Bürgergeld: Jobcenter verweigert Darlehen für Zugticket wegen eines Schlaganfalls

Lesedauer 3 Minuten

Die Mutter einer Bürgergeld-Bezieherin kam nach einem Schlaganfall ins Krankenhaus und leidet zudem seit Jahren an einer Chronisch obstruktiven Lungenerkrankung. Die Tochter beantragte ein Darlehen beim Jobcenter für ein Zugticket, um die 600 Kilometer entfernte Mutter zu besuchen. Doch das Jobcenter lehnte ab.

Kalte Ablehnung

In Ihrer Not meldete die Leistungsberechtigte sich bei der Initiative Sanktionsfrei e.V. Deren Gründerin Helena Steinhaus machte die Geschichte auf X öffentlich. Sie schreibt: „Obwohl es sich nur um ein Darlehen handelt, das sowieso in Raten zurückgezahlt wird, hat das Jobcenter eiskalt abgelehnt.“

Nur noch 20 Euro für den Rest des Monats

Die Betroffene schrieb an Sanktionsfrei: „Ich bin alleinerziehend und habe kaum noch Geld, um meine Rechnungen zu bezahlen. Gestern habe ich den Geburtstag meines Kindes gefeiert – heute ist der 15. April und mir bleiben noch 20 Euro. Damit gehen ich zweimal pro Woche zur Tafel und das war´s dann.“

Unterstützung von Sanktionsfrei

Sanktionsfrei e.V. finanziert das Zugticket jetzt aus dem Solitopf, also aus Spendengeldern. Helena Steinhaus ruft auf: „Wenn ihr uns dabei unterstützen wollt, könnt ihr das auf sanktionsfrei.de/support“

Empörung bei den Lesern

Das Vorgehen des Jobcenters löst Empörung aus bei manchen, die Helena Steinhaus Eintrag auf X gelesen haben. Ein DornenResli kommentiert: „Es ist so unmenschlich, wie Jobcenter und deren Angestellte mit Menschen umgehen.“

Ein Leser namens Steffen Rück kommentiert: „Solche Abmahnungen dürften in Zukunft noch häufiger vorkommen. Für Herrn Merz stellen Bürgergeldbezieher die natürlichen Feinde dar.“

Wann muss das Jobcenter ein Darlehen gewähren?

Jobcenter müssen Leistungsberechtigten ein zinsloses Darlehen gewähren, wenn es einen unabweisbaren Bedarf gibt, für den Kosten weder vom Regelbedarf bezahlt noch aufgeschoben werden können.

Was bedeutet unabwendbarer Bedarf?

Die Bundesagentur für Arbeit nennt vier Kriterien für diesen unabwendbaren Bedarf: Erstens, „wenn er nicht aufgeschoben werden kann und daher ein Darlehen zur Vermeidung einer akuten Notsituation unumgänglich ist“, und zweitens, „wenn nicht erwartet werden kann, dass Sie diesen Bedarf mit den nächsten Leistungen zur Deckung des Regelbedarfs (reguläres Bürgergeld) ausgleichen können.“ Drittens gibt es keine andere Möglichkeit, den Bedarf zu decken wie zum Beispiel über Gebrauchtwarenlager oder Kleiderkammern.

Einige Beispiele für unabwendbaren Bedarf

Zum unabwendbaren Bedarf gehören zum Beispiel notwendige Reparaturen und Anschaffungen, die Unmöglichkeit Neuschulden bei der Stromversorgung zu decken,in Wohnungs- oder ein Hausbrand.

Wie belegen Sie den unabweisbaren Bedarf?

Diesen unabweisbaren Bedarf müssen Sie generell nachweisen, zum Beispiel durch Kostenvoranschläge. Das Jobcenter kann auch seinen Außendienst beauftragen, den Bedarf zu prüfen.

Das Ermessen des Jobcenters

Das Jobcenter hat dabei das Ermessen zu entscheiden, ob ein unabweisbarer Bedarf vorliegt oder nicht. Es kann auch entscheiden, Ihnen statt Geld einen Gutschein auszustellen. Außerdem entspricht das Darlehen exakt dem Wert des erforderlichen Bedarfs, und es darf ausschließlich für diesen Zweck verwendet werden. Das Jobcenter kann zum Beispiel einen Kaufbeleg verlangen.

Ein Darlehen müssen Sie zurückzahlen

Das Darlehen bedeutet nicht, dass das Jobcenter die Kosten trägt. Sie müssen es hingegen zurückzahlen, allerdings zinsfrei. Bei weiterem Bürgergeld-Bezug verrechnet das Jobcenter die Raten der Rückzahlung mit Ihrem monatlichen Regelbedarf und behält die Raten ein.

Was können Sie bei einer Ablehnung tun?

Wenn das Jobcenter es (wie in dem beschriebenen Fall) ablehnt, ein Darlehen zu gewähren, dann haben Sie die Möglichkeit, Widerspruch einzulegen. Dafür bleiben Ihnen vier Wochen nach Zugang des Bescheids vom Jobcenter. Wenn Sie das Darlehen sofort benötigen, dann können Sie parallel zum Widerspruch eine einstweilige Anordnung beantragen.

Wird der Widerspruch abgelehnt, dann bleibt Ihnen eine Klage beim Sozialgericht.

Wichtig ist eine gute Begründung dafür, dass Sie sich in einer Notlage befinden und dass ein unabweisbarer Bedarf besteht.

Warum wurde denn nur ein Darlehen beantragt fragt sich der Sozialrechtsexperte Detlef Brock – Da geht viel mehr

Geld vom JobCenter für Aufwendungen zum Besuch eines nahen Angehörigen können in einer Sondersituation einen Härtefallmehrbedarf begründen.

Fahrtkosten für die Besuche des erwachsenen Sohnes zur erkrankten Mutter ins Klinikum muss das Jobcenter als Härtefallmehrbedarf übernehmen.

In besonderen Situationen kann zur Ermöglichung der Begegnung naher Angehöriger ein Härtefallmehrbedarf nicht anders als beim Umgangsrecht zu übernehmen sein (BSG Rechtsprechung). So entschieden vom LSG Baden-Württemberg im Eilverfahren vom 04.02.2020 – L 2 AS 3963/19 ER-B.

Die Mutter des Klägers erlitt einen Schlaganfall, später kam es zu einem Herz-Kreislaufstillstand.

Praxistipp

BSG, Urt. v. 26.01.2022 – B 4 AS 3/21 R – Ein Härtefallmehrbedarf kann auch zur Pflege zwischenmenschlicher Beziehungen entstehen

Die höchstrichterliche Rechtsprechung hat zudem keine Zweifel, dass bei einem regelmäßigen monatlichen Aufwand von – mindestens – 20 Euro ein erhebliches Abweichen von dem durchschnittlichen Bedarf besteht (vgl. BSG, Urteil vom 19.08.2010 − B 14 AS 13/10 R – ).