Bürgergeld: Darf Jobcenter zur vorzeitigen Rente mit Abschlägen auffordern? – Urteil

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Darf das Jobcenter dazu auffordern, in eine vorzeitige Rente mit Abschlägen einzutreten, damit sie aus dem Bezug herausfällt?

Der Fall geht vor das Bundesgericht

Das Bundessozialgericht (BSG) urteilte im Verfahren B 14 AS 46/15 R zur Rechtmäßigkeit einer Aufforderung durch ein Jobcenter, eine vorzeitige Altersrente mit Abschlägen zu beantragen. Gegenstand des Verfahrens war die Frage, ob diese Aufforderung mit den gesetzlichen Vorgaben des Sozialgesetzbuchs II (SGB II) sowie der sogenannten Unbilligkeitsverordnung vereinbar ist.

Die Klägerin, eine Empfängerin von Arbeitslosengeld II, argumentierte, dass die vorzeitige Rentenbeantragung sie langfristig benachteiligen würde. Das Gericht wies ihre Revision jedoch ab.

Rechtliche Grundlagen: Die Pflicht zur Inanspruchnahme vorrangiger Leistungen

Gemäß § 12a SGB II sind Leistungsberechtigte verpflichtet, vorrangige Sozialleistungen anderer Träger in Anspruch zu nehmen, wenn dies zur Reduzierung oder Beendigung der Hilfebedürftigkeit beiträgt. Ausnahmen gelten nur, wenn die Inanspruchnahme unbillig ist, wie in der Unbilligkeitsverordnung (UnbilligkeitsV) geregelt.

Diese Vorschrift erlaubt es den Jobcentern, Leistungsberechtigte aufzufordern, Anträge auf solche Leistungen zu stellen. Wird der Aufforderung nicht nachgekommen, darf das Jobcenter selbst einen entsprechenden Antrag einreichen.

Sachverhalt: Die Ausgangssituation der Klägerin

Die Klägerin, geboren 1951, lebte allein und bezog seit 2005 Leistungen nach dem SGB II. Im Zeitraum von Dezember 2013 bis Mai 2014 wurden ihr monatlich 662,99 Euro bewilligt. Diese Summe setzte sich aus dem Regelbedarf, Kosten der Unterkunft sowie einem Einkommen als Reinigungskraft zusammen.

Dem Jobcenter wurde bekannt, dass die Klägerin ab Februar 2011 eine vorzeitige Altersrente mit Abschlägen oder ab Februar 2016 eine abschlagsfreie Altersrente beantragen könnte. Daraufhin forderte das Jobcenter die Klägerin im Juli 2013 auf, eine vorzeitige Altersrente ab ihrem 63. Lebensjahr zu beantragen. Diese Aufforderung wiederholte das Jobcenter im Oktober 2013.

Vorzeitige Rente reicht nicht aus um Bedarf zu decken

Die Klägerin widersprach mit der Begründung, dass die zu erwartende vorzeitige Rente nicht ausreicht, um ihren Bedarf zu decken, und sie weiterhin auf Sozialleistungen angewiesen wäre. Sie verwies darauf, dass eine abschlagsfreie Altersrente ab Februar 2016 ihr eine bessere finanzielle Absicherung bieten würde.

Gerichtliche Auseinandersetzungen: Instanzen und Entscheidungen

Das Sozialgericht (SG) Leipzig hob die Aufforderung des Jobcenters teilweise auf, soweit diese vor dem 1. Februar 2014 galt, wies die Klage jedoch im Übrigen ab. In der Berufung entschied das Sächsische Landessozialgericht (LSG), dass die Klägerin zur Beantragung der vorzeitigen Altersrente verpflichtet sei. Die Aufforderung des Jobcenters sei weder unbillig noch rechtswidrig.

Die Klägerin legte Revision beim Bundessozialgericht ein. Sie argumentierte, das Jobcenter habe sein Ermessen falsch ausgeübt, indem es ihre langfristigen Nachteile nicht ausreichend berücksichtigte. Zudem sei die Aufforderung zur vorzeitigen Rentenbeantragung verfassungswidrig.

Entscheidung des Bundessozialgerichts: Rechtmäßigkeit der Aufforderung

Das BSG bestätigte die Rechtmäßigkeit der Aufforderung. Es entschied, dass die Klägerin verpflichtet war, die vorzeitige Altersrente zu beantragen, da dies ihre Hilfebedürftigkeit im Sinne des SGB II verringere. Nach § 12a SGB II ist die Beantragung solcher Leistungen erforderlich, wenn sie die Dauer oder Höhe der Hilfebedürftigkeit reduzieren.

Das Gericht wies darauf hin, dass die gesetzliche Regelung bewusst keine Ausnahme für dauerhafte Rentenabschläge vorsieht. Auch der Hinweis auf mögliche Rentenerhöhungen in der Zukunft ändere daran nichts, da diese gesetzlich vorgesehene Nachteile einer vorzeitigen Altersrente darstellten.

Prüfung der Unbilligkeit: Keine Ausnahmegründe gegeben

Die Unbilligkeitsverordnung regelt abschließend, unter welchen Bedingungen eine vorzeitige Rentenbeantragung unzumutbar ist. Keiner der Tatbestände traf auf die Klägerin zu:

  1. Verlust eines Anspruchs auf Arbeitslosengeld: Die Klägerin hatte keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld nach dem SGB III.
  2. Abschlagsfreie Rente in „nächster Zukunft“: Die abschlagsfreie Altersrente konnte erst nach Ablauf von mehr als zwei Jahren bezogen werden. Dieser Zeitraum fiel nicht unter den Begriff „nächster Zukunft“.
  3. Erwerbstätigkeit: Die Klägerin war nur geringfügig beschäftigt und erzielte ein Einkommen unterhalb der Grenze für sozialversicherungspflichtige Tätigkeiten. Eine vollzeitähnliche Beschäftigung war nicht absehbar.

Ermessensausübung des Jobcenters: Formal und inhaltlich korrekt

Das Jobcenter hatte die Aufforderung zur Rentenbeantragung im Rahmen seines Ermessens erteilt. Im Widerspruchsverfahren prüfte es die Argumente der Klägerin erneut und stellte fest, dass die vorzeitige Altersrente ihre Hilfebedürftigkeit nach dem SGB II beenden würde.

Da Personen, die eine Altersrente beziehen, keinen Anspruch auf SGB-II-Leistungen mehr haben, war der Antrag gerechtfertigt.

Verfassungsmäßigkeit der Regelungen

Das Gericht erklärte die einschlägigen Vorschriften des SGB II für verfassungsgemäß. Die Verpflichtung zur Inanspruchnahme vorrangiger Leistungen diene dem legitimen Ziel, die Belastung der Sozialkassen zu minimieren.

Dabei sei die individuelle Interessenabwägung durch die gesetzlich vorgesehenen Ausnahmen ausreichend berücksichtigt.