Rente: Gericht könnte Ehegatten-Anrechnung bei Grundrente kippen – Widerspruch einlegen

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Bei der Grundrente wird das Einkommen des Ehegatten angerechnet. Dagegen wehren sich allerdings Betroffene vor Gericht. Eine Entscheidung des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen (LSG NRW) sowie die anstehende Revision beim Bundessozialgericht (BSG) kann dazu führen, dass die Ehegattenanrechnung endgültig gekippt wird, wie der Rentenexperte Peter Knöppel berichtet.

Wichtig: Am Ende des Artikels kann ein Musterwiderspruch zur Durchsetzung der Ansprüche verwendet werden.

Warum ist die Anrechnung des Ehegatteneinkommens bei der Grundrente so umstritten?

Die Grundrente wurde eingeführt, um die Lebensleistung von Menschen mit langen Beitragszeiten in der gesetzlichen Rentenversicherung besser zu honorieren.

Wer mindestens 33 bis maximal 35 Jahre an Grundrentenzeiten vorweisen kann, soll durch den Grundrentenzuschlag eine höhere Rente erhalten, wenn er oder sie trotz langjähriger Berufstätigkeit nur geringe eigene Rentenansprüche erworben hat.

In der Praxis führt jedoch die Anrechnung des Ehegatten- bzw. Partner-Einkommens dazu, dass vielen Rentnerinnen und Rentnern der Grundrentenzuschlag teilweise oder sogar vollständig gestrichen wird. Dabei gibt es insbesondere zwei Argumente gegen diese Anrechnung:

Ungerechtfertigte Verknüpfung verschiedener Rechtsbereiche: Kritiker sagen, dass hier grundsicherungsrechtliche Aspekte (Anrechnung des Haushalts- bzw. Partnereinkommens) mit dem Rentenrecht vermischt werden. Der Grundrentenzuschlag sei laut Gesetz ein persönlicher Anspruch, der auf Basis der eigenen Beitragsleistung entsteht, sodass die Einbeziehung des Ehegatteneinkommens nicht sachgerecht sei.

Ungleichbehandlung von Verheirateten und Unverheirateten: Ein weiteres Argument ist, dass der Familienstand zu einer Schlechterstellung führen kann. Personen, die verheiratet oder verpartnert sind, können ihren Anspruch auf den Grundrentenzuschlag verlieren, während unverheiratete Personen mit demselben eigenen Einkommen den Zuschlag behalten. Dies könnte eine verfassungsrechtlich bedenkliche Ungleichbehandlung darstellen.

Was sagt das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen in seinem Urteil?

Das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen (LSG NRW) hatte in einem Fall darüber zu entscheiden, ob die Anrechnung des Einkommens eines Ehegatten auf den Grundrentenzuschlag verfassungs- und rechtskonform ist. In dem konkreten Verfahren bekam eine Rentenbezieherin keinen Grundrentenzuschlag, weil das anzurechnende Einkommen ihres Ehegatten den Zuschlag vollständig aufzehrte.

Das LSG NRW wies die Berufung der Klägerin zurück und argumentierte wie folgt:

  • Gesetzliche Regelung nicht verfassungswidrig: Das Gericht hielt die einschlägigen Vorschriften zur Einkommensanrechnung für rechtens.
  • Gesamtbetrachtung aller ehebezogenen Regelungen: In seiner Begründung stellte das LSG darauf ab, dass die Nachteile einer Einkommensanrechnung bei verheirateten Personen durch andere ehebezogene Vergünstigungen ausgeglichen werden könnten.
  • Zweck der Grundrente: Laut dem LSG ist das Ziel der Grundrente, langjährige Beitragszeiten zu honorieren und eine finanzielle Absicherung zu bieten, die oberhalb des grundsicherungsrechtlichen Niveaus liegt. Auch mit Einkommensanrechnung verbleibe einem Grundrentenberechtigten in der Regel mehr als jemandem, der gar nicht oder nur wenig in die gesetzliche Rentenversicherung eingezahlt hat.

Warum wird diese Entscheidung kritisiert?

Die Kritik an der Entscheidung des LSG NRW lässt sich in drei Punkten zusammenfassen:

  1. Vermischung von Renten- und Grundsicherungsrecht: Gegner der Anrechnung halten den Grundrentenzuschlag für einen rein persönlichen Anspruch, der aus den eigenen Beitragszeiten entsteht. Daher solle das Partnereinkommen keinen Einfluss haben.
  2. Fragliche Verfassungsmäßigkeit: Die Einbeziehung des Ehegatteneinkommens könne gegen den Gleichheitsgrundsatz (Art. 3 GG) verstoßen, da verheiratete und unverheiratete Personen unterschiedlich behandelt werden.
  3. Lebensleistung wird nicht angemessen honoriert: Viele Betroffene fühlen sich um die Anerkennung ihrer langjährigen Erwerbstätigkeit gebracht, wenn ihnen ihr Ehe- oder Partnerstand zum Nachteil gereicht.

Welche Rolle spielt das Bundessozialgericht bei dieser Frage?

Die Klägerin legte Revision gegen das Urteil des LSG NRW ein, sodass der Fall jetzt beim Bundessozialgericht (BSG) anhängig ist. Der zuständige 5. Senat des BSG (Renten- und Grundrentenfragen) wird nun prüfen, ob die Anrechnung des Partnereinkommens auf den Grundrentenzuschlag rechtmäßig ist oder ob verfassungsrechtliche Bedenken bestehen.

Das Verfahren trägt das Aktenzeichen 5 B R 9 S 24 R (o. ä. – das hier beispielhaft angegebene Zeichen dient der Orientierung) und könnte zu einer grundlegenden Klärung führen.

Wenn das BSG die Regelung als verfassungswidrig einstuft, wird es sie dem Bundesverfassungsgericht vorlegen. Sollte das BSG hingegen keine Bedenken sehen, bleibt die aktuell geltende Rechtslage vorerst bestehen.

Was sollten Betroffene jetzt tun?

  1. Bescheide sorgfältig prüfen
    Rentnerinnen und Rentner, denen der Grundrentenzuschlag teilweise oder ganz gestrichen wurde, sollten ihren aktuellen Rentenbescheid genau unter die Lupe nehmen. Hierbei ist insbesondere auf den Abschnitt zur Einkommensanrechnung zu achten.
  2. Rechtzeitig Widerspruch einlegen
    Betroffene haben das Recht, gegen einen Bescheid Widerspruch einzulegen. Dabei sollte auf das laufende Revisionsverfahren beim Bundessozialgericht hingewiesen und ausdrücklich beantragt werden, das eigene Verfahren bis zur höchstrichterlichen Klärung ruhend zu stellen. Wer bereits einen bestandskräftigen Bescheid hat, kann ein Überprüfungsverfahren (nach § 44 SGB X) anstrengen und ebenfalls auf das anhängige BSG-Verfahren verweisen.
  3. Rechtliche Beratung in Anspruch nehmen
    Da die Materie kompliziert ist und die Erfolgsaussichten je nach Einzelfall variieren können, empfiehlt es sich, eine Anwältin oder einen Anwalt sowie ggf. einen Rentenberater hinzuzuziehen. Diese können eine individuelle Einschätzung geben und die Interessen der Betroffenen wahren.

Welche möglichen Szenarien sind denkbar?

  1. BSG erklärt die Einkommensanrechnung für rechtmäßig:
    In diesem Fall bleibt alles beim Alten – das Einkommen des Ehegatten wird weiterhin auf den Grundrentenzuschlag angerechnet.
  2. BSG erkennt verfassungsrechtliche Zweifel:
    Das Gericht könnte die Sache dem Bundesverfassungsgericht vorlegen. Eine spätere Entscheidung könnte zu einer neuen Rechtslage führen, wonach das Partnereinkommen nicht mehr auf den Grundrentenzuschlag anzurechnen wäre.
  3. BSG urteilt direkt zugunsten der Klägerin:
    Das Bundessozialgericht könnte auch selbst zu dem Schluss kommen, dass die Regelung gegen höherrangiges Recht verstößt, und die Einkommensanrechnung teilweise oder vollständig aufheben. Dies würde eine tiefgreifende Änderung für alle Betroffenen bedeuten.

Aussichten und Handlungsbedarf

Die Grundrente war von Anfang an als Anerkennung der Lebensleistung konzipiert. Die Frage, ob das Einkommen des Ehegatten bei der Berechnung dieses Zuschlags angerechnet werden darf, ist jedoch äußerst umstritten. Während das Landessozialgericht NRW die Rechtslage bestätigte, erhoffen viele Betroffene nun vom Bundessozialgericht eine wegweisende Entscheidung.

Wichtig: Betroffene sollten ihre Rechte wahren und sich rechtzeitig gegen Bescheide wehren, bei denen die Anrechnung des Partnereinkommens zur Kürzung oder Streichung des Grundrentenzuschlags führt.

Da die endgültige Klärung noch aussteht, kann ein Widerspruch oder ein Überprüfungsantrag mit dem Hinweis auf das anhängige BSG-Verfahren unter Umständen von großem Vorteil sein.

Ob am Ende tatsächlich eine verfassungsrechtliche Neubewertung oder eine höchstrichterliche Bestätigung erfolgt, wird sich erst zeigen, wenn das Bundessozialgericht seine Entscheidung verkündet.

Musterwiderspruch

Hier stellen wir ein Musterwiderspruch zur freien Verwendung zur Verfügung:

Betreff: Widerspruch gegen den Bescheid vom [Datum des Bescheids] Versicherungsnummer: [eigene Versicherungsnummer]

Sehr geehrte Damen und Herren,

hiermit lege ich Widerspruch gegen den oben genannten Rentenbescheid ein, mit dem mir der Grundrentenzuschlag gekürzt bzw. vollständig entzogen wurde. Im Folgenden begründe ich meinen Widerspruch:

Nach den gesetzlichen Bestimmungen (§ 76g SGB VI) habe ich aufgrund meiner langjährigen Versicherungszeiten Anspruch auf den Grundrentenzuschlag. Durch meine zurückgelegten Beitragszeiten (mindestens 33/35 Jahre) habe ich die Voraussetzungen für die Grundrente erfüllt.

Der gegenständliche Bescheid basiert darauf, dass das Einkommen meines Ehegatten/meiner Ehegattin [bzw. eingetragenen Lebenspartner/in] bei der Feststellung des Grundrentenzuschlags angerechnet wird. Hierzu möchte ich Folgendes anmerken:

Nach meinem Verständnis ist der Grundrentenzuschlag ein persönlicher rentenrechtlicher Anspruch, der an meine eigenen Beitrags- und Versicherungszeiten anknüpft. Er ist damit nicht mit grundsicherungsrechtlichen Regelungen zu vergleichen, bei denen eine Haushalts- oder Bedarfsgemeinschaftsbetrachtung üblich ist.

Es liegt inzwischen eine Entscheidung des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen (Januar 2024) vor, die zwar die Rechtsmäßigkeit der Einkommensanrechnung bejaht hat, jedoch ist gegen dieses Urteil Revision zum Bundessozialgericht (BSG) eingelegt worden. Die Frage der Verfassungsmäßigkeit dieser Anrechnung ist damit höchstrichterlich noch nicht geklärt.

Beim Bundessozialgericht ist unter dem Aktenzeichen 5 B R 9 S 24 R ein Revisionsverfahren anhängig, das genau diese Frage der Verfassungsmäßigkeit der Anrechnung des Ehegatteneinkommens auf den Grundrentenzuschlag zum Gegenstand hat.

Ich rege daher an, mein Widerspruchsverfahren bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens vor dem BSG ruhend zu stellen, um eine einheitliche Klärung dieser rechtlichen Frage abzuwarten.

Antrag
Aufgrund der oben genannten Gründe halte ich die Anrechnung des Ehegatteneinkommens auf meinen grundrentengestützten Rentenanspruch für rechtswidrig bzw. jedenfalls nicht abschließend geklärt. Ich bitte Sie daher,

    1. meinem Widerspruch stattzugeben,
    2. den ursprünglichen Zustand (volle/richtige Gewährung des Grundrentenzuschlags) bis zur abschließenden höchstrichterlichen Klärung wiederherzustellen bzw. zu erhalten,
    3. das Verfahren ruhend zu stellen, solange die Frage der Verfassungsmäßigkeit der Einkommensanrechnung vor dem BSG ungeklärt ist.

Bitte senden Sie mir eine schriftliche Bestätigung über den Eingang meines Widerspruchs zu und informieren Sie mich zeitnah über das weitere Vorgehen.

Mit freundlichen Grüßen

Unterschrift (handschriftlich oder digital)
Vor- und Nachname