Verena Bentele, die Präsidentin des Sozialverbands, VdK klärt auf, wer die Menschen wirklich sind, die Bürgergeld beziehen, und die allzuoft als „Arbeitsverweigerer“ und „faule Schmarotzer“ diffamiert werden.
Sehr viele von ihnen arbeiten, können damit aber nicht ihren Lebensunterhalt finanzieren. Andere können nicht Vollzeit arbeiten, weil sie bedürftige Angehörige pflegen oder als Alleinerziehende Kinder betreuen müssen, oder weil Arbeitgeber nur in Teilzeit einstellen.
Dann gibt es unter Bürgergeld-Beziehern erheblich mehr Menschen mit diagnostizierten psychischen Erkrankungen als im Durchschnitt der Gesellschaft.
Zudem haben viele, gerade derjenigen, die langfristig erwerbslos sind, keine Ausbildung und deshalb kaum Chancen auf einem Arbeitsmarkt, an dem Fachkräfte gefragt sind.
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Viele können nicht arbeiten
Bentele zufolge handelt es sich um Menschen in schwieriger Lebenslage, die sich trotzdem nicht unterkriegen lassen. Viele könnten gar nicht arbeiten gehen, darunter die 1,5 Millionen Kinder unter den 5,5 Millionen Menschen, die von Bürgergeld leben müssen.
Denn, so Bentele, Kinderarbeit ist in Deutschland aus gutem Grund verboten.
Arbeit reicht zum Leben nicht
Hinzu kommen über 800.000 sogenannte Aufstocker. Diese Menschen arbeiten, aber der Lohn aus ihrer Erwerbsbeschäftigung reicht nicht aus, um den Lebensunterhalt zu decken. Bis zum Existenzminimum müssen diese Arbeitenden mit Bürgergeld aufstocken.
Jeder fünfte Bürgergeldempfänger und jede fünfte Leistungsbezieherin sind erwerbstätig. Im Schnitt arbeiten diese Menschen fünf Tage die Woche und verdienen rund 850,00 Euro Brutto.
Sehr oft handelt es sich dabei um körperlich belastende Tätigkeiten zu ungünstigen Arbeitszeiten, zum Beispiel als Reinigungskraft oder als Paketauslieferer. Viele dieser hart arbeitenden Menschen sind körperlich und psychisch durch ihre Beschäftigung am äußersten Limit, und sie als „faul“ zu beleidigen, ist an Zynismus kaum zu überbieten.
Rechtsanwalt El-Zaatari erklärt, dass die Abhängigkeit von Bürgergeld ein Leben am Existenzminimum bedeute, oft sogar trotz Arbeit. Dies sei weder theoretisch noch praktisch wünschenswert. Zahlreiche Studien belegen, ihm zufolge, dass das Hassbild vom “faulen Bürgergeld-Bezieher” mit der Realität nichts zu tun hat.
Behinderungen und chronische Erkrankungen
Viele Menschen, die Bürgergeld beziehen, haben chronische Erkrankungen und/ oder Behinderungen. Sie gelten dann zwar als grundsätzlich erwerbsfähig beziehungsweise als teilweise erwerbsgemindert, haben aber kaum eine Chance, eine Arbeit zu finden, die sie mit ihren Einschränkungen erfüllen können.
Wer an einer psychischen Krankheit leidet und als prinzipiell erwerbsfähig gilt, fältt unter Bürgergeld. Das heißt bei den meisten der Betroffenen aber nicht, dass sie einfach in Arbeit kommen, obwohl sie das häufig sehnlich wünschen.
Denn Depressionen, Angststörungen oder psychosomatische Beschwerden schränken die Betroffenen nicht nur real ein, auch viele Arbeitgeber haben gegenüber Arbeitnehmern mit psychischen Erkrankungen Vorurteile und Vorbehalte.
Die psychische Erkrankung ist oft der Grund, warum diese Menschen ins Bürgergeld geraten und zugleich eine wesentliche Ursache dafür, warum es so schwer für sie ist, aus dem Bürgergeld wieder heraus zu kommen.
Teilweise Erwerbsminderung bedeutet Erwerbsfähigkeit
Bei Erwerbsminderung gilt: Wer voll erwerbsgemindert ist und weniger als drei Stunden pro Tag arbeiten kann hat keinen Ansspruch auf Bürgergeld, sondern muss Sozialhilfe beantragen. Wer teilweise erwerbsgemindert ist und weniger als sechs Stunden pro Tag arbeiten kann, wird als erwerbsfähig angesehen, bekommt Bürgergeld und muss dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen.
Arbeitsuchende mit besonderen Herausforderungen
Zu diesen gehören all diejenigen, die trotz intensiver Bemühungen keinen Job finden. Diskriminierung, fehlende Barrierefreiheit, familiäre Verpflichtungen, Schulden und diverse psychosoziale Probleme behindern diese Menschen dabei, in Arbeit zu kommen.
Fehlende Qualifikation
Jeder dritte Mensch im Bürgergeld-Bezug hat keine Ausbildung, viele haben nicht einmal einen Schulabschluss. Mangelhafte Beherrschung der deutschen Sprache, unzureichende Schreib- und Lesefähigkeiten, kognitive Probleme blockieren die Chancen auf dem Arbeitsmarkt.
Existentielle Probleme
Bentele zeigt, dass die Lebensrealität vieler Menschen im Bürgergeld-Bezug schwierig ist, und dies oft unverschuldet. So wissen die Betroffenen nicht, wie sie die steigenden Lebenshaltungskosten bewältigen sollen.
Bentele erläutert das am Beispiel eines Vaters, der um seine Erwerbsminderungsrente kämpft, und den dabei die steigenden Stromkosten extrem belasten. Er muss jetzt die Stromschulden beim Jobcenter abbezahlen.
Alleinerziehende stehen unter Mehrfachbelastung
Überproportional viele Menschen im Bürgergeld-Bezug sind alleinerziehend. Sie können wegen der Kinderbetreuung keine Arbeit aufnehmen oder zumindest keine Vollzeitstelle. Sie finden keinen Kitaplatz, müssen den Haushalt versorgen oder Angehörige pflegen.
Viele alleinstehende Mütter stehen im Dauerkonflikt mit Vätern, die keinen Unterhalt zahlen.
Die Kanzlei “Rightmart” aus Bremen prüft seit 2015 Hartz-IV- und heute Bürgergeld-Bescheide. 62 Prozent derjenigen, die Bescheide überprüfen lassen, sind Frauen. Rechtsanwalt Mohamed El-Zaatari erklärt den hohen Frauenanteil damit, dass die Betroffenen häufig alleinerziehende Mütter sind. Wegen der Kinderbetreuung arbeiten sie häufiger in Teilzeit und verdienen zudem noch weniger als Männer in ähnlichen Positionen. Deshalb müssen sie ihr karges Einkommen mit Bürgergeld aufstocken.
Soziale Ausgrenzung der Kinder
Dramatisch ist die Situation für Kinder in Familien, die Bürgergeld beziehen müssen. Es fehlt an Geld für Schulsachen, für Hobby und Freizeit. Dadurch werden die Kinder sozial von ihren Altersgenossen ausgegrenzt, und des schränkt nicht nur ihre Lebensqualität in der Gegenwart ein, sondern verschlechtert auch ihre Chancen, sich in Zukunft eine Perspektive aufzubauen.
Das Existenzminimum ist ein Grundrecht
Das Bürgergeld ist keine „milde Gabe“, sondern ein Grundrecht, denn unser Grundgesetz garantiert das Existenzminimum, und das Verfassungsgericht hat dies bestätigt. Den Menschen zur Seite zu stehen, die von Bürgergeld leben müssen, ist eine Pflicht der Solidargemeinschaft.