Im Zuge der Bildung einer neuen Regierungskoalition zwischen Union und SPD stellt sich mit wachsender Dringlichkeit die Frage, wie das Bürgergeld sozialverträglicher und gerechter gestaltet werden kann.
Zur Zeit wird nur darüber debattiert, welche Kürzungen vorgenommen werden müssen. Doch die Realitäten sehen ganz anders aus, wie auch Harald Thomé von Tacheles e.V. mahnt.
Er stellte Forderungen auf, die die SPD in die künftige Koaliton einbringen soll. Denn seit Jahren weisen Wohlfahrtsverbände, Sozialberatungsstellen und Betroffene auf erhebliche Lücken und Mängel beim Bürgergeld (ehemals Hartz IV) hin.
Angemessene Regelleistung im SGB II
Um Betroffenen ein menschenwürdiges Leben zu ermöglichen, bedarf es einer realistischen und bedarfsorientierten Regelleistung. Der Paritätische Wohlfahrtsverband hat errechnet, dass eine Höhe von 813 Euro angemessen wäre.
Darin sind nicht nur Kosten für den täglichen Lebensbedarf berücksichtigt, sondern auch die zunehmenden Mehrbedarfe, die durch steigende Preise entstehen. Die bisherige Praxis, die Existenzsicherung nach rein statistischen Vorgaben zu kalkulieren, wird den tatsächlichen Bedürfnissen nicht mehr gerecht.
Eine Anhebung würde nicht nur die materielle Situation vieler Menschen verbessern, sondern zudem verhindern, dass sie regelmäßig in finanzielle Notlagen geraten und zum Beispiel notwendige Anschaffungen nicht tätigen können.
Weshalb muss bei den Wohnkosten umgedacht werden?
Immer häufiger stehen Leistungsberechtigte vor der Situation, dass ihre Miete nicht vollständig vom Jobcenter übernommen wird und sie deshalb einen Teil ihrer Wohnkosten aus dem Regelsatz bestreiten müssen.
Damit wird das eigentlich unverfügbare Existenzminimum weiter abgesenkt, was dem Grundsatz einer verlässlichen Grundsicherung widerspricht.
Fachleute, wie Thomé sprechen sich dafür aus, eine auskömmliche Übernahme der Wohnkosten sicherzustellen, sodass niemand mehr gezwungen ist, Geld für Nahrungsmittel und andere notwendige Ausgaben zur Deckung der Miete zu verwenden.
Zusätzlich erscheint es sinnvoll, die Kosten für Haushaltsenergie nicht länger aus der Regelleistung zu bestreiten, sondern diesen Teil in die Kosten der Unterkunft zu integrieren.
Klar geregelte Einmalhilfen
Seit einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts ist bekannt, dass über den monatlichen Regelsatz hinausgehende einmalige Bedarfe zu berücksichtigen sind. Hierzu zählen etwa dringend benötigte Haushaltsgeräte, Reparaturen oder andere außergewöhnliche Anschaffungen.
Obwohl die Gesetzgebung 2021 entsprechende Regelungen aufgenommen hat, wird ihre Anwendung in der behördlichen Praxis oft untersagt oder stark eingeschränkt.
Eine eindeutige gesetzliche Grundlage, die sowohl einen verlässlichen Anspruch als auch eine einfache Antragsstellung ermöglicht, ist deshalb unerlässlich, um unzumutbare Härten zu vermeiden.
Sanktionen müssen begrenzt werden
Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass Sanktionen nicht über 30 Prozent hinausgehen dürfen, weil sonst die menschenwürdige Existenz ernsthaft bedroht wäre. In einem weiterentwickelten Bürgergeld müssten daher alle Sanktionen unter dieser Obergrenze bleiben.
Ein Schutz der Kosten für Unterkunft und Krankenversicherung vor Kürzungen sollte ebenfalls gewährleistet sein, damit sich die Betroffenen nicht in Wohnungs- oder Gesundheitsnot wiederfinden.
Jobcenter müssen bürgerfreundlicher gestaltet werden
In vielen Jobcentern ist die vorläufige Einstellung von Leistungen inzwischen ein gängiges Mittel, wenn es zu Unklarheiten oder Problemen mit der Mitwirkung kommt.
Faktisch handelt es sich dabei um eine vollständige Streichung der Existenzsicherung, was mit den Vorgaben der Rechtsprechung kaum in Einklang zu bringen ist. Gleichzeitig führen selbst geringfügige Versäumnisse oftmals zu einer Versagung oder Entziehung von Leistungen.
Eine klarere und vor allem verhältnismäßige Vorgehensweise, die den Verwaltungsstellen enge Grenzen setzt, wäre ein wesentlicher Schritt, um die Gefahr existenzieller Notlagen zu reduzieren.
Für eine effektive Bürokratieentlastung schlagen Organisationen wie der Verein Tacheles konkrete Verbesserungen vor, die zum Beispiel vereinfachte Antragsverfahren und eine konsistente Digitalisierung vorsehen.
Auch wenn digitale Angebote zeitgemäß sind, dürfen sie nicht dazu führen, dass Menschen ohne ausreichende technische Mittel oder Kenntnisse dauerhaft ausgeschlossen werden.
Eine analoge Kommunikation mit den Behörden ist für viele Betroffene der einzig gangbare Weg. Um das Recht auf Teilhabe nicht zu gefährden, bedarf es klarer Regelungen, die niederschwellige Zugänge per Post, Telefon oder persönlicher Vorsprache erhalten.
Es braucht weiterhin eine unabhängige Beratung
Der Gesetzgeber hat die Leistungsträger verpflichtet, Bürgerinnen und Bürger umfassend über ihre Ansprüche zu informieren. In der Realität geschieht dies jedoch häufig nicht.
Für viele Menschen ist es daher schwierig, ihre Rechte durchzusetzen oder zu erkennen, welche Leistungen ihnen zustehen. Eine unabhängige, öffentlich finanzierte Sozialberatung könnte hier Abhilfe schaffen.
Würden entsprechende Beratungsstellen flächendeckend bereitgestellt, wäre eine wertvolle Anlaufstelle geschaffen, die Betroffene ohne Angst vor Nachteilen aufsuchen könnten. Damit ließe sich auch dem Umstand begegnen, dass behördliche Auskünfte gelegentlich widersprüchlich oder unvollständig sind.
Gerechte Zukunft des Bürgergeldes
Angemessene Regelleistungen, einheitliche und realistische Wohnkostenübernahmen, verbindliche Einmalhilfen, begrenzte Sanktionen, verhältnismäßige Leistungskürzungen und eine konsequent bürgerfreundliche Verwaltung – all diese Schritte würden das Bürgergeld zu einem sozialpolitischen Instrument machen, das nicht mehr vorrangig auf Sanktion und Kosteneinsparung setzt.
Stattdessen könnte es als wirkungsvolle Hilfe zur Selbsthilfe verstanden werden, die den Betroffenen Würde, Sicherheit und die Chance auf gesellschaftliche Teilhabe garantiert.
Eine mögliche neue Bundesregierung sollte den Wandel hin zu einem zukunftsfähigen und solidarischen Bürgergeld einleiten und dabei die im SGB II und SGB XII geltenden Prinzipien weiterentwickeln. Nur so kann der Anspruch auf eine existenzsichernde Unterstützung tatsächlich eingelöst werden.
Auch wenn die künftige Bundesregierung diese Forderungen höchst wahrscheinlich nicht umsetzen wird, ist es wichtig weiterhin dafür einzutreten. “Weil es einfach richtig ist”, wie auch Dr. Utz Anhalt von Gegen-Hartz.de kurz und knapp sagt.