Viele Widersprüche und Klagen trotz Bürgergeld-Reform erfolgreich

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Das Bürgergeld sollte Rechtssicherheit schaffen. Nach wie vor sind allerdings die Klage- und Widerspruchsraten hoch. Nach neusten Auswertungen sind mindestens ein Drittel aller Klagen an den Sozialgerichten gerechtfertigt. Oft nur deshalb, weil in den Jobcentern Rechtsvorschriften nicht genügend umgesetzt werden.

Alltägliche Rechtsfehler der Jobcenter

Die neusten Zahlen zeigen: Rund jeder dritte Widerspruch, der als berechtigt anerkannt wird, hat seinen Ursprung in Fehlern der Jobcenter. Das sind Fälle, in denen Sachbearbeiter Regelungen falsch anwenden oder übrhaupt nicht berücksichtigen.

Dabei zeigt sich, dass der Grund für die falschen Entscheidungen meist keine böse Absicht ist, sondern die fehlende Qualifiikation der Mitarbeiter in den Jobcentern.

Rechtswidrige Bescheide durch Sachbearbeiter der Jobcenter gibt es in derartiger Fülle, dass dies nur einen Schluss zulässt: Dort Beschäftigte haben oft keinen blassen Schimmer von den Regelungen, die sie anwenden müssen.

Sozialgerichte werden überflüssig belastet

Die Folgen dieser ungenügenden Kenntnisse sind massiv, für die Leistungsberechtigten wie für Steuerzahler.

Probleme, die durch diese Unterversorgung der Jobcenter entstehen, werden den Sozialgerichten aufgebürdet. Der nächste Schritt nach Ablehnung eines Widerspruchs ist nämich eine Klage vor dem Sozialgericht.

Da sieht es dann wiederum ähnlich aus wie bei den stattgegebenen Widersprüchen. 2024 verhandelten die Sozialgerichte 43.217 Klagen gegen die Jobcenter.

Ein Drittel davon, 33,98 Prozent, erklärten die Gerichte für voll oder teilweise berechtigt. Der Großteil dieser Klagen wäre überflüssig, wenn die Jobcenter schlicht ihre Vorschriften anwenden würden.

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Unterqualifikation, Überforderung und Personalmangel

Die tatsächliche Schuld trifft die Jobcenter. Konkret erst einmal Mitarbeiter selbst, die solche Verfahren wegen Stümperei erst möglich machen.

Zweitens die Behörde selbst, die Mitarbeiter unzureichend ausbildet.

Drittens, und an erster Stelle ist hingegen die fehlende staatliche Förderung verantwortlich, die dafür sorgt, dass Unterqualifikation, Überforderung und Personalmangel ein solches Ausmaß erreichen.

Überforderung der Beschäftigten

Es ist falsch, die Vielzahl der Missstände den einzelnen Mitarbeitern anzulasten. Denn diese zwingt die Struktur geradezu dazu, Fehler zu begehen.

Viele von ihnen werden in wenigen Monaten angelernt und sollen täglich Entscheidungen treffen in komplexen Bereichen wie Arbeitsrecht, Mietrecht, Behindertenrecht, Ausländerrecht, Familienrecht und Sozialrecht.

Dazu fehlt ihnen erstens die Ausbildung, und zweitens sind sie von der schieren Menge der ständig zunehmenden Aufgaben überfordert.

Rechtsfehler der Jobcenter in jedem dritten Fall

Bis September 2024 hatten die Jobcenter in diesem Jahr 316.457 Widersprüche zu bearbeiten. 83.128 davon wurde voll stattgegeben, und weiteren 19.726 teilweise.

Erschreckend ist jetzt, warum viele Widersprüche erfolgreich waren. 30.640 Widersprüche mussten anerkannt werden, weil Jobcenter rechtswidrig entschieden hatten.

Regelungen werden also von genau denjenigen unzureichend verstanden, deren Aufgabe darin besteht, genau diese Regelungen anzuwenden – und das in 29,79 Prozent der Fälle. Jede Firma mit einer solchen Fehlerquote hätte längst Konkurs anmelden müssen.

Es geht oft um die nackte Existenz

Dabei sind Bescheide der Jobcenter rund um Bürgergeld-Ansprüche hochsensibel, denn es handelt sich hier um Leistungen, die das Existenzminimum betreffen.

Unkenntnis über gültiges Recht von Mitarbeitern der Behörde bedeutet für Hilfebedürftige sehr schnell existentielle Not.

Große Worte, keine Konsequenzen

Das Bürgergeld wurde vollmundig als Verbesserung gegenüber dem Hartz IV System angekündigt. Eine “Kommunikation auf Augenhöhe” zwischen Leistungsberechtigten und Jobcenter versprach das Arbeitsministerium.

Prozesse sollten niedrigschwelliger und transparenter werden.

Der Anteil der Widersprüche, die wegen Rechtsfehlern der Jobcenter erfolgten, blieb jedoch seit Hartz IV mehr oder weniger konstant.

Das Problem wird ignoriert

Die Ursachen dafür, dass diese Fehlerquote nicht sank, sind kein Mysterium. Es gibt nämlich bewährte Methoden, um Missstände zu beheben bei Behörden, die ihre Arbeit mangelhaft erledigen. Keine davon wurde umgesetzt.

Zuerst einmal muss das Problem anerkannt und analysiert werden. Wenn Überforderung und Inkompetenz dem Problem zugrunde liegt, dann müssen erstens mehr Mitarbeiter eingestellt und diese zweitens besser ausgebildet werden. Drittens ließen sich auch Strukturen schaffen, die solche Fehler minmieren.

Kürzen statt Fördern

Das alles kostet Geld. Stattdessen werden im Haushaltsentwurf für 2025 Milliarden bei den Jobcentern eingespart. Die strukturellen Probleme, die die horrende Menge an Fehlern der Mitarbeiter auslösen, werden nicht gemindert. Sie werden im Gegenteil verschärft.

Behördenversagen belastet Gerichte

Gerichte werden genötigt, falsche Einschätzungen und fehlerhafte Entscheidungen der Jobcenter richtig zu stellen. Richtern wird also ein Berg an zusätzlicher Arbeit nur deshalb aufgebürdet, weil die Jobcenter ihre Hausaufgaben nicht machen.

Diese für die Gerichte ebenso wie für die Leistungsberechtigten und Steuerzahler unerträglichen Verhältnisse werden jedoch in Politik und Medien unter den Teppich gekehrt.

Die Unverschämtheit gipfelt vielmehr darin, dass die Leistungsberechtigten für die immense Kostenverschwendung beschuldigt werden. Damit werden Opfer zu Tätern gemacht.