Seit der Einführung des Bürgergelds zum 1. Januar 2023 ist die öffentliche Debatte um sogenannte „1-Euro-Jobs“ neu entflammt. Zwar hat sich am zugrundeliegenden Gesetz, dem Sozialgesetzbuch II (SGB II), nach Auskunft vieler Expertinnen und Experten wie dem Sozialrechtsexperten Dr. Utz Anhalt auf den ersten Blick nichts Wesentliches verändert: Die Verpflichtung, eine Arbeitsgelegenheit (umgangssprachlich „1-Euro-Job“) anzutreten, konnte bereits vor dem Bürgergeld über Sanktionen durchgesetzt werden.
Dennoch häufen sich Berichte darüber, dass Jobcenter vermehrt Druck auf Leistungsberechtigte ausüben. Neu daran ist vor allem eine fachliche Weisung der Bundesagentur für Arbeit (BA), die nicht nur „Maßnahmeverweigerer“, sondern jetzt auch „Terminverweigerer“ und „Kooperationsverweigerer“ ins Visier nimmt. “Die BA hat die Jagd auf Bürgergeld-Bezieher eröffnet”, sagt Anhalt.
Was steht bisher im Gesetz und was hat sich formal geändert?
Bis Ende 2022 war in § 2 SGB II ausdrücklich genannt, dass es zu einer Pflichtverletzung führt, wenn man sich weigert, eine Arbeitsgelegenheit nach § 16d SGB II anzutreten.
Diese direkte Bezugnahme auf § 16d ist mit Einführung des Bürgergelds herausgefallen. Dennoch wurde die Möglichkeit der Sanktion für das Nichtantreten von 1-Euro-Jobs in § 31 Absatz 3 SGB II beibehalten, da dort allgemein von „zumutbaren Maßnahmen zur Eingliederung in Arbeit“ gesprochen wird.
Wer eine solche Maßnahme oder Arbeitsgelegenheit ablehnt, riskiert nach § 31a SGB II weiterhin Sanktionen in Höhe von 10, 20 oder 30 Prozent der Regelleistung – je nach Stufe und Häufigkeit des Verstoßes.
Welche Rolle spielt die neue fachliche Weisung der Bundesagentur für Arbeit?
Am 23. Oktober 2024 – so ist es zumindest in einer internen Information der BA genannt – erging eine neue fachliche Weisung, die den Einsatz von 1-Euro-Jobs gegen Leistungsbeziehende konkretisieren soll.
Diese Weisung geht laut Kritikern über das hinaus, was im Rahmen der sogenannten „Wachstumsinitiative“ der Bundesregierung angekündigt war. Denn während dort in Punkt 23e lediglich von „Totalverweigerern“ bei Maßnahmen die Rede ist, nennt die BA in ihrer Weisung nun explizit auch Personen, die wiederholt nicht zu Terminen erscheinen oder keinen Kooperationsplan mit dem Jobcenter abschließen (oder fortschreiben) wollen.
Diese sollen über eine Zuweisung in eine Arbeitsgelegenheit „zu mehr Mitwirkungsbereitschaft“ bewegt werden.
„Terminverweigerer“ und „Kooperationsverweigerer“
Die Kritik entzündet sich vor allem daran, dass der Kreis der Betroffenen ausgeweitet wird. Ursprünglich galten 1-Euro-Jobs vor allem als Eingliederungsinstrument für Menschen, die als „arbeitsmarktfern“ gelten, etwa Langzeitarbeitslose, Rehabilitandinnen und Rehabilitanden.
Nun aber rückt die BA laut ihrer Weisung explizit auch jene Personen in den Fokus, die lediglich Termine nicht wahrnehmen oder die Inhalte eines Kooperationsplans nicht unterzeichnen wollen. Kritikerinnen und Kritiker monieren, dies führe zu Repression statt zu sinnvoller Unterstützung.
Worin liegt das Problem bei den 1-Euro-Jobs selbst?
1-Euro-Jobs sollen laut Gesetz „zusätzlich“ und „im öffentlichen Interesse“ sein. Das bedeutet, die Tätigkeit darf keine regulären Stellen verdrängen. In der Praxis wurde dieses Kriterium jedoch oft missachtet: Immer wieder deckten Recherchen auf, dass reguläre Arbeitsplätze etwa in der Landschaftspflege, der Straßenreinigung oder im Verkauf durch 1-Euro-Kräfte ersetzt wurden.
Zudem kritisieren Arbeitsmarktforschende seit Jahren die geringe Wirksamkeit von 1-Euro-Jobs in Bezug auf eine nachhaltige Eingliederung in den ersten Arbeitsmarkt. Studien belegten, dass die Chancen auf eine reguläre Beschäftigung durch die Teilnahme an diesen Maßnahmen oft nicht steigen, sondern teilweise sogar sinken.
Wie werden diese 1-Euro-Jobs finanziert und profitieren davon wirklich nur die Träger?
Die Finanzierung der Arbeitsgelegenheiten erfolgt aus dem Topf der aktiven Arbeitsmarktpolitik. Gemeinnützige Träger oder Vereine, die solche Stellen anbieten, erhalten in der Regel Zuschüsse von den Jobcentern. Kritiker sprechen hier von einer „Lukrativität“ für die annehmenden Träger, während die Teilnehmenden nur eine Mehraufwandsentschädigung von oftmals rund einem Euro pro Stunde erhalten.
Gleichzeitig weisen Beobachter darauf hin, dass diese geförderte Beschäftigungsform Sozialversicherungsbeiträge einspart und dadurch geringere Kosten für die Einrichtung bedeutet, als wenn reguläre Stellen mit Tarif- oder Mindestlohn geschaffen würden.
Diese Subvention führe nicht nur zu einer Verzerrung des Arbeitsmarktes, sondern laufe auch den Beteuerungen entgegen, man wolle den allseits beklagten Fachkräftemangel bekämpfen.
Mehr Bildung und Qualifizierung?
In politischen Diskussionen wird immer wieder darauf hingewiesen, dass Deutschland dringenden Bedarf an Fachkräften habe. Vor diesem Hintergrund fragen sich viele: “Warum werden nicht massiv Weiterbildungs- und Qualifizierungsangebote ausgebaut, statt die Menschen mit 1-Euro-Jobs zu beschäftigen?”, kritisiert der Sozialrechtsexperte Dr. Utz Anhalt.
Insbesondere das Nachholen von Schul- oder Berufsabschlüssen wäre laut Anhalt ein “langfristig wirkungsvolleres Instrument zur Arbeitsmarktintegration.”
Der Experte kritisiert zudem, dass viele Fortbildungsangebote entweder nicht bedarfsgerecht seien oder zu kompliziert beantragt werden müssten. Ein möglichst niederschwelliger Zugang zu beruflicher Bildung in Volkshochschulen oder anderen Bildungseinrichtungen fehle oft.
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Zielt der neue Druck tatsächlich auf „Totalverweigerer“ oder auf viel mehr Menschen?
Die Wachstumsinitiative sah offiziell eine gezielte Ansprache von Personen vor, die sich konsequent jeglicher Integrationsmaßnahme entziehen. Doch in der Auslegung der Bundesagentur für Arbeit werden auch relativ geringfügige „Verstöße“ – etwa das Versäumen einzelner Termine – als Grund angeführt, eine Arbeitsgelegenheit anzuordnen.
Ob diese neue, strengere Handhabung ihren Zweck erfüllt, ist umstritten. Gerade „Totalverweigerer“, die Sanktionen bereits kennen, werden sich möglicherweise auch von einer möglichen Kürzung um 10, 20 oder 30 Prozent der Regelleistung nicht beeindrucken lassen. Kritiker halten den Effekt für zweifelhaft und gehen von weiteren Konflikten, Widersprüchen und Klagen aus.
Welche Erfahrungen gibt es bereits und wie könnte ein Widerstand aussehen?
Erste Stimmen aus der Praxis berichten, dass Betroffene vermehrt Zuweisungen zu 1-Euro-Jobs erhalten, wenn sie Termine verpassen oder Maßnahmeangebote nicht annehmen wollen. Ob es sich dabei um Einzelfälle handelt oder ob ein breiter Trend vorliegt, lässt sich derzeit noch nicht sicher beurteilen.
In sozialen Netzwerken formiert sich jedoch Widerstand. Dort kursieren Ratschläge, wie man sich juristisch gegen unzumutbare Arbeitsgelegenheiten wehren kann – etwa durch Widersprüche, Klagen oder den Hinweis darauf, dass die Tätigkeit nicht „zusätzlich“ sei und damit rechtswidrig.
Auch wird diskutiert, wie sich gemeinsamer Protest organisieren ließe, wenn viele gleichzeitig Sanktionen in Kauf nähmen und die 1-Euro-Jobs verweigerten.
Wie sehen Befürworterinnen und Befürworter die 1-Euro-Jobs?
Nicht alle Expertinnen und Experten teilen die Kritik an den Arbeitsgelegenheiten. Einige argumentieren, 1-Euro-Jobs könnten Menschen, die lange nicht am Arbeitsmarkt aktiv waren, zumindest eine Tagesstruktur und soziale Kontakte bieten.
Für bestimmte Gruppen, etwa sehr arbeitsmarktferne Personen, könnten sie ein Einstieg sein.
Dieses Argument stoße allerdings schnell an Grenzen, so die Kritikerinnen und Kritiker, wenn die Maßnahme nur eingesetzt werde, um Sanktionen zu verhängen und Druck auszuüben. Entscheidend sei, dass eine echte Perspektive bestehe, die über den 1-Euro-Job hinausgehe.
Wohin führt die neue Praxis und was ist politisch zu erwarten?
Auf politischer Ebene ist das letzte Wort noch nicht gesprochen. Während einige Landesregierungen – wie exemplarisch in Essen, Schwerin oder Thüringen – bereits Modellprojekte mit gemeinnützigen Arbeitspflichten angekündigt oder gestartet haben, reagieren Sozialverbände und Gewerkschaften zunehmend alarmiert.
Sie mahnen an, dass die ohnehin knapp bemessenen Mittel im Bereich der Arbeitsvermittlung und Weiterbildung sinnvoller eingesetzt werden könnten, anstatt in ein Instrument zu investieren, dessen Nutzen unklar oder sogar kontraproduktiv sei.
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Carolin-Jana Klose ist seit 2023 Autorin bei Gegen-Hartz.de. Carolin hat Pädagogik und Sportmedizin studiert und ist hauptberuflich in der Gesundheitsprävention und im Reha-Sport für Menschen mit Schwerbehinderungen tätig. Ihre Expertise liegt im Sozialrecht und Gesundheitsprävention. Sie ist aktiv in der Erwerbslosenberatung und Behindertenberatung.