Schwerbehinderung: Urlaubsanspruch entfällt bei fehlender Mitwirkung

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Zusatzurlaub gemäß § 208 Abs. 1 SGB IX steht schwerbehinderten Arbeitnehmern zu und dient als besondere Form des Arbeitnehmerschutzes. Voraussetzung für den Anspruch ist eine anerkannte Schwerbehinderung mit einem Grad der Behinderung (GdB) von mindestens 50.

Dieser Zusatzurlaub hängt von der Anzahl der Wochenarbeitstage ab. Pro Arbeitstag erhält man einen Urlaubstag. Der Anspruch entsteht objektiv mit Vorliegen der Schwerbehinderung und ist nicht an die Kenntnis des Arbeitgebers gebunden.

Die Rolle des Arbeitgebers: Mitwirkungs- und Hinweisobliegenheiten

Arbeitgeber sind verpflichtet, ihre Arbeitnehmer rechtzeitig über den Urlaub zu informieren und sie zur Inanspruchnahme aufzufordern. Diese Pflichten gelten auch für den Zusatzurlaub für schwerbehinderte Menschen.

Informationspflichten im Detail

Der Arbeitgeber muss transparent darlegen, dass nicht genommener Urlaub verfallen kann. Arbeitnehmer sind explizit aufzufordern, ihren Urlaub rechtzeitig zu beantragen und zu nutzen. Unterlässt der Arbeitgeber diese Pflichten, verfällt der Urlaubsanspruch in der Regel nicht.

Diese Obliegenheiten gelten auch rückwirkend, wenn die Schwerbehinderung später anerkannt wird. Entscheidend ist, ob der Arbeitgeber zum Zeitpunkt der Mitteilung über die Schwerbehinderung angemessen reagiert hat.

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Urteilsanalyse: BAG 9 AZR 367/21 vom 26. April 2022

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) entschied über einen Fall, in dem ein schwerbehinderter Arbeitnehmer Zusatzurlaub aus den Jahren 2017 und 2018 geltend machte. Der Arbeitgeber hatte die Gewährung des Urlaubs mit Verweis auf dessen Verfall abgelehnt.

Sachverhalt

Der Arbeitnehmer beantragte 2017 die Anerkennung seiner Schwerbehinderung, welche zunächst abgelehnt wurde. Erst 2019 wurde die Schwerbehinderung rückwirkend ab August 2017 anerkannt. Der Zusatzurlaub für 2017 und 2018 war vom Arbeitnehmer 2019 eingefordert worden.

Der Arbeitgeber argumentierte, dass der Anspruch auf Zusatzurlaub verfallen sei, da er bis zur Anerkennung keine Kenntnis von der Schwerbehinderung hatte.

Entscheidung des Gerichts

Das Gericht entschied differenziert: Der Anspruch auf Zusatzurlaub aus dem Jahr 2017 bestand weiterhin, da der Arbeitgeber seine Mitwirkungs- und Hinweisobliegenheiten nicht erfüllt hatte. Ohne ausreichende Information des Arbeitnehmers konnte der Urlaub nicht verfallen.

Der Anspruch auf Zusatzurlaub aus dem Jahr 2018 hingegen war verfallen, da der Arbeitnehmer seine Obliegenheit, den Arbeitgeber über den Verlauf des Widerspruchsverfahrens zu informieren, nicht erfüllt hatte.

Rechtsgrundlagen

§ 7 Abs. 3 BUrlG: Dieser regelt die Verfallfristen für gesetzlichen Urlaub und gilt auch für Zusatzurlaub.
§ 125 Abs. 1 SGB IX (a.F.) und § 208 Abs. 1 SGB IX: Diese Bestimmungen legen fest, dass der Zusatzurlaub mit der Schwerbehinderung objektiv entsteht, unabhängig von der behördlichen Feststellung.

Die Bedeutung von Mitwirkungsobliegenheiten und Arbeitnehmerpflichten

Das Urteil hebt hervor, dass beide Parteien ihre Verpflichtungen erfüllen müssen. Der Arbeitgeber ist verpflichtet, aktiv über Urlaubsansprüche zu informieren und die Inanspruchnahme zu initiieren. Auch bei Ungewissheit über den Ausgang eines Feststellungsverfahrens hat der Arbeitgeber die Möglichkeit, Urlaubsansprüche vorläufig zu gewähren.

Arbeitnehmer müssen ihrerseits den Arbeitgeber über laufende Verfahren und deren Entwicklungen informieren. Ohne ausreichende Mitteilung kann der Arbeitnehmer den Zusatzurlaub nach Verstreichen der Frist nicht mehr geltend machen.

Praktische Implikationen für Unternehmen

Arbeitgeber sollten dokumentierte Prozesse für die Urlaubsverwaltung etablieren, durch die Information und Aufforderung zur Urlaubsnahme schriftlich erfolgen.

Es gilt, auf mögliche Ansprüche zu achten und auch vor Abschluss eines Anerkennungsverfahrens Vorsichtsmaßnahmen zu ergreifen.

Konsequenzen für Arbeitnehmer

Arbeitnehmer sollten ihren Arbeitgeber rechtzeitig über relevante Entwicklungen im Feststellungsverfahren informieren und ihre Ansprüche klar und frühzeitig kommunizieren. Der Zusatzurlaub sollte frühzeitig und nachweisbar beantragt werden.