Bürgergeld: Anspruch 200 Euro für Sofa vom Jobcenter

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Ein Sofa, das durch einen Bettwanzenbefall gänzlich unbrauchbar wird – klingt zunächst nach einer Randerscheinung, ist jedoch ein durchaus praxisrelevanter Fall für Bürgergeldbeziehende.

Das Landessozialgericht (LSG) Hamburg entschied im April 2024, dass in einer solchen Situation ein Anspruch auf Kostenübernahme der Neuanschaffung bestehen kann.

Dabei setzten die Richterinnen und Richter eine Summe von 200 Euro fest. Das Urteil verdeutlicht, wie eng der rechtliche Spielraum bei der Erstausstattung für Bezieherinnen und Bezieher von Bürgergeld ist und welche Punkte das Jobcenter dabei beachten muss.

Warum ging es in dem Verfahren um Erstausstattung und nicht um Ersatzanschaffung?

Zentraler Streitpunkt war die Frage, ob das Sofa – nachdem es wegen Bettwanzenbefall entsorgt werden musste – noch zur Erstausstattung zählte oder als eine gewöhnliche Ersatzbeschaffung gewertet werden sollte.

Grundsätzlich handelt es sich bei Erstausstattungen um einmalige Leistungen, die Beziehenden von Bürgergeld nach § 24 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1, Satz 2 SGB II zustehen können, wenn sie beispielsweise erstmals oder nach einem notwendigen Umzug eine gewisse Grundausstattung benötigen.

Üblich ist, dass das Jobcenter bei solchen Anträgen eine Pauschale aus seinen Fachanweisungen heranzieht.

Im entschiedenen Fall hatte das zuständige Jobcenter den Antrag der Klägerinnen und Kläger anfänglich komplett abgelehnt.

Es argumentierte, das Sofa sei schließlich bereits vorhanden gewesen, so dass ein Ersatzbedarf – nicht aber ein neu zu deckender Erstausstattungsbedarf – vorläge. Nach rechtlichen Hinweisen des LSG erkannte das Jobcenter dann zumindest eine Pauschale in Höhe von 115 Euro an. Die Klägerinnen und Kläger hielten dies jedoch für zu wenig, da sie tatsächlich einen neuwertigen Ersatz benötigten, um die Familie (vier Personen) angemessen unterzubringen.

Fachanweisungen des Jobcenters

Das Jobcenter stützte sich auf seine Fachanweisungen, die festlegen, welche Pauschalen bei Erstausstattungen zugrunde zu legen sind. Laut diesen Dokumenten lag die Summe für ein Sofa bei 115 Euro – unabhängig davon, ob eine Person oder mehrere Personen im Haushalt leben.

Das LSG Hamburg stellte jedoch klar, dass die in den Fachanweisungen festgelegte Pauschale einer strengen Prüfung standhalten muss. Gemäß § 24 Abs. 3 Satz 6 SGB II sind für die Bemessung der Beträge „geeignete Angaben über die erforderlichen Aufwendungen und nachvollziehbare Erfahrungswerte“ zu berücksichtigen.

Im konkreten Fall sah das Gericht diese Vorgabe als nicht erfüllt an: Die festgesetzten Beträge berücksichtigten weder die Haushaltsgröße (hier: vier Personen) noch die Preisentwicklung seit dem Jahr 2015.

Weshalb konnten die Klägerinnen und Kläger den Gebrauchtmarkt nicht nutzen?

Immer wieder verweisen Jobcenter in solchen Prozessen auf gebrauchte Möbel, die erfahrungsgemäß deutlich günstiger zu erwerben sind als Neuware. Das LSG Hamburg räumte zwar ein, dass Bezieherinnen und Bezieher von Bürgergeld grundsätzlich auf Gebrauchtmöbel verwiesen werden dürfen.

Allerdings gehe diese Argumentation dann fehl, wenn der Gebrauchtmarkt für ein bestimmtes Möbelstück nur schwer einzuschätzen sei oder zu wenig kalkulierbare Angebote vorlägen.

Das Gericht stellte fest, dass sich für Sofas auf dem Gebrauchtmarkt kein „empirisch hinreichend abgesicherter Betrag“ zuverlässig ermitteln lasse.

Zum einen schwanken die Preise stark; zum anderen ist das Angebot, etwa in Sozialkaufhäusern, abhängig von den aktuell eingehenden Spenden. Es könne daher nicht erwartet werden, dass zu jeder Zeit ein passendes Sofa gleichermaßen erhältlich sei – erst recht nicht für einen Vierpersonenhaushalt.

Warum entschied das LSG schließlich auf eine Pauschale von 200 Euro?

Im Rahmen seiner eigenen Internetrecherche kam das LSG Hamburg zu dem Ergebnis, dass ein günstiges Dreiersofaregulär schon mit rund 200 Euro zu veranschlagen sei.

Eine Pauschale unterhalb dieser Grenze würde nach Auffassung der Hamburger Richterinnen und Richter den realen Marktverhältnissen nicht gerecht. Zudem sei anzunehmen, dass ein Vierpersonenhaushalt ein Sofa von entsprechender Größe benötige, was zwangsläufig höhere Kosten verursache.

Damit folgte das LSG teilweise dem Wunsch der Klägerinnen und Kläger, die ursprünglich 450 Euro gefordert hatten, kam aber auf eine Summe, die nach seiner Einschätzung dem untersten preislichen Limit für eine angemessene Qualität entspricht.

Welche Auswirkungen hat das Urteil auf andere Bürgergeldbeziehende?

Das Urteil verdeutlicht eine wichtige Leitlinie: Bürgergeldbeziehende haben durchaus einen Anspruch darauf, dass sich die Behörden an realen Marktpreisen orientieren, wenn es um die Erstausstattung geht.

Pauschalbeträge aus den Fachanweisungen, die schon länger nicht an die Preisentwicklung angepasst wurden oder die Besonderheiten der jeweiligen Haushaltssituation ignorieren, können demnach zu niedrig sein.

Für andere Verfahren, in denen ein notwendig gewordenes Möbelstück ersetzt werden muss, lassen sich aus diesem Urteil folgende Schlussfolgerungen ableiten:

  1. Prüfung der Haushaltsgröße und Lebensumstände: Ob eine bestimmte Pauschale angemessen ist, hängt oft auch von der Größe und Konstellation des Haushalts ab.
  2. Berücksichtigung der Marktpreise: Im Zweifel muss das Jobcenter zeigen, dass es seinen Pauschalbetrag mithilfe aktueller Erfahrungswerte und Preiserhebungen begründet hat.
  3. Einzelfallprüfung statt Schablonendenken: Ist es auf dem örtlichen Gebrauchtmarkt nicht möglich, das benötigte Möbelstück verlässlich zu bekommen, muss dies berücksichtigt werden.

Was bedeutet das Urteil für die Zukunft der Erstausstattungsleistungen?

Die Frage, ob eine Leistung als Erstausstattung oder als Ersatzbeschaffung zu qualifizieren ist, wird die Sozialgerichtsbarkeit voraussichtlich weiter beschäftigen.

Zwar hat das LSG Hamburg klargestellt, dass bestimmte Ausnahmefälle – wie etwa ein Totalschaden durch Bettwanzenbefall – einen Anspruch auf Erstausstattung rechtfertigen.

Dennoch dürfte es in der Praxis auch künftig Fälle geben, in denen Jobcenter und Leistungsbeziehende uneins über die Einstufung und die Höhe der Pauschale sind.

Das Urteil setzt jedoch ein Zeichen, dass Pauschalbeträge regelmäßig überprüft und an die Preisentwicklung angepasst werden müssen. Mit Blick auf inflationäre Tendenzen in verschiedenen Lebensbereichen wächst der Druck auf die Behörden, ihre Richtlinien laufend zu aktualisieren und auf die individuelle Situation der Leistungsbeziehenden einzugehen.