Krankengeld bei Burnout: Krankenkassen machen jetzt Druck

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Wer in Deutschland lรคnger als sechs Wochen arbeitsunfรคhig ist, rutscht รผblicherweise in das sogenannte Krankengeld. Fรผr viele Betroffene ist dies bereits eine psychische Belastung: Die Erkrankung selbst stellt den Alltag auf den Kopf, gleichzeitig mรผssen die Betroffenen sich mit Formalitรคten und Vorgaben ihrer Krankenkasse auseinandersetzen.

Besonders Menschen mit einem psychischen Leiden wie einer Angststรถrung oder Depression empfinden den Druck hรคufig als noch hรถher und geraten nicht selten in schwierige Situationen.

Gerade bei psychischen Erkrankungen kann der Bezug von Krankengeld problematisch sein. Daher erklรคren wir, welche Methoden manche Krankenkassen anwenden und worauf Betroffene unbedingt achten sollten.

Krankenkassen agieren deshalb anders

Psychische Erkrankungen haben in den letzten Jahren deutlich zugenommen. Ob Burn-out, Depression oder Angsterkrankungen: Viele Betroffene erleben starke Einschrรคnkungen im Berufs- und Privatleben. Gleichzeitig nimmt der Anteil dieser Krankheitsbilder an den Gesamtkosten des Krankengelds merklich zu.

Einige Krankenkassen scheinen diese Entwicklung genau im Blick zu haben. Immer wieder schildern Ratsuchende, dass gerade bei einer psychischen Erkrankung mehr Nachfragen gestellt oder zusรคtzliche Hรผrden aufgebaut werden.

Zwar gibt es viele Krankenkassen, die nicht so agieren, doch es lassen sich immer wieder Fรคlle beobachten, in denen Menschen mit seelischen Problemen besonders stark unter Druck gesetzt werden.

Welche Strategien wenden manche Krankenkassen an?

Besonders fรผr Menschen, deren psychische Stabilitรคt angegriffen ist, kรถnnen gewisse Vorgehensweisen der Krankenkassen zur Belastung werden:

  1. Telefonterror statt Fรผrsorge?
    Viele Versicherte berichten, dass sie schon wรคhrend der Krankschreibung immer wieder von ihrer Krankenkasse angerufen werden. Was als harmloses, fรผrsorgliches Nachfragen beginnt (โ€žWie geht es Ihnen? Wie kann es weitergehen?โ€œ), wandelt sich manchmal in ein regelrechtes โ€žAnruf-Dauerfeuerโ€œ. Betroffene fรผhlen sich bedrรคngt, wenn der Tonfall plรถtzlich fordernd wird (โ€žSind Sie etwa immer noch krank?โ€œ).Tipp: Sollten die Anrufe รผberhandnehmen oder in ihrer Art unangemessen sein, haben Sie das Recht, auf eine schriftliche Kommunikation zu bestehen. Ein kurzer Hinweis an den Sachbearbeiter genรผgt, dass Sie fortan alles nur noch per Brief oder E-Mail regeln mรถchten.
  2. Die scheinbar โ€žgute Ideeโ€œ der Kรผndigung
    In manchen Beratungsgesprรคchen raten Sachbearbeiter:innen bei psychischen Erkrankungen unverblรผmt dazu, den Arbeitsplatz aufzugeben. Begrรผndung: Das Arbeitsumfeld habe die Erkrankung mรถglicherweise ausgelรถst โ€“ da kรถnne doch eine Kรผndigung an der โ€žWurzel des Problemsโ€œ ansetzen. Betroffene sollten hier unbedingt Vorsicht walten lassen. Auch wenn es verlockend klingen mag, sich einer belastenden Situation schnell zu entziehen, kann eine รผbereilte Kรผndigung erhebliche finanzielle Nachteile mit sich bringen.

Warum ist eine vorschnelle Kรผndigung gefรคhrlich?

Wer selbst kรผndigt, sollte sich bewusst sein, dass finanzielle EinbuรŸen drohen. Eine Sperrzeit beim Arbeitslosengeld kann ebenso mรถglich sein wie weitere Leistungskรผrzungen. Gerade wenn Betroffene noch gar nicht absehen kรถnnen, ob sie wirklich dauerhaft nicht in ihrem alten Job arbeiten kรถnnen, ist der Schritt meist zu radikal.

Unabhรคngige Beratung: Bevor Sie eine Kรผndigung erwรคgen, ist es ratsam, externe Hilfe einzuholen. Sozialverbรคnde, Beratungsstellen oder ein Rechtsbeistand kรถnnen wertvolle Informationen liefern und gemeinsam mit Ihnen herausfinden, ob eine Kรผndigung wirklich sinnvoll oder eher ein Schnellschuss ist.

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Was passiert, wenn das Krankengeld auslรคuft?

Krankengeld wird รผblicherweise bis zu 78 Wochen (innerhalb von drei Jahren) fรผr dieselbe Krankheit gezahlt. Doch nicht alle Betroffenen nutzen diese Zeit vollstรคndig aus. Einige kehren vorzeitig in den Job zurรผck โ€“ andere haben das Problem, dass sie lรคnger erkrankt sind und somit eine Anschlusslรถsung benรถtigen.

  • Nahtlosigkeitsregelung: Lรคuft das Krankengeld aus, melden sich viele Betroffene bei der Agentur fรผr Arbeit, um Arbeitslosengeld zu beantragen. An dieser Stelle kommt die sogenannte Nahtlosigkeitsregelung ins Spiel. Diese besagt, dass der Anspruch auf Arbeitslosengeld (gemรครŸ ยง 145 SGB III) auch dann bestehen kann, wenn Menschen krankheitsbedingt vorรผbergehend nicht vermittelbar sind. Allerdings ist diese Regelung an Bedingungen geknรผpft und wird von der Arbeitsagentur oftmals genau geprรผft.

Fรผr psychisch erkrankte Menschen kann diese Situation besonders belastend sein: Der bisherige Arbeitsvertrag besteht mรถglicherweise weiterhin, man ist aber krank und soll sich gleichzeitig arbeitslos melden. Das verursacht oft zusรคtzlichen Stress und kann den Genesungsprozess erschweren.

Nahtlosigkeitsregelung bei psychischen Erkrankungen

Gerade weil psychische Leiden hรคufig in Schรผben oder unklaren Verlรคufen auftreten, sind Betroffene oft in einer Grauzone: Sie sind noch nicht wieder arbeitsfรคhig, aber es ist auch nicht sicher, ob sie jemals in den alten Job zurรผckkehren.

  • Achtung Fallstricke: Wer sich arbeitslos meldet, muss sich theoretisch dem Arbeitsmarkt zur Verfรผgung stellen. Auch wenn in der Praxis nicht immer erwartet wird, sofort Bewerbungen zu verschicken, kann schon das Gefรผhl, sich bewerben zu mรผssen, Druck ausรผben. Fรผr Menschen mit psychischen Erkrankungen kann dies eine zusรคtzliche Belastung bedeuten.

Wann kommt die Erwerbsminderungsrente ins Spiel?

Wenn klar wird, dass weder Krankengeld noch Arbeitslosengeld die langfristige Lรถsung bieten, rรผckt oft die Erwerbsminderungsrente (EM-Rente) ins Blickfeld. Dies ist eine Rentenleistung fรผr Menschen, die wegen Krankheit oder Behinderung nicht mehr oder nur in geringem Umfang arbeiten kรถnnen.

Gerade bei chronischen und schweren psychischen Erkrankungen beantragen viele Betroffene diese Rente. Der Prozess kann jedoch langwierig sein und erfordert eine grรผndliche medizinische Dokumentation sowie Geduld โ€“ die Rentenversicherung prรผft genau, ob eine Erwerbsminderung in relevantem Umfang vorliegt.

Wo finden Betroffene Unterstรผtzung?

Ein komplexes System, stรคndige Prรผfungen und die Frage nach der Zukunftsplanung โ€“ all das sorgt leicht fรผr รœberforderung. Hilfe bieten:

  • Sozialverbรคnde: Organisationen wie der Sozialverband Schleswig-Holstein oder andere gemeinnรผtzige Trรคger beraten Betroffene individuell. Sie helfen bei Antrรคgen, Widersprรผchen und bieten eine fundierte Rechtsberatung.
  • Psychosoziale Beratungsstellen: Wer die Belastung des bรผrokratischen Prozesses als zu hoch empfindet, sollte professionelle Unterstรผtzung in Anspruch nehmen. Hier lรคsst sich neben praktischen Tipps oft auch eine Stabilisierung des seelischen Gleichgewichts erreichen.
  • ร„rzt:innen und Therapeut:innen: Eine enge medizinische Begleitung ist bei psychischen Erkrankungen unerlรคsslich. Sie sorgen fรผr eine umfassende Diagnose, stellen Atteste aus und kรถnnen den Heilungsverlauf dokumentieren.

Wie gelingt ein verantwortungsvoller Umgang mit Krankengeld und psychischen Erkrankungen?

Lรคnger als sechs Wochen krank zu sein, ist fรผr niemanden einfach. Doch gerade bei psychischen Erkrankungen kann der bรผrokratische Aufwand zusรคtzliche ร„ngste schรผren und den Heilungsverlauf stรถren. Wichtig ist, dass Betroffene ihre Rechte kennen โ€“ etwa, dass sie nicht zu unzรคhligen Telefonaten verpflichtet sind oder ohne Weiteres kรผndigen mรผssen.

Eine ausgewogene Entscheidung braucht Zeit, Fachwissen und unabhรคngige Beratung. Das Krankengeld ist dafรผr da, Patienten in ihrer Genesungsphase finanziell abzusichern. Wer das Gefรผhl hat, seine Krankenkasse agiere mit fragwรผrdigen Methoden, sollte sich rechtzeitig professionelle Hilfe suchen โ€“ zum Beispiel bei einem Sozialverband.

Denn nur mit der richtigen Unterstรผtzung kรถnnen Betroffene sich voll und ganz auf ihre Gesundheit konzentrieren, statt sich zusรคtzlich mit bรผrokratischen und finanziellen Problemen herumschlagen zu mรผssen. Langfristig geht es darum, einen Weg zurรผck in ein stabiles, mรถglichst beschwerdefreies Leben zu finden โ€“ sei es am bisherigen Arbeitsplatz, in einem neuen beruflichen Umfeld oder durch die Gewรคhrung einer Erwerbsminderungsrente.

Gerade fรผr Menschen mit seelischen Erkrankungen ist es daher entscheidend, die eigenen Rechte zu kennen und die passende Beratung in Anspruch zu nehmen. So bleibt mehr Kraft fรผr das Wesentliche: die eigene Gesundheit.