Schwerbehinderung: Wartezeit bis zum Ausweis verkürzen

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Wer einen Antrag auf Anerkennung einer Schwerbehinderung stellt, muss häufig lange warten, bis die zuständige Behörde ihn bearbeitet – oft viel zu lange. Woran liegt das, und was können Sie in dieser schwer erträglichen Situation tun? Das zeigen wir Ihnen in diesem Beitrag.

Mindestens sechs Monate Wartezeit

In Schleswig-Holstein zum Beispiel müssen, laut Information des NDR, Antragsteller auf die Entscheidung über ihren Schwerbehindertenausweis in der Regel fünf bis sechs Monate warten. In anderen Bundesländern sieht es nicht besser aus.

Ein Mann aus Gardelegen in Sachsen-Anhalt wartete beispielsweise sieben Monate. Hier ging es nicht um einen Erstantrag, sondern um eine Neueinstufung der Schwerbehinderung seiner alten Mutter, deren Gesundheit zunehmend beeinträchtigt war.

Kurios: Ausweise doppelt und für Tote

In der Region Bonn ging 2024 durch die Medien, dass Senioren viele Monate auf den Bescheid des Versorgungsamtes warteten. Ein Fall klärte sich, allerdings auf bizarre Weise. Nachdem viel zu langem Warten kam der Schwerbehindertenausweis – allerdings gleich zweimal.

Dieser Fall wirkt kurios, ein anderer jedoch makaber. So beantragte ein Mann aus Ravensburg einen Schwerbehindertenausweis. 13 Monate später schickte das zuständige Landratsamt den Ausweis zu, an einen Toten! Denn der Antragsteller war inzwischen verstorben.

Personalmangel als Ursache für die lange Wartezeit

Der Direktor des Landesamtes für soziale Dienste in Schleswig-Holstein, Matthias Großmann, nennt, laut Information des NDR, Gründe für die Verzögerungen: Zu wenig Personal und keine digitale Weiterleitung von der Behörde zu den Ärzten. So stünden der Behörde nur Mitarbeiter bereit, um 61.000 Neuanträge zu bearbeiten. 2024 gab es aber 70.000 Anträge.

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Das Verfahren erfordert Sorgfalt

Das Verfahren lässt sich nicht „über das Knie brechen“, denn jeder Antrag muss gewissenhaft bearbeitet und medizinisch objektiv geprüft werden. An der Schnittstelle zu den jeweiligen Ärzten liegt eine zweite Ursache für die lange Wartezeit: die fehlende digitale Vernetzung.

Die medizinische Beurteilung ist entscheidend

Um eine Behinderung einzuordnen, sind ärztliche Gutachten, Berichte und Befunde entscheidend. Denn diese liefern die medizinischen Einschätzungen, wie schwer ein Mensch durch seine Einschränkungen an der gesellschaftlichen Teilhabe gehindert wird.

Die Kommunikation läuft über den Postweg

Zumindest in Schleswig-Holstein verläuft der Austausch der nötigen Unterlagen nach wie vor auf dem Postweg, und nicht digital. Jede Unklarheit, jede Nachfrage und jedes zusätzliche Dokument müssen dann wieder auf dem Postweg angefordert und auf dem Postweg geliefert werden.

Selbst im Idealfall, wenn sowohl Ärzte als auch Mitarbeiter der zuständigen Behörde zügig und gründlich arbeiten, geht so wertvolle Zeit verloren, in der die Antragsteller nicht wissen, wie es für sie weitergeht.

Verantwortung wird verschoben

Arbeiten die Ärzte oder die Behörden weniger zügig, lässt sich durch das umständliche Verfahren die Verantwortung hin- und herschieben. Wenn es zu lange dauert, behaupten manche Ärzte dann, dass das Versorgungsamt schuld daran sei, während die dort Zuständigen unterstellen können, die Mediziner würden zu lange brauchen.

Monate ohne Rechtssicherheit

Die Leidtragenden sind vorwiegend die Antragsteller, die ohne Rechtssicherheit auf glühenden Kohlen sitzen. Besonders belastend ist das bei entscheidenden Themen wie der vorzeitigen Rente für schwerbehinderte Menschen, steuerlichen Nachteilsausgleichen, Sonderregelungen am Arbeitsplatz oder dem Recht auf Barrierefreiheit.

Das Verfahren ist immer aufwendig

Dabei ist das Verfahren, um einen Schwerbehindertenausweis zu erhalten, auch ohne zusätzliche Komplikationen bereits zeitaufwendig. Medizinische Untersuchungen müssen sorgfältig erfolgen und Beurteilungen müssen genau abgewogen werden, und es geht immer um den Einzelfall. Ein „Hauruck-Verfahren“ wäre fahrlässig und auch rechtlich untersagt.

Welche Frist ist zulässig?

Antragsteller müssen sich rechtlich allerdings in jedem Fall gedulden. Das Sozialrecht erklärt nämlich einen Zeitraum von sechs Monaten für die Bearbeitung von Anträgen als zumutbar.

Erst, wenn diese Zeit überschritten ist, haben Sie als Betroffene die Möglichkeit, vor dem Sozialgericht eine Untätigkeitsklage gegen die Behörde einzureichen. Bevor Sie dies tun, sollten Sie bei der Behörde nach dem Stand der Bearbeitung fragen und eine angemessene Frist setzen, den Antrag abschließend zu bearbeiten.

Wie lautet die Gesetzesvorschrift

Geregelt ist die Untätigkeitsklage im Paragrafen 88 des Sozialgerichtsgesetzes. Dort steht unter 1: „
Ist ein Antrag auf Vornahme eines Verwaltungsakts ohne zureichenden Grund in angemessener Frist sachlich nicht beschieden worden, so ist die Klage nicht vor Ablauf von sechs Monaten seit dem Antrag auf Vornahme des Verwaltungsakts zulässig. Liegt ein zureichender Grund dafür vor, dass der beantragte Verwaltungsakt noch nicht erlassen ist, so setzt das Gericht das Verfahren bis zum Ablauf einer von ihm bestimmten Frist aus, die verlängert werden kann. Wird innerhalb dieser Frist dem Antrag stattgegeben, so ist die Hauptsache für erledigt zu erklären.“

Digitale Vernetzung verkürzt die Bearbeitung

Eine digitale Vernetzung zwischen den Ärzten und den Versorgungsämtern, die den Schwerbehindertenausweis ausstellen, würde die Verfahren erheblich beschleunigen. So müssen etwa PDF-Dateien zwischen Antragsteller, Versorgungsamt und Ärzten erst ausgedruckt und dann per Post verschickt werden.

Das kann zwischen den Sendern und Empfängern Wochen in Anspruch nehmen, während es beim Versenden per E-Mail sofort erledigt wäre.

Wahlfreiheit muss gegeben sein

Der Behindertenbeauftragte in Schleswig, Horst Rieger, räumt, laut NDR, allerdings ein, dass viele Betroffene Probleme hätten, Dokumente einzuscannen, und viele Antragsteller wollten weiterhin den Postweg nutzen.

Digitalisierung und Datenschutz

Matthias Großmann hält eine zu enge digitale Vernetzung zwischen Ärzten und den Landesämtern für soziale Dienste aus Gründen des Datenschutzes für problematisch. Allerdings würde, ihm zufolge, das bestehende Verfahren derzeit reformiert, sodass in Zukunft zumindest der Antrag auf Anerkennung einer Schwerbehinderung digital gestellt werden könne.

Was können Sie als Betroffene tun?

Wenn Sie einen Antrag auf Anerkennung einer Schwerbehinderung stellen, dann können Sie zumindest von Ihrer Seite aus zusätzlichen Wartezeiten vorbeugen: Überprüfen Sie akribisch, dass Sie alle nötigen Unterlagen vollständig einreichen. Sprechen Sie mit Ihren behandelnden Ärzten darüber, dass diese ihre medizinischen Befunde und Berichte klar formulieren, und dies besonders bei den Punkten, die im Behindertenrecht wesentlich sind, um eine Schwerbehinderung festzustellen.

Das bedeutet nicht, die Verantwortung von der Behörde auf Sie als Antragsteller zu verschieben. Sie haben jedoch die besseren Karten, wenn zumindest Sie alles richtig gemacht haben. Das ist besonders dann von Vorteil, wenn eine Untätigkeitsklage nötig wird.