Jobcenter am Limit: Psychische Erkrankungen überfordern beim Bürgergeld

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Helena Steinhaus von der Initiative Sanktionsfrei e.V. schildert einen dramatischen Fall: „R. leidet an Depressionen und Angststörungen und ist daher arbeitsunfähig. Die Bescheinigung des Arztes lag dem Jobcenter vor.“

Harte Sanktionen wegen Terminversäumnis

Die psychisch Erkrankte wurde vom Jobcenter hart sanktioniert. Steinhaus schreibt: „Ihr Bürgergeld, einschließlich Miete, wurde plötzlich eingestellt, weil sie auf ein paar Schreiben nicht reagieren konnte und einen Termin verpasst hatte.“

Die Betroffene befindet sich in einer Notlage, verursacht durch das Jobcenter. Steinhaus berichtet: „Mietrückstände und noch schlimmere Ängste sind aufgekommen, Rücklage hat R keine. Sanktionsfrei springt mit Geld für Lebensmittel ein, und wir bemühen uns um ein Eilverfahren.“

Strafe für etwas, das Erkrankte nicht können

Das ist leider kein Einzelfall, im Gegenteil. Bei Sanktionsfrei e.V und auch bei “gegen-hartz” stapeln sich solche Fälle, in denen Jobcenter Menschen mit psychischen Erkrankungen hart sanktionieren wegen vermeintlich fehlender Mitwirkung, die diese Hilfebedürftigen aufgrund ihrer Erkrankung nicht leisten können.

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Psychisch Bedürftige sind besonders bedroht durch Sanktionen

Menschen mit psychischen Problemen und / oder Suchterkrankungen sind in besonderer Gefahr, vom Jobcenter wegen „fehlender Mitwirkung“ bestraft zu werden.

Genau diese Probleme, wegen denen das Jobcenter ihnen Leistungen streicht, sind meist bereits der Grund dafür, warum diese Hilfebedürftigen mit Bürgergeld überleben müssen. Statt diese Menschen zu unterstützen, drücken Jobcenter sie oft auch noch unter das Existenzminimum.

Auswirkungen der Krankheit werden zu fehlender Mitwirkung

Jeder und jede im sozialpsychiatrischen Dienst kennt Probleme, die psychologische Laien im Jobcenter als „fehlende Mitwirkung“ bestrafen. Eine Frau mit einer Angststörung traut sich nicht, zum Vorstellungsgespräch zu fahren, ein depressiv Erkrankter liegt bleischwer im Bett und schafft es nicht, einen Termin beim Jobcenter abzusagen. Ein Alkoholiker erscheint nicht zu einer Maßnahme der Behörde, weil er betrunken oder verkatert ist.

Verhalten des Jobcenters verschlimmert die Erkrankung

Alle diese Situationen können beim Jobcenter sofort zu Sanktionen führen. Besonders bei Suchterkrankungen und psychischen Problemen ist jedoch Vertrauen elementar, damit die Betroffenen überhaupt eine Chance bekommen, in den allgemeinen Arbeitsmarkt zu geraten. Bereits die Drohung mit Sanktionen verschärft diese Probleme.

Im Fall, den Helena Steinhaus schildert, wurden die Ängste der Frau, die an einer diagnostizierten Angststörung leidet, durch das rücksichtslose Vorgehen des Jobcenters schlimmer.

Sanktionen trotz ärztlicher Befunde

Zwar können Bürgergeld-Bezieher, die an psychischen Störungen wie Depressionen, Angststörungen oder Psychosen leiden, gegenüber dem Jobcenter mit ärztlichen Befunden nachweisen, dass ihre Erkrankung sie hindert, ihre Mitwirkungspflicht zu erfüllen.

Doch der von Steinhaus geschilderte Fall zeigt, dass Jobcenter auch dann hart zuschlagen, wenn solche Befunde vorliegen.

Fast jeder und jede Dritte im Bürgergeld-Bezug, die als erwerbsfähig gelten, leiden unter psychischen Problemen. Zwar sollte die psychosoziale Betreuung beim Bürgergeld im Vergleich zu Hartz IV verbessert werden, die Realität ist aber nach wie vor oft miserabel.

Depression ist eine schwere Erkrankung

Depressionen, wie im geschilderten Fall, sind eine schwere Erkrankung, über die psychiatrische Laien nach wie vor falsche Vorstellungen haben und sie für eine Art Befindlichkeitsstörung halten. Depressionen müssen von Fachleuten behandelt werden – sind die Erkrankten hingegen beim Jobcenter Laien in Machtpositionen ausgesetzt, dann kann das schlimmste Folgen haben. Immerhin sind nicht wenige depressiv Erkankte suizidgefährdet.

Depression ist der Grund für die Erwerbslosigkeit

Die Betroffenen verlieren wegen ihrer Depressionen ihre Arbeit, wegen ihrer Depression fällt es ihnen dann schwer, eine neue Arbeit zu finden, und inkompetente Mitarbeiter der Jobcenter verschärfen den Leidensdruck, weil ihnen das Minimum an Wissen über die Erkrankung fehlt.

Manche Beschäftigte der Jobcenter sind zumindest in der Lage, diese fehlende Qualifikation zumindest zu reflektieren.

Es fehlt die Qualifikation

So sagte Arbeitsvermittlerin Julia Westermann vom Jobcenter Berlin-Mitte: „Also das ist schon die Frage, die man sich vordergründig stellt: Ist es jetzt klug, ist es jetzt zielführend, das zu thematisieren? Darf ich das überhaupt? Weil, diagnostizieren kann ich das nicht und ich kann auch nicht die richtige Behandlung empfehlen, dafür sind wir ja nicht qualifiziert.“

Inkompetente bestrafen Hilfebedürftige

Der traurige Fall, den Helena Steinhaus schildert, zeigt leider, dass immer wieder Jobcenter zu einer solchen kritischen Selbsteinschätzung nicht in der Lage sind. Statt die eigene ungenügende Qualifikation zu erkennen, bestrafen sie diejenigen, die den Sozialstaat dringend benötigen – die psychisch Erkrankten.