Der Rentenversicherungsbericht der Bundesregierung aus dem Jahr 2024 hat Zahlen ans Licht gebracht: รber 100.000 Witwen- und Witwerrenten werden entweder nicht oder nicht in voller Hรถhe ausgezahlt. Wie kommt es dazu, dass so viele Witwenrenten gestoppt oder reduziert werden?
Wie hat sich die Situation in den letzten Jahrzehnten entwickelt?
Ein Blick in die Vergangenheit zeigt, wie dramatisch sich die Lage verรคndert hat. Im Jahr 1992 waren es lediglich 4.500 Frauen, die ihre Witwenrente nicht mehr ausgezahlt bekamen.
Bis Ende 2022 stieg diese Zahl auf รผber 110.000 Fรคlle an โ ein Anstieg um das 23-Fache. Auch fรผr das Jahr 2023 wird ein weiterer Anstieg vermutet. Dieser Trend zeigt das wachsende Problem bei der Einkommensanrechnung, die insbesondere Witwen betrifft.
Was ist der Grund fรผr die Nichtzahlung der Witwenrente?
Ein Grund fรผr den Ausfall der Witwenrente ist die gesetzlich geregelte Einkommensanrechnung. Wenn Witwen oder Witwer ein eigenes Einkommen erzielen, wird dieses ab einem bestimmten Freibetrag auf die Witwenrente angerechnet.
Bei einem hohen Einkommen kann dies dazu fรผhren, dass die Rente auf null reduziert wird โ die sogenannte โNullrenteโ. Auch wenn der Anspruch auf die Witwenrente formal bestehen bleibt, ruht die Auszahlung in solchen Fรคllen.
Dies hat zur Folge, dass viele Betroffene, trotz des Todes ihres Ehepartners und der damit verbundenen finanziellen Belastung, zusรคtzlich arbeiten mรผssen, um ihren Lebensunterhalt zu sichern.
Fรผr viele Witwen stellt dies eine erhebliche Mehrbelastung dar, da sie nicht nur mit dem Verlust eines geliebten Menschen, sondern auch mit finanziellen Unsicherheiten konfrontiert sind.
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Warum empfinden viele die Einkommensanrechnung als ungerecht?
Die Einkommensanrechnung auf die Witwenrente wird von vielen Betroffenen als Bestrafung empfunden.
Die Rente, die ursprรผnglich als Unterhaltsersatzleistung gedacht ist, wird dadurch oft vollstรคndig gestrichen, sobald die Betroffenen zusรคtzlich arbeiten. Besonders problematisch ist dies fรผr diejenigen, die trotz Arbeit nur knapp รผber dem Freibetrag verdienen, aber dennoch ihre Witwenrente verlieren.
Der Rentenexperte Peter Knรถppel kritisiert, dass die Einkommensanrechnung in ihrer aktuellen Form nicht mehr zeitgemรคร sei. “Frauen verdienen heute hรคufiger ein eigenes Einkommen und stehen zunehmend finanziell auf eigenen Beinen โ ein positiver gesellschaftlicher Wandel, der jedoch durch die Anrechnung in der Witwenrente benachteiligt wird.”
Gibt es politische Bestrebungen zur Reform der Einkommensanrechnung?
Ja, allerdings mit begrenzten Fortschritten, sagt der Experte. Die derzeitige Regierung hat zwar รผber eine Reform nachgedacht, jedoch konnte sie sich nicht auf eine signifikante Erhรถhung der Freibetrรคge einigen.
Der ursprรผnglich geplante Freibetrag von 538 Euro wurde nicht umgesetzt. Die CDU/CSU hat hingegen angekรผndigt, im Falle eines Wahlsiegs im Jahr 2025 einen Freibetrag von bis zu 2.000 Euro fรผr Rentnerinnen und Rentner einzufรผhren, die neben ihrer Rente arbeiten.
Ob und in welcher Hรถhe ein solcher Freibetrag auch fรผr die Witwenrente gelten wird, bleibt allerdings offen, der Rentenexperte, der auch Rechtsanwalt ist.
Welche Forderungen stellen Betroffene und Experten?
Betroffene und Fachleute wie Knรถppel fordern vor allem zwei Maรnahmen:
- Erhรถhung der Freibetrรคge: Die Einfรผhrung eines hรถheren Freibetrags wรผrde dazu fรผhren, dass mehr Betroffene ihre Witwenrente zumindest teilweise behalten kรถnnten.
- Abschaffung der Einkommensanrechnung: Einige Expertinnen und Experten plรคdieren dafรผr, die Einkommensanrechnung komplett abzuschaffen, da sie als erwerbsfeindlich und unverhรคltnismรครig kompliziert gilt. Zudem bindet sie erhebliche personelle und finanzielle Ressourcen bei der Rentenversicherung.
Welche Auswirkungen hat die aktuelle Regelung auf Betroffene?
Die Folgen der aktuellen Regelung sind vielseitig:
- Finanzielle Unsicherheit: Viele Betroffene kรคmpfen mit finanziellen Engpรคssen, da sie auf die Witwenrente angewiesen wรคren.
- Erwerbshemmung: Die Einkommensanrechnung nimmt vielen Betroffenen die Motivation, zusรคtzlich zu arbeiten, da dies hรคufig keinen finanziellen Vorteil bringt.
- Emotionale Belastung: Der Verlust des Ehepartners ist fรผr viele ein einschneidendes Ereignis. Die zusรคtzliche finanzielle Belastung durch die fehlende Witwenrente verstรคrkt den Stress und die Unsicherheit.
Was muss sich รคndern?
Das wachsende Problem der Nichtzahlung von Witwenrenten zeigt, dass eine Reform dringend erforderlich ist. Eine deutliche Erhรถhung der Freibetrรคge oder die Abschaffung der Einkommensanrechnung kรถnnte vielen Betroffenen helfen und das System gerechter gestalten. Gleichzeitig wรผrde dies den Verwaltungsaufwand reduzieren und die finanzielle Eigenstรคndigkeit von Witwen und Witwern fรถrdern.
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Carolin-Jana Klose ist seit 2023 Autorin bei Gegen-Hartz.de. Carolin hat Pรคdagogik und Sportmedizin studiert und ist hauptberuflich in der Gesundheitsprรคvention und im Reha-Sport fรผr Menschen mit Schwerbehinderungen tรคtig. Ihre Expertise liegt im Sozialrecht und Gesundheitsprรคvention. Sie ist aktiv in der Erwerbslosenberatung und Behindertenberatung.