Schwerbehinderung: Entschädigung für Bewerber wegen fehlender Information – Urteil

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Eine aktuelle Entscheidung des Landesarbeitsgerichts (LAG) Köln zeigt, wie ernst Gerichte die Förder- und Schutzpflichten gegenüber schwerbehinderten Menschen nehmen. Ein Arbeitgeber wurde zur Zahlung einer Entschädigung in Höhe von zwei Bruttomonatsgehältern verurteilt, weil er bei einer Stellenbesetzung weder die Agentur für Arbeit sachgerecht beteiligte noch die Schwerbehindertenvertretung sowie den Betriebsrat zügig informierte.

Pflicht zur frühzeitigen Kontaktaufnahme

Arbeitgeber müssen bei offenen Stellen umgehend prüfen, ob schwerbehinderte Menschen in Frage kommen. Dazu ist eine sachgerechte Konsultation mit der Agentur für Arbeit vorgeschrieben. Wer diese Aufgabe vernachlässigt – zum Beispiel nur eine allgemeine Online-Stellenanzeige schaltet –, läuft Gefahr, die gesetzliche Pflicht zu verletzen.

Praxisbeispiel: Einige Betriebe melden offene Stellen der Agentur per E-Mail an eine konkrete Ansprechperson und erläutern das Anforderungsprofil. Dieser direkte Austausch fördert eine rasche Vermittlung geeigneter Kandidaten.

Bewerber fühlt sich benachteiligt

Ein schwerbehinderter Bewerber klagte auf Entschädigung, weil er sich bei einer Stellenausschreibung aufgrund seiner Behinderung benachteiligt sah. Er monierte, dass das Unternehmen sich nicht zeitnah mit der Agentur für Arbeit abgestimmt hat und seine Bewerbung nicht rasch an die Schwerbehindertenvertretung sowie an den Betriebsrat weitergeleitet wurde.

Diese Verstöße sah er als ausreichende Indizien für eine Diskriminierung an.
Rechtlich stützte er sich auf zwei Säulen: Erstens die Vorgaben aus dem SGB IX, wonach Arbeitgeber die Bundesagentur für Arbeit in den Prozess einbinden sollen, um schwerbehinderten Bewerbenden eine faire Chance zu geben. Zweitens verwies er auf das AGG, das Benachteiligungen im Bewerbungsverfahren verbietet und bei einem Verstoß eine Entschädigung vorsieht.

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Position des Unternehmens

Der Arbeitgeber widersprach den Vorwürfen. Er argumentierte, dass das interne Bewerbermanagement mithilfe einer Software betrieben wird. Die Schwerbehindertenvertretung und der Betriebsrat hätten vollen Zugriff auf alle hochgeladenen Unterlagen und seien somit angemessen eingebunden gewesen. Zusätzlich betonte die Geschäftsleitung, sie habe sehr wohl Kontakt zur Agentur für Arbeit aufgenommen, allerdings über E-Mail und über einen externen Dienstleister, der Stellenanzeigen schaltet.

Das Unternehmen verwies darauf, dass diese Vorgehensweise in der Praxis eingespielt sei. Der Schwerbehindertenvertreter und der Betriebsrat erhielten einen “Beobachterstatus” in der Software. Nach Arbeitgeberangaben riefen sie dort eigenständig die neu eingegangenen Bewerbungen ab. Dadurch sei sichergestellt gewesen, dass alle relevanten Informationen zugänglich seien.
Der Bewerber hielt das für unzureichend.

Nach seiner Ansicht muss der Arbeitgeber unmittelbar eine aktive Information vornehmen, anstatt das bloße Einräumen eines Leserechts zu praktizieren. Er bestritt auch, dass die Agentur für Arbeit eine vollständige und sachgerechte Einschätzung über das freie Stellenangebot hatte.

Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Köln

Das LAG Köln stellte fest, dass mehrere Pflichtverletzungen vorlagen. Insbesondere wurden zwei zentrale Punkte hervorgehoben:

  1. Unterlassene oder unzureichende Kontaktaufnahme zur Agentur für Arbeit
    Das Gericht betonte, dass es nicht genügt, eine Stellenanzeige lediglich in eine Online-Jobbörse zu stellen oder allgemein per E-Mail zu verteilen. Arbeitgeber müssen beweisen, dass sie die zuständige Vermittlungsperson der Agentur mit dem konkreten Anforderungsprofil versorgen. Damit soll sichergestellt werden, dass schwerbehinderte Bewerbende gezielt vorgeschlagen werden können.
  2. Verspätete oder nicht nachweisbare Unterrichtung der Schwerbehindertenvertretung und des Betriebsrats
    Nach § 164 Abs. 1 Satz 4 SGB IX müssen Arbeitgeber diese Interessenvertretungen unverzüglich über jede eingehende Bewerbung schwerbehinderter Menschen informieren. Ein reines Lese oder Zugriffsrecht in einer Datenbank kann nicht sicherstellen, dass die Vertretungen rechtzeitig Kenntnis von allen Unterlagen haben. Das Gericht forderte eine aktive Weiterleitung, die klar darauf hinweist, dass es sich um eine Bewerbung einer schwerbehinderten Person handelt.

Da der Arbeitgeber diese Pflichten nicht nachweisbar erfüllt hatte, wertete das Gericht dies als Benachteiligung. Nach dem AGG reicht es bereits aus, wenn Indizien für eine Diskriminierung vorliegen. Kann der Arbeitgeber nicht das Gegenteil beweisen, wird ihm die Verantwortung zugeschrieben. Hier überzeugte die Argumentation des Unternehmens nicht.

Rechtliche Konsequenzen: Entschädigung und Kostentragung

Das Gericht sprach dem Bewerber eine Entschädigung in Höhe von zwei Bruttomonatsgehältern zu. Damit folgte die zweite Instanz dem Urteil des Arbeitsgerichts Bonn, das eine ähnliche Einschätzung vertreten hatte.
In seiner Begründung hob das LAG hervor, dass der Gesetzgeber Menschen mit Behinderung besonders schützt.

Wenn Arbeitgeber gegen diese Anforderungen verstoßen, ist eine Entschädigung angemessen. Der Kläger hatte vergeblich versucht, einen höheren Betrag durchzusetzen. Die Richter hielten jedoch zwei Bruttomonatsgehälter für ausreichend.

Häufige Fragen, die in der Praxis gestellt werden

Viele Betriebe fragen sich, welche Rolle die Konsultationspflicht genau spielt. Einige gehen davon aus, dass eine einfache Schaltung der Stelle auf einer Jobplattform der Agentur ausreicht. Doch das Gericht macht klar, dass eine persönliche oder zumindest gezielte Kontaktaufnahme nötig ist.

Dabei sollte die zuständige Stelle innerhalb der Behörde informiert werden, sodass Vermittlungsfachkräfte das Profil auswerten und reagieren können.
Andere fürchten, dass die unmittelbare Information von Schwerbehindertenvertretung und Betriebsrat umständlich sei.

Im digitalen Zeitalter wäre ein Onlinezugriff doch problemlos. Doch genau hier verlangt das Gesetz mehr: Die Interessenvertretungen sollen nicht nur einsehen, sondern sofort wissen, wenn eine Bewerbung schwerbehinderter Menschen eintrifft. So können sie ihre gesetzlichen Aufgaben erfüllen und sich schützend einbringen.