kraus aus dem Landesverband Thüringen beschrieb die Möglichkeiten, durch Sozialberatung Folgen von Armut zu vermeiden oder zu lindern. "So können wir das Potenzial der Selbsthilfe stärken und suchen mit den Hilfebedürftigen individuelle Lösungen."

"Zu uns kommen Kinder ohne Frühstück und können nicht an Freizeitangeboten wie Theater, Schwimmen oder Ausflüge teilnehmen", berichtete Rosemarie Kiaupat aus ihrer Arbeit als Leiterin einer Kindertagesstätte der Volkssolidarität in Rostock. Die Einrichtung liege in einem Stadtteil, der als sozialer Brennpunkt gelte. Fast die Hälfte der betreuten Kinder sei von materieller Armut betroffen. Die sozialen Probleme belasteten das Selbstbewusstsein der Kinder. Die Kita versuche zu helfen und Mangelerscheinungen auszugleichen, wo es möglich sei. Neben Beispielen, wie Mitgliedergruppen der Volkssolidarität sozial Benachteiligte unterstützen, beschrieben auf der Tagung weitere Leiter und Mitarbeiter von Einrichtungen des Verbandes ihre Arbeit im Bereich der Armen- und Obdachlosenhilfe. Dazu gehörten unter anderem die Suppenküche in Potsdam, das sozial betreute Wohnen in Güstrow, der Tagestreff für Wohnungslose in Leipzig und die Essenstafel in Pößneck.

"Die Volkssolidarität fordert eine Politik, die Armut gar nicht erst entstehen lässt und die Maßnahmen einleitet gegen die sich massiv abzeichnende Altersarmut", so zu Beginn die Vize-Landesvorsitzende Steinbach. Verbandsgeschäftsführer Bernd Niederland betonte zum Tagungsabschluss, dass soziale Gerechtigkeit und Verteilungsgerechtigkeit entscheidend seien, um Armut zu vermeiden und ihre Folge zu mindern. "Es muss Schluss sein mit der Verteilung des Volkseinkommens von unten nach oben", erklärte er mit Blick auf die Wahlen in diesem Jahr. (Tilo Gräser, Volkssolidarität, 20.03.2009)

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