Jobcenter: Zu viel gezahlte Miete steht nicht dem Mieter zu

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Der Umgang mit rรผckwirkenden Mietforderungen beschรคftigt immer wieder die Gerichte. Ein aktuelles Beispiel liefert eine Entscheidung des Landgerichts Berlin vom 19. April 2023 (Az. 64 S 190/21). Dabei ging es um einen Mieter, der Leistungen nach dem SGB II erhielt und dennoch eine Rรผckerstattung angeblich zu hoher Mietzahlungen verlangte.

Letztlich musste das Landgericht die Klage abweisen. Der Grund: Sobald Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts flieรŸen, gehen bestimmte Forderungen des Mieters automatisch auf den zustรคndigen Leistungstrรคger โ€“ hier also das Jobcenter โ€“ รผber.

Dieser Beitrag zeigt, wie es zur Auseinandersetzung kam, weshalb der Mieter am Ende leer ausging und welche Rolle ยง 33 Abs. 1 SGB II dabei spielt.

Hintergrund des Falls: Mietverhรคltnis, Grundsicherung und Streit um รผberhรถhte Miete

Im Mittelpunkt stand eine 49,04 mยฒ groรŸe Zweizimmerwohnung in Berlin-Plรคnterwald. Vermietet wurde sie zum 1. September 2018 an zwei Personen, die jeweils getrennte Haushalte fรผhrten und keine Bedarfsgemeinschaft bildeten.

Die vereinbarte Nettokaltmiete lag bei 850 Euro, was einem Quadratmeterpreis von 17,33 Euro entsprach, hinzu kamen Nebenkostenvorschรผsse, sodass sich die Gesamtmiete auf monatlich 984,86 Euro belief.

Einer der beiden Mieter, der spรคter als Klรคger auftrat, zahlte seinen Mietanteil zunรคchst fรผr September 2018 selbst. Ab Oktober 2018 รผbernahm jedoch das zustรคndige Jobcenter die monatlichen Mietzahlungen, da der Klรคger Leistungen nach dem SGB II erhielt.

Die Zahlungen an die Vermieterin erfolgten also direkt vom Jobcenter, entsprachen aber formal dem Mietanteil des Klรคgers.

Erstinstanzliches Urteil: Amtsgericht Kรถpenick spricht Rรผckzahlung zu

Nachdem das Mietverhรคltnis beendet war, forderte der Mieter Teile der gezahlten Mieten zurรผck. Nach seiner Auffassung war die Miete gleich in mehrfacher Hinsicht unrechtmรครŸig:

  1. VerstoรŸ gegen die Mietpreisbremse: GemรครŸ ยงยง 556d ff. BGB dรผrfe die Miete bei Wiedervermietung ein bestimmtes MaรŸ nicht รผberschreiten.
  2. Sittenwidrig รผberhรถhte Miete (Mietwucher): Die geforderte Nettokaltmiete sei doppelt so hoch wie die ortsรผbliche Vergleichsmiete und damit objektiv รผberzogen. Zudem habe die Vermieterin die wirtschaftlich schwรคchere Stellung des Mieters ausgenutzt.
  3. Wasserschaden und vollstรคndige Mietminderung: Fรผr den Zeitraum vom 15. September 2019 bis zum 23. Mรคrz 2020 sei die Wohnung wegen eines Wasserschadens faktisch nicht nutzbar gewesen.

Das Amtsgericht Kรถpenick entschied zugunsten des Mieters und seines damaligen Mitbewohners und verurteilte die Vermieterin dazu, insgesamt 11.513,77 Euro nebst Zinsen zu erstatten. In seiner Begrรผndung verwies das Gericht darauf, dass die Miete derart deutlich รผber dem ortsรผblichen Niveau liege, dass eine Sittenwidrigkeit nach ยง 138 BGB gegeben sei.

Ebenso sah es den Wasserschaden als so erheblich an, dass die Miete wรคhrend dieses Zeitraums sogar vollstรคndig gemindert gewesen sei.

Berufung vor dem Landgericht Berlin: Warum die Klage scheiterte

Die Vermieterin legte gegen die Entscheidung Berufung ein โ€“ mit Erfolg. Das Landgericht Berlin hob das erstinstanzliche Urteil auf und wies die Klage ab. Diese Entscheidung basierte jedoch nicht darauf, ob die Miete tatsรคchlich รผberhรถht oder ein Mangel vorhanden war.

Vielmehr ging es um die Frage, wer รผberhaupt berechtigt ist, die Forderung auf Mietrรผckzahlung geltend zu machen.

Kernfrage: Wem steht der Anspruch auf Rรผckzahlung zu?

Nach Auffassung des Landgerichts Berlin fehlte es dem Mieter an der sogenannten Aktivlegitimation. Zwar hรคtte unter Umstรคnden eine Rรผckforderung unrechtmรครŸig vereinnahmter Miete entstehen kรถnnen, doch gelte ยง 33 Abs. 1 SGB II.

Diese Vorschrift sieht vor, dass Ansprรผche einer Person, die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts bezieht, automatisch in einem bestimmten Umfang an den Leistungstrรคger (Jobcenter) รผbergehen. Entscheidend ist, dass die Forderung wรคhrend des Bezugszeitraums entsteht und die rechtzeitige Leistung durch den Vermieter kรผnftige Sozialleistungen reduziert hรคtte.

Im konkreten Fall zahlte das Jobcenter die Miete nahezu vollstรคndig. Wรคre ein Teil der Miete nicht angefallen oder hรคtten sich spรคter Erstattungsansprรผche ergeben, hรคtte das Jobcenter die Zahlungen im Folgemonat kรผrzen kรถnnen (ยง 22 Abs. 3 SGB II). Damit unterliegen die Rรผckforderungsansprรผche aus den fraglichen Monaten dem gesetzlichen Forderungsรผbergang und gehรถren nicht mehr dem Mieter selbst.

Rechtsgrundlage ยง 33 Abs. 1 SGB II: รœberleitung der Ansprรผche an das Jobcenter

Der zentrale Mechanismus findet sich in ยง 33 Abs. 1 SGB II. Danach gehen Forderungen von Leistungsbeziehern gegen Dritte auf das Jobcenter รผber, wenn diese Forderungen in einem Zeitraum fรคllig werden, fรผr den Sozialleistungen erbracht wurden.

Die rechtzeitige Erfรผllung durch den Dritten hรคtte nรคmlich dazu gefรผhrt, dass im Folgemonat weniger รถffentliche Mittel gezahlt werden mรผssten.

Anwendungsbereich: Erfasst sind alle finanziellen Forderungen gegen einen Nicht-Leistungstrรคger, die wรคhrend des Bezugs entstehen und den Bedarf des Hilfebedรผrftigen mindern wรผrden.
Rechtsfolgen: Der Hilfebedรผrftige kann den Anspruch nicht lรคnger in eigenem Namen einfordern, weil die Forderung auf das Jobcenter รผbergeht.

Erst wenn das Jobcenter den Anspruch nach ยง 33 Abs. 4 SGB II rรผckรผbertrรคgt oder den Mieter zur Durchsetzung ermรคchtigt, darf der ursprรผngliche Leistungsbezieher selbst klagen und die Erstattung verlangen.

Bedeutung fรผr Mieter und Vermieter: Hรคufig unterschรคtztes Risiko

Die Entscheidung des Landgerichts Berlin macht deutlich, dass eine vermeintlich klare Forderung auf Mietrรผckzahlung schnell scheitern kann, wenn sie in den Zeitraum des Sozialleistungsbezugs fรคllt und das Jobcenter nicht aktiv wird. Fรผr alle Beteiligten ergeben sich daraus wichtige Lehren:

Mieter sollten frรผhzeitig prรผfen, ob ein Teil ihrer Ansprรผche bereits an das Jobcenter รผbergegangen ist. Kommt es zu Rรผckzahlungsansprรผchen oder Mietminderungen wรคhrend des Leistungsbezugs, kann eine Rรผckabtretung (ยง 33 Abs. 4 SGB II) nรถtig sein, damit sie selbst klagen dรผrfen.

Vermieter mรผssen damit rechnen, dass nicht der Mieter, sondern das Jobcenter als Forderungsinhaber agieren kann, wenn es um Rรผckzahlungen geht.

Jobcenter sind gehalten, รผber Antrรคge auf Rรผckabtretung oder Ermรคchtigung zur Rechtsverfolgung zu entscheiden. In der Praxis kann dies jedoch zu Verzรถgerungen fรผhren, wie das Verhalten des Jobcenters Treptow/Kรถpenick im vorliegenden Fall zeigt.

Revision zugelassen: Grundsรคtzliche Bedeutung fรผr weitere Verfahren

Neben der Frage nach einer รผberzogenen Miete war hier besonders relevant, wie weit ยง 33 Abs. 1 SGB II zu verstehen ist. Das Landgericht Berlin schloss sich der Rechtsprechung des Landgerichts Hamburg an, wonach jeder Rรผckzahlungsanspruch aus dem Mietverhรคltnis, der im Leistungsbezug entsteht, รผbergeht.

Gleichzeitig lieรŸ das Gericht die Revision zum Bundesgerichtshof zu, da es diese Rechtsfrage fรผr grundlegend hรคlt. In vielen Mietstreitigkeiten, bei denen ein Mieter Sozialleistungen empfรคngt, kann sie kรผnftig entscheidend sein:

  • Klagen auf Rรผckzahlung rechts grundlos geleisteter Miete kรถnnten in groรŸer Zahl an der fehlenden Aktivlegitimation scheitern.
  • Jobcenter mรผssen bewerten, ob sie Ansprรผche zurรผckรผbertragen oder selbst geltend machen.
  • Kommt es nicht rechtzeitig zur Rรผckabtretung oder Ermรคchtigung, laufen Mieter Gefahr, ihre Ansprรผche nicht durchsetzen zu kรถnnen.