Wenn ein Bevollmächtigter Sozialleistungsbetrug begeht, dann ist dies dem Vollmachtgeber zuzurechnen. Das gilt sogar dann, wenn dieser eine Vollmacht erteilt hat, den Leistungsbezug abzumelden, der Bevollmächtigte dies aber nicht tut.
Eine zuvor erteilte Vollmacht sowie eine über Jahre gelebte Bevollmächtigung können außerdem auch nach Ende der Vollmacht dazu führen, dass der vorherige Vollmachtgeber für Handlungen des zuvor Bevollmächtigten haftet.
Das gilt dann, wenn der Vollmachtgeber dem von ihm gesetzten Rechtsschein nicht entgegentritt. So urteilte das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen und bestätigte damit eine Entscheidung des Sozialgerichts Hannover. (L 11 AS 330/22)
Inhaltsverzeichnis
Partner unterlässt Abmeldung beim Jobcenter
Die Betroffene, ihr Lebenspartner und ihre Tochter bezogen Grundsicherung als Bedarfsgemeinschaft. Die Anträge organisierte der Lebensgefährte.
Nach Auslaufen der Elternzeit arbeitete die Mutter wieder und bevollmächtigte den Partner, die Bedarfsgemeinschaft beim Jobcenter abzumelden, da sie ihren Lebensunterhalt selbst finanzieren konnte. Dazu gab sie dem Partner einen Briefumschlag mit Einkommensnachweisen.
Der Lebensgefährte unterließ dies jedoch, sodass das Jobcenter weiter die Leistungen bewilligte und auszahlte. Die Mutter bemerkte dies drei Monate später und sprach ihren Lebensgefährten darauf an und verlangte, dass dieser die Sache klärte.
Partner betrügt Jobcenter und Partnerin
Stattdessen leitete der Partner die Leistungen des Jobcenters auf ein anderes Konto um oder ließ sie sich als Barchecks auszahlen. Außerdem fing er den gesamten Schriftverkehr des Jobcenters ab, darunter auch eine Einladung des Jobcenters an die Betroffene zu einem Meldetermin.
Da sie nicht erschien, kürzte das Jobcenter ihre Leistungen. Zwei weitere Einladungen zum Meldetermin wies der Partner im Namen der Betroffenen ab und teilte dem Jobcenter mit, dass sie an den Gesprächen nicht teilnehmen könne.
Betroffene muss 11.000 Euro erstatten
Das Jobcenter erfuhr ein Jahr nach Aufnahme des Arbeitsverhältnisses von der Beschäftigung der Frau durch eine Mitteilung der Deutschen Rentenversicherung. Umgehend forderte die Behörde 11.000 Erstattung von der Betroffenen, die diese auch in Raten zu zahlen begann.
Lebenspartner wird wegen Sozialbetrugs verurteilt
Der Lebenspartner wurde wegen Sozialleistungsbetrug verurteilt, und die Frau trennte sich von ihm. Danach klagte sie vor dem Sozialgericht Hannover gegen die von ihr zu leistende Erstattung und begründete dies damit, dass sie von den Handlungen ihres ehemaligen Partners erst erfahren hätte,
als eine Gehaltsanfrage des Jobcenters bei ihrem Arbeitgeber eingegangen war.
Erstattung der Leistungen ist rechtmäßig
Das Sozialgericht wies die Klage ab. Die Aufhebung und Erstattung der Leistungen seien rechtmäßig gewesen. Das Handeln des Ex-Partners sei im Wege einer Anscheins- oder Duldungsvollmacht zu bewerten. Deshalb gelte hier kein Vertrauensschutz gegenüber dem Jobcenter.
Betroffene ging in Berufung
Die Betroffene ging in die Berufung, vor das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen. Sie lehnte die Annahme einer Anscheins- und Duldungsvollmacht ab. Sie hätte nicht gewusst, dass der Ex-Partner in ihrem Namen weitere Leistungen beantragt hätte, sondern sei fest davon ausgegangen, dass dies nicht der Fall gewesen sei.
Das Jobcenter hätte zudem seine pflichtgemäße Sorgfalt verletzt, da es sich durchgehend keine Kontoauszüge hätte vorlegen lassen, auf diesen sei aber das Einkommen verzeichnet gewesen.
Vollmacht nie widerrufen
Wie das Sozialgericht wies auch das Landessozialgericht die Klage ab. Die Betroffene könne sich nicht auf Vertrauensschutz berufen, da sie die Vollmacht für den Ex-Partner nie widerrufen hätte.
Vertrauensschutz bestehe nicht bei arglistiger Täuschung, Drohung oder Bestechung, und auch nicht bei vorsätzlich oder grob fahrlässigen, unrichtigen oder unvollständigen Angaben in wesentlichen Punkten.
Der Ex-Partner hätte die Beschäftigung der Betroffenen bewusst verschwiegen, um weiter Sozialleistungen zu beziehen und hätte dies in der Selbstanzeige auch zugegeben.
Der Ex-Partner handelte in Vertretung der Partnerin
Ausdrücklich hätte sie ihren Ex-Partner beauftragt, die erforderlichen Angaben beim Jobcenter zu machen und die Familie abzumelden. Selbst als ihr der fortgesetzte Leistungsbezug aufgefallen sei, hätte sie den Ex-Partner gebeten, dies mit dem Jobcenter zu klären. Der Ex-Partner hätte also mit Vertretungsmacht gehandelt.
Eine Anscheinsvollmacht lag vor
Nachdem die Betroffene von einem Ende des Leistungsbezugs ausgegangen sei (weil der Ex-Partner die Zahlungen umleitete und den Schriftverkehr abfing), hätte der Ex-Partner zwar nicht mehr mit Vertretungsmacht gehandelt.
Doch es hätte eine Anscheinsvollmacht vorgelegen. Der Ex-Partner hätte zwar keine Vollmacht mehr gehabt, als Vertreter gegenüber dem Jobcenter aufzutreten, da die Betroffene die aber die erteilte Vollmacht nicht (für Äußere ersichtlich) widerrufen hätte, blieb diese anscheinend bestehen.
Das Gericht führte aus: „Wer den Rechtsschein dazu setzt, dass ein anderer für ihn wie ein Vertreter auftritt, muss sich nach den Grundsätzen der Anscheinsvollmacht dessen Verhalten zurechnen lassen, auch wenn er keinen Bevollmächtigungswillen (mehr) hatte (BSG, Urteil vom 8. Dezember 2020 – B 4 AS 46/20 R, Rn. 26 m.w.N.).“
Fazit
Leidtragende ist die Frau, die ihrem damaligen Lebensgefährten zum Opfer fiel, der ebenso sie, wie das Jobcenter betrog. Dass sie selbst gänzlich unschuldig an dessen kriminellen Handlungen ist, erspart ihr jedoch nicht, die Leistungen zu erstatten, die die Behörde aufgrund der Täuschung des Lebensgefährten zurückforderte.
Denn bei einer Vollmacht handelt es sich auch um ein betrügerischen Vertreter im Namen dessen, der die Vollmacht gegeben hat. Auf Vertrauensschutz gegenüber der Behörde konnte sie sich nicht berufen, da das Verhalten des Lebensgefährten diesen aufgehoben hatte.
Nicht das Jobcenter, sondern der Partner missbrauchte ihr Vertrauen.