„Stützempfänger schulden dem Staat vier Milliarden Euro.“ Einige Boulevardmedien suggerieren damit, dass Menschen, die Bürgergeld oder Sozialhilfe beziehen, verantwortlich für ein riesiges Loch in der Staatskasse seien.
Als Beispiele werden nicht fristgerecht zurückgezahlte Darlehen (z. B. für Reparaturen in der Wohnung) oder Überzahlungen genannt, die im Nachhinein wieder eingefordert werden.
Insbesondere die „Bild“ hat in der jüngsten Berichterstattung den Eindruck erweckt, dass ein gigantischer Berg an Schulden vorliegt, den es um jeden Preis einzutreiben gelte.
Neu ist nun, dass sich die negative Stimmung nicht nur gegen erwerbsfähige Bürgergeld-Beziehende richtet, sondern auch gegen Bezieherinnen und Bezieher von Grundsicherung, die z. B. im Alter oder wegen Erwerbsminderung Sozialhilfe nach dem SGB XII erhalten.
Viele Betroffene fühlen sich angesichts dessen abgestempelt: Die Forderung nach Rückzahlung wird oft an Menschen herangetragen, die kaum über das Existenzminimum hinauskommen. Doch sind diese Außenstände tatsächlich so einfach einzutreiben?
„Wie steht es um die Vermögen in Deutschland und warum trifft die Kritik gerade die Ärmsten?“
In der Debatte taucht immer wieder die Frage auf: „Wieso richtet man sich ausgerechnet gegen Menschen, die ohnehin kaum etwas besitzen?“
Kritiker, wie der Sozialrechtsexperte Dr. Utz Anhalt verweisen darauf, dass es “in Deutschland laut Schätzungen über 120 Milliardäre gibt und man sich stattdessen besser um eine fairere Besteuerung von hohen Vermögen kümmern solle.”
Die Frustration unter einigen Bürgergeld-Beziehenden: „Warum werden wir in die Enge getrieben, wenn wir ohnehin nichts haben, während sich große Vermögen einer konsequenten Besteuerung entziehen?“
Genau hier liegt der Kern der Empörung: Menschen, die ohnehin am Existenzminimum leben, fühlen sich noch weiter unter Druck gesetzt. Und das zurecht.
Können Bürgergeld oder Grundsicherung überhaupt gepfändet werden?
Rein rechtlich lässt sich festhalten:
- Sozialleistungen (dazu zählen Bürgergeld bzw. frühere Arbeitslosengeld-II-Leistungen sowie Grundsicherung) sind zunächst unpfändbar. Das regelt § 42 Abs. 4 SGB II (für Bürgergeld) bzw. § 54 SGB I und § 90 SGB XII (für Sozialhilfe/Grundsicherung).
- Der Anspruch selbst (also die noch nicht ausgezahlte Leistung) kann nicht übertragen oder gepfändet werden. Ein Gläubiger könnte also nicht direkt beim Jobcenter oder der Sozialbehörde die Auszahlung des Geldes an sich verlangen.
Allerdings gibt es einen Haken: Sobald das Geld auf dem Konto des Leistungsbeziehers eingegangen ist, kommt das Zivilrecht zum Zug. Denn grundsätzlich kann jedes Guthaben auf einem Bankkonto im Rahmen der rechtlichen Bestimmungen gepfändet werden – es sei denn, es fällt unter die Pfändungsfreigrenzen und wird durch ein sogenanntes P-Konto (Pfändungsschutzkonto) geschützt.
Was ist ein P-Konto und warum ist es so wichtig?
Ein P-Konto ist ein Girokonto, das speziell auf Pfändungsschutz ausgelegt ist. Es sorgt dafür, dass Einkünfte bis zur Pfändungsfreigrenze (dem monatlichen Freibetrag) nicht gepfändet werden können.
Wie hoch ist die Pfändungsfreigrenze?
Die Pfändungsfreigrenze bestimmt, wie viel Geld einer Person nicht gepfändet werden darf, um ihr Existenzminimum zu sichern. Seit 1. Juli 2024 liegt der unpfändbare Grundfreibetrag für eine alleinstehende Person bei 1.491,75 Euro monatlich. Dieser Betrag steigt an, wenn Unterhaltspflichten bestehen (z. B. für Kinder).
Warum greift der Pfändungsschutz nicht automatisch für alle?
Wer kein P-Konto hat, genießt auch nicht automatisch Pfändungsschutz in entsprechender Höhe.
Auf einem gewöhnlichen Girokonto kann ein Gläubiger bei einer Kontopfändung im Zweifel alles über dem unbedingten Existenzminimum einziehen, da das Geld nicht als „explizit geschützt“ gekennzeichnet ist. Darum raten Schuldnerberatungsstellen, bei finanziellen Schwierigkeiten schnellstmöglich ein P-Konto einzurichten.
Wie richte ich ein P-Konto ein?
Jede Bank ist verpflichtet, ein bestehendes Girokonto auf Antrag kostenfrei in ein P-Konto umzuwandeln.
Es darf nicht teurer sein als das normale Girokonto. Teilweise verlangen Banken Nachweise (etwa Leistungsbescheide oder Bescheinigungen von Schuldnerberatungen).
In vielen Fällen reicht jedoch ein formaler Antrag; hier empfiehlt sich vorab ein Gespräch mit der Bank oder eine kurze Nachfrage bei einer Schuldnerberatung.
Kann ich mit einem P-Konto nie wieder gepfändet werden?
Der Pfändungsschutz greift nur bis zur jeweiligen Freigrenze. Liegt das monatliche Einkommen (z. B. Bürgergeld oder Sozialhilfe) unterhalb dieses Freibetrags, kann in der Regel nichts gepfändet werden.
Wer allerdings Geld anspart, sodass das Guthaben über die Freigrenze hinausgeht, kann über den überschüssigen Betrag gepfändet werden.
Doch in vielen Fällen (gerade bei Leistungsbeziehenden) liegt das monatliche Einkommen ohnehin deutlich unter dieser Grenze, sodass das P-Konto effektiv Schutz bietet.
Was passiert, wenn Inkasso-Unternehmen Forderungen stellen, ich aber nichts habe?
Angenommen, jemand bezieht Bürgergeld oder Grundsicherung, hat kein verwertbares Vermögen (z. B. kein Auto, kein nennenswertes Sparguthaben) und liegt mit seinen Einkünften unter der Pfändungsfreigrenze.
In diesem Fall kann es für Gläubiger sehr schwer sein, tatsächlich Geld einzutreiben. Häufig versuchen Inkasso-Firmen oder auch die Agentur für Arbeit, Druck über Mahnschreiben, Anrufe oder das Einleiten gerichtlicher Verfahren aufzubauen.
Doch was bedeutet das konkret?
- Pfändung des Kontos: Ohne P-Konto könnte der Kontostand im schlimmsten Fall leergeräumt werden. Mit P-Konto bleibt das Existenzminimum jedoch geschützt.
- Gerichtsvollzieher: Bei der Sachpfändung werden nur verwertbare Gegenstände mitgenommen; essentieller Hausrat und einfache Einrichtungsgegenstände sind unpfändbar. Wer weder wertvolle Möbel noch andere pfändbare Gegenstände besitzt, hat faktisch wenig zu befürchten.
- Ratenzahlungsvereinbarungen: Viele Inkasso-Unternehmen versuchen, freiwillige Raten abzuschließen – selbst kleine Beträge wie 5 Euro im Monat. Rein rechtlich muss niemand zahlen, der nachweislich nicht über Pfändungsfreigrenze oder „pfändbares Eigentum“ verfügt.
- Langfristige Folgen: Forderungen können über Jahre bestehen bleiben, inklusive auflaufender Mahngebühren. Wenn sich die finanzielle Situation irgendwann bessert (z. B. durch ein höheres Einkommen über der Pfändungsfreigrenze), kann es zu einer späten Eintreibung kommen. Das ist der Grund, weshalb manche Personen vorsorglich Kleinstraten zahlen, um den Schuldenberg nicht wachsen zu lassen. Eine individuelle Beratung (z. B. Schuldnerberatung) ist hier sinnvoll.
Was, wenn die Forderungen ewig bleiben?
Verjährungsfristen und Mahnverfahren sind wichtig in diesem Zusammenhang:
- Oft verjähren Forderungen nach drei Jahren (§ 195 BGB), wobei es verschiedene Ausnahmen und Unterbrechungen (z. B. durch gerichtliche Titel) gibt.
- Sobald ein Titel (etwa ein Vollstreckungsbescheid) erwirkt wurde, kann die Forderung bis zu 30 Jahre lang durchgesetzt werden.
- Wer also plant, sich aus einer schwierigen finanziellen Lage zu befreien, muss damit rechnen, dass ältere Schulden irgendwann erneut eingefordert werden können.
„Welche Schlüsse lassen sich daraus ziehen?“
Die in den Medien genannten vier Milliarden Euro sind in der Summe zwar beachtlich, verteilen sich aber auf eine sehr große Anzahl von Leistungsbeziehenden und umfassen unterschiedliche Konstellationen (z. B. Erstattungen zu viel gezahlter Beträge, Darlehen vom Jobcenter, etc.). Daraus eine mediale Skandalstory zu machen, trifft die Falschen – nämlich diejenigen, die ohnehin wenig haben.
Bürgergeld und Grundsicherung an sich sind unpfändbar, doch das Guthaben auf einem normalen Girokonto kann ohne P-Konto trotzdem ins Visier von Gläubigern geraten.
Wer sich effektiv vor Pfändungen schützen möchte, sollte über ein P-Konto nachdenken. Gerade für Personen mit geringen Einkünften ist dieser Schritt sinnvoll, um das Existenzminimum zu wahren.
Wer von Mahnungen und Inkasso-Forderungen betroffen ist, findet bei Verbraucherzentralen oder gemeinnützigen Schuldnerberatungen kompetente Unterstützung.
Menschen, die nichts besitzen und unter der Pfändungsfreigrenze leben, haben selten wirklich etwas zu befürchten, wenn sie ihr Konto schützen. Allerdings können Forderungen über lange Zeit bestehen bleiben. Sollte sich die eigene finanzielle Lage verbessern, kann das Thema Inkasso wieder brisant werden.
Alles nur heiße Luft
Die öffentlichkeitswirksame Kritik an Bürgergeld- und Grundsicherungsbeziehenden erzeugt den Eindruck, als würden gerade die Ärmsten der Gesellschaft den Staat in den Ruin treiben. Tatsächlich handelt es sich häufig um juristische Rückforderungen von Leistungen, die teils fehlerhaft berechnet oder als Darlehen vergeben wurden.
Das Sozialrecht sichert Bürgergeld und Grundsicherung zunächst vor direkter Pfändung. Doch wer nicht aufpasst oder nicht über ein P-Konto verfügt, läuft Gefahr, dass sein Konto trotzdem gepfändet wird.
Bei konsequenter Einrichtung eines Pfändungsschutzkontos und bei Nichtvorhandensein pfändbarer Werte, ist ein Großteil der Drohungen von Inkasso-Unternehmen zahnlos. Allerdings können Forderungen sich über Jahre hinziehen und bei finanziellen Veränderungen später doch vollstreckt werden.
Betroffene sollten sich gut informieren, rechtzeitig über ein Pfändungsschutzkonto nachdenken und im Zweifel auf professionelle Schuldnerberatung setzen.
Denn wo nichts zu holen ist, kann in der Regel auch nichts geholt werden – die mediale Skandalisierung ändert daran wenig. Der eigentliche Schuldenberg bleibt häufig eine rechnerische Größe, an der sich zwar politische Debatten entzünden, für die Betroffenen jedoch viel unnötige Angst und Druck erzeugt wird.
Fazit: Ein kühler Kopf und fundierte Informationen sind das beste Mittel gegen Pauschalverurteilungen und Drohszenarien. Niemand sollte sich einschüchtern lassen, ohne vorher seine Rechte zu kennen.
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