Die Regelleistungen bei Hartz IV (heutiges Bürgergeld) waren 2021/2022 für alle Bürgergeldempfänger zu niedrig. Das menschenwürdige Existenzminimum war demnach nicht gewährleistet.
Der § 73 SGB II ist voraussichtlich verfassungswidrig, denn in den Jahren 2021/2022 war das menschenwürdige Existenzminimum für Bürgergeldempfänger nicht gewährleistet. So aktuell verkündet von der 12. Kammer des Sozialgerichts Karlsruhe mit heutigem Tage (SG Karlsruhe, Urteil vom 28.08.2024 – Az: S 12 AS 2069/22 –)
Denn:
1. weil die Einmalbeträge von (150,- € bzw.) 200,- € zu niedrig waren,
2. diese zu spät gezahlt wurden,
3. entgegen verfassungsgerichtlich erkannter Vorgaben für die Regelbedarfsermittlung ins Blaue hinein geschätzt worden waren
4. und sie wurden in verfassungswidriger Weise erst (im Mai 2021 bzw.) im Juli 2022 bzw. für die Vergangenheit überwiesen, sodass sie nicht gegenwärtig, sondern zu spät zur Verfügung standen.
Das Verfahren wird nun ausgesetzt, bis das Bundessverfassungsgericht im Normkontrollverfahren 1 BvL 2/23 entschieden hat, ob §§ 70, 73 des SGB II mit dem Grundrecht auf die Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums und dem Allgemeinen Gleichheitssatz vereinbar sind).
Auch wichtig:
Gesetzgeber hat seine verfassungskräftige Pflicht zum Grundrechtsschutz verletzt
Das menschenwürdige Existenzminimum war für Bürgergeldempfänger in 2021/2022 nicht gewährleistet, so das Gericht.
Denn das Grundrecht auf Gewährleistung des menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 i. V. m. Art. 20 Abs. 3 GG ist in den Jahren 2021 und 2022 nicht verfassungskonform gewährleistet und der allgemeine Gleichheitsgrundsatz aus Art. 3 Abs. 1 GG verletzt worden.
Einmalzahlung beim Bürgergeld war nicht ausreichend, so die Richter der 12. Kammer
Die in eingeführten Einmalzahlungen genügten aber nicht, um jene Mehraufwendungen in verfassungskonformer zu decken, welche anlässlich der COVID-19-Pandemie sowie wegen kriegsbedingter Preissteigerungen unabweisbar wurden.
Denn
1. Die Einmalbeträge von (150,- € bzw.) 200,- € waren zu niedrig bemessen, um das Existenzminimum zu sichern (SG Karlsruhe, 06.06.2022, S 12 AS 2208/22, ).
2. Die Höhe der Einmalbeträge ist entgegen verfassungsgerichtlich erkannter Vorgaben für die Regelbedarfsermittlung ins Blaue hinein geschätzt worden (SG Karlsruhe, 06.06.2022, S 12 AS 2208/22 ).
3. Die Einmalbeträge wurden in verfassungswidriger Weise erst (im Mai 2021 bzw.) im Juli 2022 bzw. für die Vergangenheit überwiesen, sodass sie nicht gegenwärtig, sondern zu spät zur Verfügung standen (SG Karlsruhe, 06.06.2022,).
4. Es stellte eine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung dar, dass diejenigen Leistungsempfänger leer ausgingen, die zufällig nicht auch im Mai 2021 bzw. Juli 2022 im Leistungsbezug standen (SG Karlsruhe, 06.06.2022, S 12 AS 2208/22).
Einen Einzelfall im Sinne des § 21 Abs. 6 SGB II stellten jeweils
- die unvorhergesehene COVID-19-Pandemie,
- der nachfolgende Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine und
- die durch das Zusammenwirken von beidem resultierende trabende Inflation
dar.
Leitsätze Gericht
1. Gegenüber § 21 Abs. 6 SGB II stellen §§ 70, 73 SGB II abschließende Sonderregelungen dar.
2. Eine von §§ 19, 20, 21 Abs. 6 SGB II ergänzend zu deckende atypische Bedarfslage war nach den Grundsätzen der verfassungskonformen Auslegung in 2021 und 2022 gegeben.
3. Der Regelungszusammenhang aus § 21 Abs. 6 SGB II und § 20 SGB II ist dahingehend verfassungskonform so auszulegen, dass die Formulierung „unabweisbarer Bedarf“ so verstanden wird, dass ab 01.01.2021 bis 31.12.2022 jene inflationsbedingten Mehrbedarfe von § 21 Abs. 6 SGB II erfasst werden, die bei der letztmaligen EVS 2018 und der ihr zufolge festgesetzten Regelbedarfsleistungshöhe nach § 20 SGB II noch unberücksichtigt geblieben sind.
4. Der Regelungszusammenhang aus § 21 Abs. 6 SGB II und § 20 SGB II ist in Bezug auf die Mehraufwendungen durch die 2021 bis 2022 trabende Inflation verfassungskonform anlassbezogen dergestalt auszulegen, dass die historisch nahezu einmaligen Preissteigerungen als „Einzelfall“ einer plötzlichen Überholung der Regelbedarfssätze aus § 20 SGB II durch singuläre Ereignisse – Pandemie und Krieg – angesehen werden.
Mit heutigem Tage hat die 12. Kammer des SG Karlsruhe bekannt gegeben, dass § 73 SGB II wohl möglich verfassungswidrig sei. SG Karlsruhe, Urteil vom 28.08.2024 – S 12 AS 2069/22 –
Das Verfahren S 12 AS 2069/22 wird ausgesetzt, bis das Bundessverfassungsgericht im Normkontrollverfahren 1 BvL 2/23 entschieden hat (, ob §§ 70, 73 des SGB II mit dem Grundrecht auf die Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums und dem Allgemeinen Gleichheitssatz vereinbar sind).
Anmerkung Detlef Brock
BVerfG 1. Senat 2. Kammer, Kammerbeschluss vom 19.Juli 2024 , Az: 1 BvL 2/23
Unzulässige Richtervorlage zur Verfassungsmäßigkeit der im Mai 2021 und Juli 2022 für Empfänger von Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II ausgezahlten Einmalleistungen zum Ausgleich von pandemiebedingten Mehraufwendungen (Link). Somit musste das Sozialgericht Karlsruhe in der Sache neu entscheiden, da das BVerfG bereits entschieden hat!
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Detlef Brock ist Redakteur bei Gegen-Hartz.de und beim Sozialverein Tacheles e.V. Bekannt ist er aus dem Sozialticker und später aus dem Forum von Tacheles unter dem Namen “Willi2”. Er erstellt einmal wöchentlich den Rechtsticker bei Tacheles. Sein Wissen zum Sozialrecht hat er sich autodidaktisch seit nunmehr 17 Jahren angeeignet.