Viele Menschen denken bei einer Behinderung primรคr an kรถrperliche Einschrรคnkungen, die sichtbar sind oder auf den ersten Blick auffallen. Tatsรคchlich spielen jedoch auch langwierige Krankheiten, die sich manchmal nur in bestimmten Lebensbereichen auswirken, eine groรe Rolle.
Nach einem Report des Instituts fรผr Allgemeinmedizin sind mehr als die Hรคlfte der รคlteren Menschen in Deutschland chronisch krank. Zu den hรคufigsten chronischen Krankheiten zรคhlen unter anderem Diabetes, Morbus Crohn oder rheumatische Erkrankungen.
Diese kรถnnen mitunter so schwerwiegend sein, dass sie den Alltag stark einschrรคnken. In solchen Fรคllen kann eine chronische Erkrankung rechtlich als Behinderung anerkannt werden. Entscheidend ist, dass sie lรคnger als sechs Monate andauert und trotz medizinischer Behandlung nur unzureichend heilbar oder beherrschbar ist.
Inhaltsverzeichnis
Was versteht man unter dem Grad der Behinderung (GdB)?
Der Grad der Behinderung, kurz GdB, ist eine Kennzahl, die das Ausmaร der kรถrperlichen, geistigen oder seelischen Beeintrรคchtigung einer Person beschreibt. Dabei sind nicht nur die Diagnose und die medizinischen Befunde relevant, sondern vor allem die konkreten Auswirkungen auf den Alltag.
Juristisch und verwaltungsrechtlich wird das Verfahren durch die Versorgungsmedizin-Verordnung geregelt. Anhand dieser Verordnung und der individuellen รคrztlichen Unterlagen wird im Einzelfall ermittelt, wie stark eine Krankheit oder mehrere Erkrankungen die Selbststรคndigkeit und Teilhabe am gesellschaftlichen Leben beeintrรคchtigen.
Bei leichten Verlรคufen einer chronischen Krankheit kann der GdB eher niedrig ausfallen oder gar nicht zuerkannt werden. Bei schweren Verlaufsformen dagegen kann ein hoher GdB bis zur Schwerbehinderung (ab GdB 50) festgestellt werden.
Wie wird der GdB ermittelt und warum sind die Auswirkungen so wichtig?
Die zustรคndige Behรถrde โ in Baden-Wรผrttemberg meist das Landratsamt, in anderen Bundeslรคndern hรคufig das Sozialamt โ prรผft nach Eingang des Antrags die vorliegenden รคrztlichen Befunde.
In diesen Berichten mรผssen die Auswirkungen der Erkrankung mรถglichst detailliert beschrieben werden. Ein bloรer Hinweis auf die Diagnose fรผhrt nicht automatisch zu einer hohen Einstufung, da eine chronische Krankheit sehr unterschiedlich verlaufen kann. Entscheidend sind neben den medizinischen Fakten auch Fragen wie: Welche Einschrรคnkungen bestehen im Alltag?
Kรถnnen Betroffene ihrer Arbeit nur noch eingeschrรคnkt nachgehen? Mรผssen sie regelmรครig Medikamente einnehmen, die starke Nebenwirkungen haben? Werden sie immer wieder in Ihrer Mobilitรคt, Ihrer Belastbarkeit oder in Ihrer Selbstversorgung beeintrรคchtigt? Aus alledem ergibt sich schlieรlich ein einheitlicher Gesamt-GdB, der in Zehnerschritten von 20 bis 100 festgelegt wird.
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Welche Vorteile ergeben sich aus der Feststellung des GdB?
Wer einen GdB anerkannt bekommt, kann verschiedene Nachteilsausgleiche beanspruchen. Schon ab einem GdB von 20 erhalten Betroffene zum Beispiel einen erhรถhten Pauschbetrag bei der Einkommensteuer. Ab einem GdB von 30 oder 40 ist eine sogenannte Gleichstellung mit Schwerbehinderten mรถglich, die primรคr im Arbeitsrecht, beispielsweise beim Kรผndigungsschutz, von Bedeutung sein kann.
Besonders interessant wird es ab einem GdB von 50, denn dann wird ein Schwerbehindertenausweis ausgestellt. Dieser gewรคhrt verschiedene Vergรผnstigungen wie zusรคtzlichen Urlaubsanspruch im Arbeitsverhรคltnis, einen hรถheren Steuerfreibetrag und den besonderen Kรผndigungsschutz.
Fรผr viele chronisch Kranke ist dies eine wichtige Absicherung, damit sie den Belastungen ihres Alltags besser gerecht werden kรถnnen.
Wo und wie wird der Grad der Behinderung beantragt?
In Baden-Wรผrttemberg sind die Landratsรคmter zustรคndig, wรคhrend in anderen Bundeslรคndern hรคufig das Sozialamt die Anlaufstelle ist. Die Antragsformulare sind in der Regel standardisiert und umfassen mehrere Seiten, die mรถglichst sorgfรคltig ausgefรผllt werden sollten.
Nach Eingang des Antrags fordert die Behรถrde gegebenenfalls weitere Unterlagen an oder nimmt Kontakt zu den behandelnden รrzten auf. Die Dauer bis zur Ausstellung eines Bescheids kann zwischen drei und sechs Monaten liegen. Dabei kommt es einerseits auf die Vollstรคndigkeit der Unterlagen, andererseits auf die Kapazitรคten der Verwaltung an.
Wichtig ist es, bei jeder Frage die fรผr das Krankheitsbild relevanten Beeintrรคchtigungen anzugeben und aktuelle Arztberichte beizufรผgen.
Warum ist die Schweigepflichtentbindung des Arztes notwendig?
Damit das Amt den Gesundheitszustand umfassend beurteilen kann, mรผssen die behandelnden รrztinnen und รrzte von ihrer Schweigepflicht entbunden werden. Nur so ist es mรถglich, dass das Amt detaillierte Nachfragen stellen oder umfassendere medizinische Unterlagen anfordern kann.
Hรคufig liegen nicht alle Informationen, die fรผr die Feststellung des GdB relevant sind, bereits beim Patienten selbst oder in den zuvor รผbermittelten Unterlagen. Eine ordnungsgemรครe Schweigepflichtentbindung ermรถglicht der Behรถrde, sich ein vollstรคndiges Bild zu verschaffen.
Wer erhรคlt den Schwerbehindertenausweis und was steht drauf?
Nachdem das Amt einen GdB von 50 oder hรถher festgestellt hat, erhalten Betroffene neben dem schriftlichen Bescheid automatisch ihren Schwerbehindertenausweis, sofern sie ein Passbild eingereicht haben. Der Ausweis hat das Format einer Scheckkarte und enthรคlt Angaben zur Hรถhe des GdB sowie mรถgliche Merkzeichen.
Zu den hรคufig vorkommenden Merkzeichen zรคhlen zum Beispiel G (gehbehindert), aG (auรergewรถhnlich gehbehindert), B (Begleitperson erforderlich) und H (hilflos). Sie stehen fรผr spezifische Beeintrรคchtigungen und berechtigen teilweise zu weiteren Nachteilsausgleichen wie der Nutzung eines Behindertenparkplatzes oder der kostenfreien Mitnahme einer Begleitperson im รถffentlichen Nahverkehr.
Kann die Anerkennung zeitlich befristet sein und was tun bei รnderungen?
Viele Schwerbehindertenausweise werden zunรคchst befristet ausgestellt. Dies bedeutet, dass sich die Behรถrde vorbehรคlt, den Gesundheitszustand nach einer gewissen Zeit erneut zu รผberprรผfen. Vor Ablauf der Frist kรถnnen Betroffene eine Verlรคngerung beantragen oder es erfolgt eine automatische Aufforderung zur รberprรผfung.
Wer eine dauerhafte Verschlechterung feststellt, kann jederzeit einen รnderungsantrag (Verschlimmerungsantrag) stellen. Hier ist jedoch Vorsicht geboten, denn bei jeder Neufeststellung prรผft die Behรถrde den gesamten Gesundheitszustand. Es kann in seltenen Fรคllen vorkommen, dass der GdB herabgestuft wird, wenn die Unterlagen darauf hindeuten, dass sich das Krankheitsbild insgesamt verbessert hat.
Vor einem Verschlimmerungsantrag ist daher eine genaue Prรผfung der Befunde sinnvoll.
Was passiert, wenn man mit dem Bescheid unzufrieden ist?
Betroffene kรถnnen innerhalb der gesetzlichen Frist Widerspruch gegen den Bescheid einlegen, wenn sie den GdB fรผr zu niedrig halten oder ein Merkzeichen nicht anerkannt wird. Sollte dem Widerspruch nicht stattgegeben werden, bleibt noch der Klageweg vor dem Sozialgericht.
Gerade im Bereich Sozialrecht ist es hรคufig hilfreich, sich an erfahrene Beratungsstellen oder Interessenvertretungen zu wenden, die die Rechtslage einschรคtzen und das Verfahren begleiten kรถnnen.
Wo findet man kompetente Unterstรผtzung?
Der Sozialverband VdK ist ein mรถglicher Ansprechpartner fรผr Fragen rund um das Sozialrecht und den Grad der Behinderung. In den Beratungsstellen erhalten Hilfesuchende Unterstรผtzung bei der Antragstellung, der Durchsicht รคrztlicher Befunde und der Prรผfung, ob ein รnderungsantrag sinnvoll ist.
Ebenso vertreten die juristischen Fachleute die Mitglieder bei Bedarf gegenรผber den Behรถrden oder vor Gericht. Wer nicht sicher ist, wie aussagekrรคftig die eigenen Befundberichte sind oder welche Nachteilsausgleiche mรถglich sind, kann sich telefonisch oder persรถnlich an die nรคchste VdK-Beratungsstelle wenden.
Dort wird gemeinsam geklรคrt, welche Schritte eingeleitet werden sollten.
Welche Fragen bleiben offen?
Gerade bei chronischen Erkrankungen ist jeder Fall individuell. Oft lassen sich die genauen Auswirkungen auf den Alltag nicht eindeutig in Diagnosekategorien pressen. Wer Rat sucht, kann sich an den VdK wenden oder weitere spezialisierte Beratungsangebote nutzen.
Sollten sich Fragen zu speziellen Themen wie Parkausweisen, steuerlichen Freibetrรคgen oder individuellen Merkzeichen ergeben, lohnt sich eine persรถnliche Beratung. Wichtig ist es immer, den gesamten gesundheitlichen Zustand realistisch abzubilden, alle Befunde einzuholen und sich im Zweifelsfall rechtzeitig professionelle Unterstรผtzung zu sichern.