Bürgergeld am Ende: Die neue Grundsicherung wird knallhart

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Immer mehr Menschen fürchten den drohenden Kurswechsel in der Arbeitsmarktpolitik. Die künftige „Grundsicherung für Arbeitssuchende“ soll nach aktuellen Entwürfen strenger werden als frühere Modelle. Wer seinen Job verliert, wird damit wohl rasch die volle Härte des Systems spüren. Bereits das „Bürgergeld“, das seit 2023 Hartz IV ablöste, galt als unzureichend für den Lebensunterhalt vieler Menschen.

Nun plant die nächste Regierung, bestehend aus Union und SPD, eine erneute Reform. Betroffene sehen höhere Hürden, weniger finanziellen Spielraum und strengere Kontrollen auf sich zukommen. Dieser Beitrag fasst die zentralen Punkte zusammen und zeigt, welche Folgen diese Verschärfung für Arbeitssuchende mit sich bringt.

Rückblick: Von Hartz IV zum Bürgergeld

Hartz IV bestand seit 2005 und wurde immer wieder als unsozial und unangemessen kritisiert. Kritiker nannten die Regelsätze zu niedrig und bemängelten starre Sanktionsmechanismen. Die Ampel-Koalition plante darum ein Bürgergeld, das im Januar 2023 startete und einige Erleichterungen brachte.

Die Karenzzeit für Vermögen schützte Rücklagen, während Wohnkosten anfangs unangetastet blieben. Auch die Beratung sollte individueller gestaltet werden.

Diese Neuerungen überzeugten jedoch nicht alle politischen Kräfte. Die Opposition kritisierte das Bürgergeld als „Leistung ohne Gegenleistung“. Sie befürchtete, Arbeitssuchende könnten seltener Motivation finden, zügig in den Arbeitsmarkt zurückzukehren.

Die Koalitionspartner Union und SPD arbeiten nun an einer Reform, die härter als alle Vorgängermodelle erscheinen soll. Dieser Richtungswechsel bereitet Sozialverbänden und Menschenrechtsorganisationen große Sorgen.

Neue Grundsicherung: Ein Schritt zurück?

Der geplante Name „Grundsicherung für Arbeitssuchende“ ersetzt das Bürgergeld – formal nur eine sprachliche Änderung, praktisch jedoch viel mehr. Union und SPD setzen auf eine Philosophie strenger Pflichten. Menschen sollen sich aktiv um Anstellungen bemühen und die Vermittlung vonseiten der Behörden annehmen.

Dies erinnert stark an Hartz IV-Zeiten, in denen Pflichten höher gewichtet wurden als Förderung. Beobachter sprechen von einem harten Kurs, der die bisherige Sozialreform teilweise rückgängig macht.

Konsequenz für Arbeitssuchende

Viele Betroffene fürchten, dass diese neue Grundsicherung keine Verbesserung darstellt, sondern eine Verschärfung. Sie vermuten, die politischen Initiatoren wollten die Einsparungen im Sozialsystem erhöhen. Wer unmittelbar seinen Job verliert, sieht sich jetzt mit strengeren Vorgaben konfrontiert.

So soll die Karenzzeit bei Vermögen entfallen. Ebenfalls möchte die Koalition die bisherige Übergangsfrist bei Wohnkosten streichen. Das schafft Unsicherheit und erhöht den Druck, rasch eine neue Stelle zu finden.

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Verschärfte Sanktionen: Kommt die 100-Prozent-Kürzung?

Die schärfsten Diskussionen drehen sich um mögliche Leistungskürzungen. Das Bundesverfassungsgericht hat 2019 klargestellt, dass Kürzungen von mehr als 30 Prozent unverhältnismäßig seien. Union und SPD wollen offenbar trotzdem eine Regelung verankern, die bei „wiederholter Pflichtverletzung“ einen vollständigen Leistungsentzug erlaubt.

Bis heute ist nicht klar, wie sie das oberste Gericht damit zufriedenstellen wollen. Rechtswissenschaftler sehen hier erheblichen Konfliktstoff.

Warum Sanktionen?

Das Grundprinzip lautet: „Fördern und Fordern.“ Befürworter betonen, dass Arbeitslose sich aktiver bewerben sollen, um schnell Anschluss in den Arbeitsmarkt zu finden. Gegner kritisieren dagegen den harten Ton und die komplette Streichung des Lebensunterhalts.

Ein Praxisbeispiel zeigt die Tragweite: Eine alleinstehende Person, die zweimal zumutbare Stellen abgelehnt hat, könnte ohne finanzielle Mittel dastehen. Dieser Zustand macht kaum eine zügige Integration in den Arbeitsmarkt wahrscheinlicher, sondern erhöht das Risiko dauerhafter Ausgrenzung.

Wegfall der Karenzzeit: Weniger Schutz bei Vermögen und Wohnung

Unter dem Bürgergeld galten Karenzzeiten sowohl für Vermögenswerte als auch für Wohnkosten. In den ersten Monaten nach Eintritt der Arbeitslosigkeit prüften Jobcenter nicht sofort, ob Geldreserven oder die Wohnung „zu groß“ waren. Diese Phase sollte die Menschen entlasten und Zeit geben, ihre finanzielle Lage zu klären.

Nach dem geplanten Modell entfällt dieser Aufschub. Wer Unterstützung beantragt, muss Vermögen direkt offenlegen und riskiert eine Kürzung der Leistungen, wenn bestimmte Freibeträge überschritten werden.

Streitpunkt „Lebensleistung“

Die Reform will das Schonvermögen an die „Lebensleistung“ koppeln. Dabei ist unklar, wie Behörden diesen Begriff genau definieren und bewerten. Liegt die Grenze bei mehreren Tausend Euro oder nur in Höhe des Existenzminimums? Eine Richtschnur fehlt bislang.

Gegner dieser Regelungen kritisieren die Unsicherheit für Betroffene. Insbesondere ältere Arbeitnehmer, die über Jahre gespart haben, könnten innerhalb weniger Wochen Teile ihres Eigentums verwerten müssen. Auch Familien mit selbst genutztem Wohneigentum sehen sich neuen Risiken ausgesetzt.

Wohnraumfrage: Neue Bleibe bei hohen Kosten?

Bislang durften Bürgergeld-Empfänger ihre Wohnsituation in den ersten Monaten nach Antragstellung behalten, auch wenn die Miete vergleichsweise hoch lag. Die geplante Grundsicherung streicht diese Karenzzeit bei überhöhten Kosten. Menschen, die plötzlich ihren Job verlieren, müssen sich somit zeitnah um einen billigeren Wohnraum kümmern.

Das verursacht Stress und Unsicherheit. Immobilienexperten halten es außerdem für unrealistisch, in kurzer Frist passenden Ersatz zu finden, zumal der Wohnungsmarkt in vielen Ballungsräumen leergefegt ist. Wer in ländlichen Gebieten lebt, kennt dagegen das Problem langer Pendelwege.

So könnte ein erzwungener Umzug zu neuen Belastungen führen, etwa durch Fahrtkosten oder mangelnde Kinderbetreuung vor Ort.

Neue Regelsätze: Teuerung bleibt unberücksichtigt

Ein weiteres Problem ist die Anpassung der Regelsätze. Die geplante Reform soll sich zwar an Preis- und Lohnentwicklungen orientieren. Gleichzeitig wollen die Initiatoren jedoch den Zeitraum der Pandemie nicht einbeziehen, als die Inflation spürbar anstieg.

Die Teuerung hätte also kaum Einfluss auf die Berechnung künftiger Leistungen. Wer heute für den täglichen Bedarf deutlich mehr zahlt als noch vor drei Jahren, profitiert wenig von der gestaffelten Anpassung. Diese Lücke trifft besonders Alleinerziehende und Personen mit niedrigem Bildungsabschluss, die häufig nur befristete Jobs finden.

Sozialverbände kritisieren den Verzicht auf zeitnahe Korrekturen. Sie fordern stattdessen eine monatliche Anpassung an die aktuellen Preissteigerungen.

Was bedeutet das für Betroffene?

Wer durch Krankheit, Kündigung oder Jobverlust in die Grundsicherung rutscht, steht nach diesen Plänen zügig unter Druck. Wohnungswechsel, Vermögensprüfung und striktere Bewerbungsverpflichtungen drohen. Die vollständige Streichung von Leistungen bei mehrfacher Ablehnung zumutbarer Arbeit könnte Betroffene in prekäre Lagen führen.

Ein zweiter oder dritter Verstoß wäre nicht mehr nur eine Abmahnung, sondern ein Entzug sämtlicher Zahlungen. Betroffene mit Kindern fürchten finanzielle Engpässe, die die Teilnahme am Schul- und Vereinsleben weiter erschweren.

Mögliche Folgen für Antragstellende auf einen Blick:

  • Kein Aufschub bei Vermögensprüfung
  • Weniger Kulanz bei den Wohnkosten
  • Strengere Sanktionen bei abgelehnten Stellenangeboten
  • Verzögerte Anpassung an Inflation
  • Erhöhte Unsicherheit bei langfristigen Ersparnissen

Politische Debatte: Experte warnt vor Armutsfalle

In der öffentlichen Diskussion verweisen Juristen und Fachleute auf mögliche Grundrechtsverletzungen. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu Hartz IV Sanktionen nennt 30 Prozent als Obergrenze. Trotzdem beabsichtigt die künftige Regierung Verschärfungen umzusetzen, die über diesen Wert hinausgehen.

Ein Experte für Sozialrecht von der Universität Köln äußert in einem Kommentar, dass ein Komplettentzug existenzbedrohende Zustände herbeiführen kann. Er sieht darin eine Gefahr für das Recht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum.

Auch Wohlfahrtsverbände schließen sich dieser Kritik an. Sie betonen, dass die Kombination aus Wohnungskürzung, geringem Regelsatz und rigiden Vermögensgrenzen viele Menschen in die Armutsfalle treiben könnte. In Zeiten steigender Energiekosten und stagnierender Löhne halten sie ein solches Modell für unzeitgemäß.

Internationaler Vergleich: Ein differenziertes Bild

Andere Länder bieten Einblicke in unterschiedliche Sozialsysteme. Skandinavische Staaten setzen auf höhere Grundsicherungszahlungen, verknüpfen diese aber häufig mit klaren Förderangeboten. Dort übernimmt der Staat verstärkt Kosten für Umschulungen, um den Wiedereinstieg zu beschleunigen.

In Großbritannien existiert hingegen das „Universal Credit“System, das oft ebenfalls kritisiert wird. Dort treffen viele Auflagen auf niedrige Regelsätze. Laut Zahlen der britischen Regierung hat sich die Armut unter Langzeitarbeitslosen in einigen Regionen verschärft.

Für deutsche Entscheidungsträger stellt sich die Frage, welcher Weg sozial und ökonomisch sinnvoll ist. Union und SPD wollen offenbar hauptsächlich den Druck erhöhen. Sie argumentieren, nur so würden Arbeitssuchende ausreichend motiviert, schnell eine neue Stelle anzunehmen.

Befürworter höherer Leistungen halten dagegen, dass Menschen über mehr Bildungsangebote und Beratung effektiver aus der Arbeitslosigkeit finden. Das geforderte konsequente „Fordern“ reicht ihrer Meinung nach nicht aus, um soziale Härten zu verhindern.