Schwerbehinderte müssen Führerschein umtauschen und erneute Prüfung durchstehen

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Bis 2033 müssen alte Führerscheine umgetauscht werden. Viele Menschen mit einer Schwerbehinderung sehen sich dabei enormen Schwierigkeiten ausgesetzt. Handelt es sich dabei um Schikanen? Handelt es sich um Diskriminierung?

Es geht um das neue Kartenformat

Es geht um den Umtausch des alten Führerscheins in das neue Kartenformat. Dabei handelt es sich eigentlich nur um einen reinen Verwaltungsakt, und nicht um eine inhaltliche Änderung. Trotzdem mussten manche Menschen mit Behinderungen Nachteile erleiden. Zu diesen zählen Mehrkosten ebenso wie zusätzliche Prüfungen.

Gutachten wegen Gehbehinderung

Dieser Fall hat es in sich: Ein Mann aus Tübingen mit einer Beinprothese hat aufgrund seiner Gehbehinderung einen besonderen Führerschein. Als er jetzt den Umtausch seines alten Führerscheins beantragte, erlebte er eine böse Überraschung.

Statt ihm den inhaltlich gleichen Führerschein jetzt im Kartenformat auszuhändigen, verlangte das Landratsamt „ein Gutachten eines amtlich anerkannten Sachverständigen oder Prüfers für den Kraftfahrzeugverkehr (Fahrprobe).“

Der Betroffene sieht hier eine deutliche Diskriminierung, denn auf der Webseite desselben Landratsamtes steht für das Aushändigen des neuen Führerscheins sei “die Vorlage des alten Führerscheins, eines gültigen Ausweisdokuments sowie ein aktuelles biometrisches Lichtbild erforderlich”.

Auch ist kein Fall bekannt, in dem dieses Landratsamt von einem Menschen ohne Behinderung ein ähnliches Gutachten verlangt hätte, wenn dieser lediglich verwaltungstechnisch seinen gültigen Führerschein umtauschen wollte.

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Wozu dient das ärztliche Gutachten?

Um sicher zu sein, ob eine körperliche oder geistige Behinderung die Fahrtauglichkeit für einen Führerschein beeinträchtigt, wird gewöhnlich ein ärztliches Gutachten erstellt. Verantwortlich ist am besten ein Verkehrmediziner, der die Auswirkungen einer Behinderung auf die Fahrtüchtigkeit bewertet.

Bei bestimmten Behinderungen wie durch Multiple Sklerose oder einen Schlaganfall ist außerdem oft ein medizinisch-psychologisches Gutachten notwendig, um die kognitiven Fähigkeiten zu beurteilen. Im Führerschein des jeweiligen Menschen mit Behinderung werden nach der Prüfung entsprechende Auflagen und Beschränkungen eingetragen.

Generell ist aber der Pflichtumtausch eines Führerscheins in ein anderes Format weder mit einer Gesundheitsprüfung noch mit anderen inhaltlichen Auflagen verbunden.

Fahrlehrer sieht Diskriminierung

Der Fahrlehrer Uwe Thiele leitete eine Fahrschule und Beratungsstelle für Menschen mit Handicap im Kreis Calw. Er bezeichnet das Vorgehen des Landratsamtes gegen den Führerscheininhaber mit Gehbehinderung als klaren Fall von Diskriminierung. Solche Fälle hätte er schon oft erlebt, zitiert ihn der SWR. Zwar würde gesagt, der Umtausch des Führerscheins sei einfach, doch für viele Menschen mit Behinderung stimme das nicht.

Menschen mit Behinderungen 20mal so viel für den neuen Führerschein

In diesen Fällen kommen auf die Menschen mit Behinderung um ein Vielfaches höhere Kosten zu als für Menschen ohne Behinderung. Fahrlehrer Thiele erläutert, dass ein TÜV-Gutachten plus medizinischem Gutachten plus Fahrschule 500,00 Euro und mehr Kosten verursachen könnten.

Der reine Umtausch in ein Kartenformat liegt bei 26,50 Euro.

Was sagt das Landratsamt?

Das Landratsamt sagt zu dem Vorfall, dass für den „reinen Umtausch müssen auch Menschen mit beispielsweise körperlichen Beeinträchtigungen grundsätzlich keine erneuten Gutachten oder sonstigen Nachweise vorlegen“ müssten.

Es ginge lediglich um Einzelfälle, in denen Auflagen und Beschränkungen angeordnet seien. Diese müssten in manchen Fällen neu durch den TÜV geprüft werden, um in die modernen EU-Kartenführerscheine übernommen werden zu können.

Jost Kärger, Jurist beim ADAC, erklärt, dass regelmäßige Gutachten bei einer Führerscheinbesitzern vorgeschrieben seien – unabhängig vom Umtausch in ein Kartenformat. Das gelte besonders bei Erkrankungen wie Diabetes und Multipler Sklerose, die sich verändern. Dann müsste die Fahrtüchtigkeit geprüft werden.

Was sagen Verbände von Mensch mit Behinderung?

Jutta Pagel-Steidl, die Geschäftsführerin beim Landesverband für Menschen mit Körper-und Mehrfachbehinderung Baden-Württemberg, hält solche regelmäßigen Prüfungen grundsätzlich für richtig und sieht dann auch keine Diskriminierung.

Für die Verkehrssicherheit sei es zum Beispiel nötig, Erkrankungen der Augen, die sich mit dem Alter verschlechtern, regelmäßig zu prüfen. Auch bei einem Umtausch des Führerscheins sei eine Neuprüfung an gebracht, wenn im alten Führerschein seinerzeit geprüfte Beschränkungen notiert seien.

Sie sieht es also nicht als Diskriminierung, dass Menschen mit entsprechenden Behinderungen auf ihre Fahrtauglichkeit geprüft werden. Pagel-Steidl betrachtet es hingegen als unfair, dass Menschen ohne Behinderung nicht geprüft werden, obwohl sich auch bei ihnen im Alter das Sehen, Hören und die Reaktionsfähigkeit verschlechtert.

Sie schließt: „Wir Menschen mit Behinderung haben schon immer die Arschkarte gezogen.“