Es ist Wahlkampf und Union sowie FDP äußern immer wieder Positionen, die insbesondere jene Menschen treffen, die auf Sozialleistungen angewiesen sind und daher besonders empfindlich auf politische Maßnahmen reagieren. Experten schlagen wegen dieser Forderungen Alarm, halten sie für potenziell verfassungswidrig und sehen sie zudem als schädlich für die Arbeitsvermittlung an.
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Arbeitspflicht für Hilfebedürftige
Der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der FDP im Bundestag, Christoph Meyer, schlägt vor, Bürgergeld-Bezieher zum Beispiel „zur Arbeit gegen die Verwahrlosung Berlins“ zu verpflichten und führt aus: „Dazu zählen Reinigungs- und Hilfsarbeiten für Spielplätze, Parks oder auch Bahnhöfe.“
Dann ergänzt er: „Wer selbst zumutbare Arbeit verweigert und vom Geld der arbeitenden Bevölkerung lebt, muss den öffentlichen Raum für alle anderen ordentlich und sauber halten.“
Totalverweigerer-Mythos im Fokus
Meyer knüpft hier an den Mythos vom „Totalverweigerer“ an, den wir bei “gegen-hartz” aus Gründen für das Unwort des Jahres 2024 halten, denn die Anzahl derjenigen unter den Bürgergeld-Beziehern, die tatsächlich sanktioniert werden, weil sie Stellenangebote verweigern, ist verschwindend gering.
Thorsten Frei von der Union forderte, wer Bürgergeld beziehe, im arbeitsfähigen Alter, weder krank sei noch Angehörige pflege, solle arbeiten gehen.
Was sagen Fachleute, die Einblick in die realen Verhältnisse im Jobcenter haben, statt populistisch Stimmung zu machen? Detlef Scheele war Vorstandsvorsitzender der Bundesagentur für Arbeit, und er hält von Arbeitspflicht und sogenannten Ein-Euro-Jobs für Bürgergeld-Bezieher überhaupt nichts.
Bürgergeld-Bezieher wollen arbeiten
Er spricht aus der Praxis und betont, dass die meisten Menschen im Bürgergeld-Bezug ohnehin motiviert sind und so schnell wie möglich in Arbeit kommen wollen. Andere seien krank oder hätten soziale Probleme, und ein Arbeitszwang käme für sie nicht infrage. Diejenigen, die wirklich Arbeit verweigerten, seien nur sehr wenige.
Hoher Verbrauch an Kosten und Personal für Ein-Euro-Jobs
Der Fachmann zeigt auch, warum Forderungen wie die von Meyer praktisch nicht einmal umsetzbar sind: „Angenommen, man verpflichtet eine Gruppe von zwölf Arbeitslosen zu Laubarbeiten im Park – dann benötigt man einen Bus für den Transport und auch einen Fahrer oder eine Fahrerin.” Hinzu kämen Anleiter und Verwaltungskräfte, die die Vermittlung der gemeinnützigen Arbeit organisierten. Das alles sei teuer und personalintensiv.
Jobcenter sind überlastet
Zu Scheeles Ausführungen kann ergänzt werden, dass die Jobcenter auch ohne solchen zusätzlichen Arbeitsaufwand überlastet sind. Den Mitarbeitern werden immer mehr Aufgaben aufgedrückt, sie müssen sich mit Arbeits-, Familien-, Sozial-, Miet- und Ausländerrecht auskennen, zudem sollen Sie Arbeitssuchende in Stellen vermitteln, sind mit Betroffenen konfrontiert, die psychische Probleme haben, Schulden oder Suchterkrankungen.
Pseudo-Maßnahmen schieben echte Probleme beiseite
FDP-Mann Meyer bastelt also eine Pseudo-Maßnahme für ein Pseudo-Problem, während er die tatsächlichen Probleme, die Jobcenter und Arbeitssuchende haben, beiseite wischt: Personalmangel, Überforderung, dadurch ein Mangel an Betreuung für Arbeitssuchende mit multiplen Problemen.
Während Meyer eine kleine Gruppe vermeintlich arbeitsunwilliger Personen als Rechtfertigung für kaum realisierbare Pflichtarbeit anführt, muss das Jobcenter der Region Hannover unter anderem bundesweit gelobte Projekte wie die Familienhilfe schließen, da das Budget um 25 Prozent gekürzt wird.
Arbeitspflicht ist verfassungswidrig
Der Rechtsanwalt Sven Adam geht über die fehlende Umsetzbarkeit und den fehlenden Nutzen solcher Forderungen nach Arbeitspflicht hinaus und sagt, dass die Forderungen aus CDU und FDP schlicht verfassungswidrig sind. Denn laut dem Artikel 12, Absatz 2 des Grundgesetzes dürfe niemand zu einer bestimmten Arbeit gezwungen werden.
Adam wirft der CDU vor, die Schwächsten in unserer Gesellschaft zu diffamieren, Angst zu erzeugen und Druck aufzubauen. Er schließt: „Wenn die CDU die deutsche Verfassung ändern und dabei die Würde des Menschen relativieren will, sollte sie dies wenigstens ehrlich sagen.“
Ein-Euro-Jobs schaden der Arbeitsvermittlung
Solche Ein-Euro-Jobs stellen nicht nur die Menschenwürde der Betroffenen in Frage, sie schaden zudem der Arbeitsvermittlung, also dem Sinn und Zweck der Jobcenter. Denn die Organisation der Ein-Euro-Jobs fraß in der Vergangenheit Zeit und Energie der Mitarbeiter, die diese dringend gebraucht hätten, um die echte Arbeitsvermittlung zu betreiben.
Arbeitspflicht frisst reguläre Jobs
Auch regulär Beschäftigte gerieten durch die Ein-Euro-Jobs in Gefahr, da Kommunen und öffentliche Einrichtungen mit dem Einstellen der Empfänger von Sozialleistungen Geld sparten, statt Erwerbstätigen ihren Stundenlohn zu bezahlen. Das war zwar rechtswidrig, da Ein-Euro-Jobber nicht in Konkurrenz zu regulär Beschäftigten stehen dürfen, aber trotzdem eher die Regel als die Ausnahme.
Meyer erwähnt das Reinigen von öffentlichen Plätzen durch Bürgergeld-Bezieher. Gerade bei der Straßenreinigung wurden jedoch bei Hartz-IV sozialversicherungspflichtige Beschäftigte durch die Billigarbeit verdrängt.
Die Vermittlung von Ein-Euro-Jobbern in reguläre Arbeit war äußerst gering, was auch logisch ist: Wer bietet schon jemandem einen normal bezahlten Job als Hausmeister an, wenn der dieselbe Arbeit auch zum Fast-Nulltarif macht, beziehungsweise machen muss?
Scheele warnt davor, durch populistische Forderungen Extremismus weiter zu stärken, statt sinnvolle Lösungen zu entwickeln.
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Dr. Utz Anhalt ist Buchautor, Publizist, Sozialrechtsexperte und Historiker. 2000 schloss er ein Magister Artium (M.A.) in Geschichte und Politik an der Universität Hannover ab. Seine Schwerpunkte liegen im Sozialrecht und Sozialpolitik. Er war wissenschaftlicher Mitarbeiter bei Dokumentationen für ZDF , History Channel, Pro7, NTV, MTV, Sat1.