Bürgergeld: Datenschutzbehörde rügt Jobcenter für Vermieterbescheinigung

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Am 16. Juli 2024 verschickte der Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit (BfDI) sein Rundschreiben Nr. 12 an alle Jobcenter in gemeinsamer Trägerschaft. Darin heißt es unmissverständlich: „Das Jobcenter darf Kunden und Kundinnen nicht zur Vorlage einer vom Vermieter ausgefüllten und unterschriebenen Mietbescheinigung verpflichten.“

Die Behörde bekräftigt damit eine Rechtsauffassung, die bereits im 25. Tätigkeitsbericht des BfDI von 2015 festgehalten wurde: Die Vermieterbescheinigung ist datenschutzrechtlich unzulässig – und zwar unabhängig davon, ob sie beim Erstantrag, bei der Zustimmung zu einer neuen Wohnung oder gar bei einer Weiterbewilligung verlangt wird, wie aktuell der Sozialrechtsexperte Harald Thomé vom Verein Tacheles e.V. t in seinem Thomé Newsletter berichtet.

Warum ist die Vermieterbescheinigung ein Datenschutzproblem?

Das Problem liegt in der Offenbarungspflicht: Muss der oder die Leistungsberechtigte die Bescheinigung einholen, erfährt der Vermieter zwangsläufig, dass sein Mieter Bürgergeld bezieht.

Damit werden hochsensible Sozialdaten gegenüber einer dritten Person preisgegeben – ohne gesetzliche Mitwirkungspflicht des Vermieters und ohne Notwendigkeit für die Aufgabenwahrnehmung der Behörde.

Genau diese Konstellation verletzt das informationelle Selbstbestimmungsrecht nach Artikel 6 Absatz 1 DSGVO sowie § 67a SGB X, wonach Sozialdaten grundsätzlich bei der betroffenen Person zu erheben sind.

Auf einen Nenner gebracht: Der Staat darf Betroffene nicht zwingen, ihre Bedürftigkeit öffentlich zu machen, nur weil es dem Amt Arbeit erspart.

Welche Rechtsgrundlagen widersprechen der gängigen Praxis vieler Jobcenter?

§ 22 SGB II verpflichtet die Behörde lediglich, angemessene Kosten der Unterkunft zu übernehmen – nicht aber, den Vermieter direkt einzubeziehen.

Das Sozialgesetzbuch X wiederum setzt dem Datentransfer an Dritte enge Grenzen. In seinen Erläuterungen weist der BfDI darauf hin, dass alle wesentlichen Angaben (Mietzins, Wohnfläche, Nebenkosten) aus dem Mietvertrag, der Nebenkostenabrechnung oder anderen Unterlagen hervorgehen. Damit fehlt eine Rechtsgrundlage, den Vermieter ins Verfahren zu zwingen.

Viele Jobcenter verlangen trotzdem die Bescheinigung

Obwohl der BfDI seit mehr als einem Jahrzehnt dieselbe Linie vertritt, verlangen viele Jobcenter das Formular weiterhin – teils routinemäßig, teils als scheinbare „Serviceleistung“.

Der Grund ist schlicht Bequemlichkeit, wie selbst einschlägige Fachportale im März 2025 einräumen: Die Vermieterbescheinigung liefert „alle relevanten Informationen auf einen Schlag“ und reduziert den Prüfaufwand der Sachbearbeitung.

Welche Folgen hat die unzulässige Forderung für Leistungsberechtigte?

Betroffene geraten in ein Dilemma. Wer sich weigert, riskiert Verzögerungen oder sogar Ablehnungen der Kostenübernahme für die Miete; wer einwilligt, legt private Notlagen offen und befürchtet negative Reaktionen des Vermieters – von Vorurteilen bis zur Kündigung. Die Stigmatisierung potenzieller Mietschuldner ist real und beeinträchtigt das Recht auf soziale Teilhabe.

Die Pflicht, einen Leistungsbezug offenzulegen, widerspricht zudem dem Grundsatz, wonach niemand gezwungen werden darf, sich selbst zu „outen“, um staatliche Hilfe zu erhalten.

Gilt das Rundschreiben auch für rein kommunale Jobcenter?

Ja. Zwar richtet sich das Schreiben formal an die gemeinsamen Einrichtungen von Bundesagentur für Arbeit und Kommunen, doch Datenschutz ist Bundesrecht.

Der BfDI stellt ausdrücklich klar, dass „wegen gleichen Rechts“ dieselben Maßgaben für kommunale Jobcenter gelten.

Andernfalls drohen Beanstandungen durch die jeweiligen Landesdatenschutzbehörden – und im Streitfall Schadensersatz‑ oder Unterlassungsklagen.

Welche Alternativen nennt der BfDI zur Datenerhebung?

Der Verweis auf den Mietvertrag ist zentral. Enthält er nicht alle benötigten Angaben, können ergänzende Unterlagen wie Nebenkosten‑ oder Heizkostenabrechnungen vorgelegt werden.

Soweit Jobcenter eigene Vordrucke vorsieht, dürfen diese den Zweck der Datenerhebung nicht erkennen lassen und müssen ausdrücklich freiwillig bleiben.

Entscheidend ist: Die Form der Nachweisführung wählt die leistungsberechtigte Person – nicht das Amt.

Wie können Bürgergeld‑Beziehende ihre Rechte durchsetzen?

Betroffene sollten zunächst schriftlich auf das Rundschreiben (weiter unten als Quelle verlinkt) verweisen und die Vorlage alternativer Unterlagen anbieten.

Weigert sich das Jobcenter, kommen Widerspruch und einstweiliger Rechtsschutz vor dem Sozialgericht in Betracht.

Parallel kann bei der Datenschutzaufsicht Beschwerde eingelegt werden. Wichtig ist, Fristen einzuhalten und jede Korrespondenz zu dokumentieren. Beratungsstellen wie Tacheles e. V. oder unabhängige Sozialberatungen unterstützen dabei.

Welche Konsequenzen drohen Jobcentern, wenn sie weiter Vermieterbescheinigungen verlangen?

Die Gerichte werden feststellen, dass Entscheidungen auf einer unzulässigen Datenerhebung beruhen und deshalb rechtswidrig sind. Zudem kann der BfDI ein Beanstandungsverfahren einleiten und die Behörde verpflichten, ihre Praxis anzupassen. Regressforderungen von Leistungsberechtigten wegen verspäteter oder verweigerter Zahlungen sind ebenfalls denkbar.

Was bedeutet das Rundschreiben für den Datenschutz in der Sozialverwaltung?

Auf den ersten Blick geht es um ein Formular – tatsächlich aber um die Balance zwischen effizienter Verwaltung und Grundrechten. Das Rundschreiben Nr. 12 bringt diese Balance zurück ins Lot und setzt einen verbindlichen Standard: Der Schutz sensibler Sozialdaten darf nicht dem Organisationsinteresse geopfert werden.

Die Jobcenter sind nun aufgefordert, ihre internen Arbeitsanweisungen zu überarbeiten, Mitarbeitende zu schulen und technische Prozesse anzupassen. ((Quelle)und (Quelle)