Wer früher in Rente gehen will muss sich entscheiden

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Immer mehr Menschen in Deutschland fragen sich, ob sie nicht früher in Rente gehen können – idealerweise ohne finanzielle Einbußen. Zwei Regelungen sorgen dabei für besonders viel Verwirrung: die Altersrente für langjährig Versicherte (ab 35 Versicherungsjahren) und die für besonders langjährig Versicherte (ab 45 Versicherungsjahren).

Beide Modelle ermöglichen einen früheren Rentenbeginn. Doch lassen sie sich auch kombinieren? Dieser Artikel liefert eine klare Einordnung – mit praktischen Beispielen und konkreten Handlungsoptionen.

Früher in Rente – auch ohne Schwerbehinderung?

Die Möglichkeit, vorzeitig aus dem Berufsleben auszusteigen, besteht in Deutschland nicht nur für Menschen mit Schwerbehinderung. Auch ohne einen entsprechenden Ausweis können Versicherte unter bestimmten Voraussetzungen früher in den Ruhestand gehen.

Ausschlaggebend ist dabei die Anzahl der sogenannten „Wartejahre“, also der Jahre, in denen Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung gezahlt wurden – inklusive Zeiten der Kindererziehung, Pflege und Arbeitslosigkeit unter bestimmten Bedingungen.

Zwei Regelungen sind dabei besonders relevant: Zum einen die Altersrente für langjährig Versicherte, die nach 35 Versicherungsjahren greift. Sie ermöglicht den Renteneintritt ab dem 63. Lebensjahr, allerdings mit dauerhaften Rentenabschlägen.

Zum anderen gibt es die Altersrente für besonders langjährig Versicherte. Wer auf 45 Versicherungsjahre kommt, kann zwei Jahre vor dem regulären Renteneintrittsalter abschlagsfrei in Rente gehen.

Diese Modelle stehen grundsätzlich nebeneinander – und genau das führt oft zu Missverständnissen.

Ein Beispiel aus der Praxis: Geburtsjahrgang 1962

Betrachten wir eine versicherte Person, geboren im Jahr 1962. Regulär liegt das gesetzliche Renteneintrittsalter für diesen Jahrgang bei 66 Jahren und acht Monaten. Wer jedoch die 45-jährige Wartezeit erfüllt hat, kann bereits mit 64 Jahren und acht Monaten in die sogenannte „abschlagsfreie Frühverrentung“ wechseln.

In diesem Fall bleibt die Rente ungekürzt – ein Vorteil, der sich langfristig deutlich auszahlt.

Wenn dieselbe Person jedoch nur auf 35 Versicherungsjahre kommt, besteht die Möglichkeit, bereits mit 63 in Rente zu gehen. Dafür muss sie allerdings finanzielle Abstriche hinnehmen: Für jeden Monat, den sie vor dem regulären Renteneintrittsalter aus dem Erwerbsleben ausscheidet, wird die Rente um 0,3 Prozent gekürzt.

In diesem Fall summieren sich die Abschläge auf insgesamt 10,8 Prozent – eine lebenslange Reduktion der monatlichen Zahlungen.

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Wunschdenken kontra Realität: Lassen sich die Modelle kombinieren?

Viele Versicherte fragen sich, ob sich aus beiden Varianten das Beste herausholen lässt: möglichst früh in Rente gehen wie bei der 35-Jahre-Regelung – aber mit reduzierten Abschlägen oder gar ohne, dank der 45 Jahre. Die Idee dahinter ist einleuchtend:

Wer beide Bedingungen erfüllt, könnte theoretisch mit 63 Jahren in Rente gehen und dabei nur jene Abschläge in Kauf nehmen, die zwischen dem abschlagsfreien Zeitpunkt (64 Jahre und acht Monate) und dem tatsächlichen Rentenbeginn liegen.

Doch so funktioniert das System nicht. Eine Kombination beider Rentenarten ist rechtlich ausgeschlossen. Die Deutsche Rentenversicherung weist explizit darauf hin: Jede Rentenart basiert auf eigenen Voraussetzungen und eigenen Regelungen zur Berechnung der Abschläge.

Wer sich für die Altersrente für langjährig Versicherte entscheidet – also den früheren Renteneintritt mit 63 –, dessen Abschläge werden immer ausgehend vom gesetzlichen Rentenalter berechnet und nicht vom möglichen abschlagsfreien Eintritt mit 45 Versicherungsjahren.

Warum die rechtliche Trennung notwendig ist

Die gesetzliche Rentenversicherung folgt dem Prinzip klar definierter Anspruchsgrundlagen. Eine gleichzeitige Inanspruchnahme zweier Altersrentenarten ist systematisch nicht vorgesehen – schon aus Gründen der Finanzierbarkeit und Transparenz.

Die Varianten sind als Alternativen gedacht, nicht als Bausteine, die sich individuell kombinieren lassen. Der Rentenantrag erfolgt immer für eine spezifische Rentenart – und der damit verbundene Rentenbeginn und eventuelle Abschläge richten sich ausschließlich nach deren Parametern.

Damit wird ausgeschlossen, dass jemand zwar die 45 Jahre voll hat, aber dennoch früher als vorgesehen und mit einem individuell reduzierten Abschlag in Rente geht. Dieses Modell wäre nur mit einem Schwerbehindertenausweis möglich – und selbst dann gelten eigene Regeln.

Was bedeutet das für Versicherte konkret?

Wer die 45 Versicherungsjahre erreicht hat, steht vor einer klaren Entscheidung: Entweder er oder sie wartet bis zur frühestmöglichen abschlagsfreien Inanspruchnahme der Rente – in unserem Beispiel 64 Jahre und acht Monate – oder geht bewusst früher in Rente über die 35-Jahre-Regelung, nimmt dafür aber die entsprechenden Abschläge in Kauf.

Wer beide Voraussetzungen erfüllt, kann zwar zwischen den Modellen wählen, aber nicht gleichzeitig von beiden profitieren.

Das bedeutet: Auch wenn jemand formal die 45 Jahre zusammen hat, gelten für einen vorgezogenen Ruhestand mit 63 dieselben Abschläge wie für jemanden, der nur auf 35 Jahre kommt. Die 45 Jahre helfen nur dann, wenn man den Ruhestand exakt zu dem Zeitpunkt antritt, den die Regelung für besonders langjährig Versicherte vorsieht.

Rechenbeispiel: Der Preis für 20 Monate früheren Ruhestand

Zur Verdeutlichung: Wenn eine versicherte Person des Jahrgangs 1962 mit 64 Jahren und acht Monaten abschlagsfrei in Rente gehen dürfte, sich aber für einen früheren Beginn mit 63 entscheidet, entsteht ein Abschlag von insgesamt sechs Prozent.

Dieser berechnet sich aus 20 Monaten Differenz zum gesetzlichen Rentenalter (66 Jahre und acht Monate), nicht zum abschlagsfreien Rentenbeginn. Bei einer angenommenen monatlichen Bruttorente von 1.600 Euro wären das 96 Euro weniger – Monat für Monat, dauerhaft.

Der Versuch, sich durch geschickte Kombination beider Regelungen einen Vorteil zu verschaffen, endet also unweigerlich mit einer finanziellen Einbuße – auch dann, wenn die 45 Jahre erreicht wurden.

Ausnahme: Rentenvorteile bei Schwerbehinderung

Ein anderes Bild ergibt sich nur für Menschen mit einer anerkannten Schwerbehinderung ab 50 Prozent. In diesem Fall greifen besondere Regelungen, die einen deutlich früheren Renteneintritt ermöglichen – oft mit reduzierten oder sogar ganz ohne Abschläge. Die Voraussetzungen hierfür sind jedoch streng geregelt, und die Anerkennung der Schwerbehinderung muss amtlich dokumentiert sein.

Wer diese Bedingungen erfüllt, kann unter Umständen schon mit 62 Jahren abschlagsfrei in Rente gehen. In diesem Fall wäre eine Kombination mit der 45-Jahre-Regelung denkbar – aber ausschließlich im Rahmen der Schwerbehindertenrente, nicht durch Zusammenlegung der Standardvarianten.