Schwerbehinderung: Arbeitgeber muss Wiedereingliederung ermöglichen – Urteil

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Eine aktuelle gerichtliche Entscheidung zeigt, welche Pflichten Arbeitgeber bei der schrittweisen Rückkehr einer erkrankten Mitarbeiterin in den Arbeitsalltag haben. Dabei wurden betriebliche Interessen sorgfältig gegen das Recht auf angemessene Wiedereingliederung abgewogen.

Das Ergebnis: Die Beklagte muss der Klägerin einen geeigneten Arbeitsplatz im Rahmen eines Wiedereingliederungsplans bereitstellen und sie schrittweise beschäftigen. (AZ: 2 Ca 145/22)

Hintergrund: Chronische Lungenerkrankung als Auslöser

Die Klägerin ist seit August 2014 als Köchin in der Krankenhausküche der Beklagten beschäftigt. Ihr regulärer Arbeitstag umfasste die Zeit von 6.00 Uhr bis 14.40 Uhr, in der sie verschiedenste Aufgaben wie das Vorbereiten von Speisen, das Abfüllen von Desserts und das Einteilen von Brötchen ausübte.

Seit September 2021 bestand jedoch aufgrund einer chronischen Lungenerkrankung eine längere Arbeitsunfähigkeit. Nach einer Rehabilitationsmaßnahme wurde ihr eine stufenweise Wiedereingliederung in das Erwerbsleben empfohlen.

Ablauf der zunächst begonnenen Wiedereingliederung

Die Klägerin begann ihre Wiedereingliederung mit zwei Stunden täglicher Küchenarbeit (Suppe, Desserts, Vorbereitungen), musste jedoch nach einem Tag am Portionierband mit Atemnot abbrechen.

Eine Fortsetzung ohne Portionierband lehnte die Beklagte ab und verweigerte auch einen zweiten Wiedereingliederungsplan. Zu diesem Zeitpunkt war bei der Klägerin bereits ein Grad der Behinderung von 30 anerkannt, ihr Antrag auf Gleichstellung lief noch.

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Klage vor Gericht: Anspruch auf stufenweise Wiedereingliederung

Mit der Klage forderte die Klägerin, die Beklagte zu verpflichten, einen angepassten Wiedereingliederungsplan zu ermöglichen. Dieser Plan sah vor, in den ersten zwei Wochen eine tägliche Arbeitszeit von zwei Stunden, in der dritten Woche vier Stunden und in der vierten Woche sechs Stunden zu absolvieren.

Alle Tätigkeiten sollten sich auf den Arbeitsplatz als Köchin beziehen, jedoch ohne die aus ihrer Sicht gesundheitlich unzumutbare Einbindung am Portionierband.

Die Klägerin berief sich dabei auf die Fürsorgepflicht der Beklagten und argumentierte, dass alle anderen anfallenden Arbeiten in der Küche auch innerhalb dieser reduzierten Zeitspanne erledigt werden könnten. Tatsächlich hatte dies in den ersten beiden Tagen der Wiedereingliederung bereits problemlos funktioniert.

Standpunkt der Beklagten: Unvereinbarkeit mit betrieblichen Abläufen

Die Beklagte verweigerte die Zustimmung zur Wiedereingliederung und führte mehrere Gründe an:

Ein Einsatz von nur zwei oder vier Stunden sei organisatorisch nicht machbar.
Eine vollständige Arbeitserprobung setze voraus, dass alle Tätigkeiten erledigt würden, einschließlich der Arbeit am Portionierband.
Das Herausnehmen dieser einen Aufgabe führe zu keiner realitätsnahen Einschätzung der Leistungsfähigkeit.

Eine Rücksichtnahme auf die chronische Lungenerkrankung fand nach Ansicht der Beklagten im vorgesehenen Küchenbetrieb keine ausreichende Grundlage.

Gerichtliche Entscheidung: Verpflichtung zur Organisation einer Wiedereingliederung

Das Arbeitsgericht entschied zugunsten der Klägerin und gab ihrer Klage in vollem Umfang statt. Laut Urteil besteht für die Beklagte eine Verpflichtung, unter Beachtung der betriebsinternen Möglichkeiten eine stufenweise Wiedereingliederung zu ermöglichen:

  1. Zuweisung eines geeigneten Arbeitsplatzes als Köchin
    In den ersten beiden Wochen sind täglich zwei Stunden zu leisten, in der dritten Woche vier Stunden und in der vierten Woche sechs Stunden.
  2. Kein Zwang zum Portionierband
    Die Tätigkeit am Portionierband ist nicht zwingend Bestandteil einer vollständigen Arbeitserprobung und kann im konkreten Fall gesundheitliche Risiken mit sich bringen.
  3. Einbeziehung ärztlicher Empfehlungen
    Ein aktueller Wiedereingliederungsplan der behandelnden Ärztin bildet die Grundlage für die Umsetzung.
  4. Finanzielle Aspekte
    Die Wiedereingliederungsmaßnahme wird von der Krankenkasse getragen, sodass der Arbeitgeber im Wesentlichen nur eine organisatorische Pflicht trifft, nicht jedoch die Pflicht zur Vergütungszahlung im vollen Umfang.

Das Gericht betonte ausdrücklich, dass die schrittweise Heranführung an den vollen Tätigkeitsumfang zu den Arbeitgeberpflichten gehört, wenn ein ärztlicher Rat dies empfiehlt und die Finanzierung geklärt ist. Diese Verpflichtung leitet sich aus den arbeitsvertraglichen Fürsorgepflichten (§§ 611a, 241 Abs. 2 BGB) her.

Warum das Urteil wegweisend ist

Das Urteil zeigt, dass Arbeitgeber nicht pauschal behaupten können, kurze Arbeitszeiten ließen sich in ihrem Betrieb nicht umsetzen. Vielmehr müssen sie prüfen, ob und wie betroffene Beschäftigte im Rahmen einer Wiedereingliederung eingebunden werden können.

Auch der Hinweis auf bestimmte Aufgaben, die gesundheitlich nicht zumutbar sind, entbindet nicht von der Pflicht, passende Alternativen zu finden. Betriebliche Interessen dürfen nicht einseitig Vorrang haben, wenn ärztliche Empfehlungen eine stufenweise Rückkehr in das Berufsleben nahelegen.

FAQ: Häufige Fragen zur stufenweisen Wiedereingliederung

Welche Rechtsgrundlagen sind relevant?
§§ 611a, 241 Abs. 2 BGB begründen eine Fürsorgepflicht. Arbeitgeber müssen Beschäftigte bei der Rückkehr in den Beruf unterstützen, wenn die gesundheitliche Situation es erfordert.

Wer trägt die Kosten für die Wiedereingliederung?
Die Krankenkasse übernimmt in der Regel die finanzielle Absicherung. Der Arbeitgeber trägt primär organisatorische Verantwortung.

Ist eine bestimmte Stundeneinteilung zwingend?
Die Tagesarbeitszeit orientiert sich an medizinischen Empfehlungen. Eine schrittweise Steigerung (z. B. zwei, vier und schließlich sechs Stunden) ist ein übliches Modell.

Muss jede betriebliche Tätigkeit abgedeckt werden?
Nicht zwingend. Eine realistische Heranführung an den Arbeitsplatz reicht aus. Gesundheitsgefährdende Arbeiten können ausgeschlossen werden, wenn medizinische Gründe vorliegen.

Was passiert bei Nichteinhaltung des Plans durch den Arbeitgeber?
Kommt der Arbeitgeber seiner Fürsorgepflicht nicht nach, kann dies gerichtlich durchgesetzt werden. Das vorliegende Urteil zeigt, dass Gerichte den Schutz erkrankter Beschäftigter ernst nehmen.