Die Einkommensanrechnung auf die Witwenrente sorgt seit Jahren fรผr kontroverse Diskussionen. Wรคhrend manche sie als notwendiges Instrument zur Vermeidung von Doppelleistungen sehen, halten sie andere fรผr รผberholt, bรผrokratisch und vor allem ungerecht.
Einkommensanrechnung ist kompliziert
Unter der Einkommensanrechnung versteht man, dass das Einkommen der hinterbliebenen Person โ zum Beispiel aus einer Berufstรคtigkeit, Selbststรคndigkeit oder auch aus Leistungen wie Arbeitslosengeld โ auf die Witwenrente angerechnet wird. Damit soll verhindert werden, dass Hinterbliebene in Summe mehr Geld erhalten, als es der Gesetzgeber fรผr angemessen hรคlt.
Doch gerade diese Regelung bringt eine Vielzahl komplexer Berechnungen und Prรผfungsschritte mit sich:
- Arbeitgeber mรผssen Formulare รผber die Einkommenshรถhe der Betroffenen ausfรผllen.
- Die Deutsche Rentenversicherung (DRV) benรถtigt Daten und Dokumente von Finanzรคmtern und Steuerberatern.
- Auch Bezรผge aus Krankengeld oder anderen Erwerbsersatzleistungen flieรen in die Berechnung ein.
All diese Informationen mรผssen laufend abgeglichen und aktualisiert werden. Fรผr Laien ist es nahezu unmรถglich, alle Einzelheiten zu durchdringen.
Dabei entsteht ein groรer zeitlicher und organisatorischer Aufwand โ sowohl fรผr die Betroffenen als auch fรผr die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei der DRV, die in vielen Fรคllen dringendere Aufgaben zu bewรคltigen hรคtten.
Warum ist diese Regelung ungerecht?
Neben dem hohen Aufwand steht fรผr viele Betroffene vor allem die Ungerechtigkeit im Vordergrund. Witwen und Witwer befinden sich hรคufig ohnehin in einer schwierigen Lage, wenn der Hauptverdiener oder die Hauptverdienerin verstirbt. Die Tatsache, dass das eigene Einkommen dann noch von der Hinterbliebenenrente abgezogen wird, empfinden viele als zusรคtzliche Bรผrde.
Zudem wirkt die Einkommensanrechnung aus Sicht vieler Expertinnen und Experten โerwerbsfeindlichโ: Wer nach dem Tod des Partners bzw. der Partnerin wieder ins Berufsleben einsteigen oder die Arbeitszeit aufstocken mรถchte, muss damit rechnen, dass die Witwen- oder Witwerrente entsprechend gekรผrzt wird.
Fรผr manche ist es dann wirtschaftlich attraktiver, die Arbeitszeit zu reduzieren oder gar ganz auf eine Beschรคftigung zu verzichten, um den Kรผrzungen zu entgehen.
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Welche Hรผrden entstehen durch die Anrechnung?
Die Verwaltungspraxis ist aufwรคndig und bindet erhebliche Ressourcen. Arbeitgeber mรผssen Formulare ausfรผllen, Nachweise beibringen oder steuerrelevante Daten offenlegen.
Die Deutsche Rentenversicherung wiederum setzt viel Personal fรผr die Prรผfung der Unterlagen, die Kommunikation mit anderen Behรถrden und die Erstellung individueller Berechnungen ein.
Dieser Verwaltungsaufwand geht mit hohen Kosten einher, die in keinem klaren Verhรคltnis zu den Einsparungen stehen, die der Staat durch die gekรผrzten Rentenzahlungen erzielt.
Gleichzeitig entstehen Verzรถgerungen bei der Auszahlung oder Neuberechnung, weil immer wieder neue oder aktualisierte Daten eingereicht werden mรผssen. Auch fรผr die Betroffenen ist dies eine fortwรคhrende Belastung.
Was sagen Politik und Experten โ kommt eine Abschaffung?
Aus Reihen verschiedener Parteien, darunter SPD und FDP, wurde in der Vergangenheit immer wieder gefordert, die Einkommensanrechnung abzuschaffen. Die zentralen Argumente lauten:
Allerdings ist nicht erkennbar, dass es trotz teils deutlicher Kritik โ tatsรคchlich zu einer Gesetzesรคnderung kommt. Ein konkretes Gesetzgebungsverfahren scheint derzeit nicht auf dem Weg zu sein. Auch stehen die Bundestagswahlen an, weshalb derzeit ein politischer Stillstand herrscht.
Neuer Sockelbetrag wird verschoben
Ursprรผnglich sollte zum 1. Juli 2025 ein Sockelbetrag von 538 Euro eingefรผhrt werden, der als neuer Freibetrag bei Einkommen gilt. Allerdings wurde bekannt, dass sich diese รnderung um zwei Jahre verzรถgert und nun erst zum 1. Juli 2027 wirksam werden soll.
Der Grund: Die Deutsche Rentenversicherung muss ihre Software und internen Ablรคufe anpassen, was offenbar umfangreicher ausfรคllt als geplant.
Fรผr Betroffene bedeutet dies, dass sie zwei Jahre lรคnger warten mรผssen, bis der neue Freibetrag tatsรคchlich greift โ und damit auch zwei Jahre lรคnger auf mรถgliche finanzielle Entlastungen verzichten mรผssen.
Ist eine Abschaffung der Einkommensanrechnung realistisch?
Obwohl viele Grรผnde fรผr eine Abschaffung sprechen, ist derzeit nicht absehbar, ob und wann die Politik sich zu einem solchen Schritt entschlieรen wird.
Der hohe bรผrokratische Aufwand, die fragwรผrdige Kosten-Nutzen-Bilanz und die erwerbsfeindliche Wirkung sind jedoch stichhaltige Argumente fรผr eine Reform. Befรผrworter der Abschaffung betonen auรerdem, dass Hinterbliebene sich in einer emotionalen und oft finanziell angespannten Situation befinden, die nicht zusรคtzlich erschwert werden sollte.
Die Forderungen aus der Praxis und von Fachleuten lauten daher: “Die Einkommensanrechnung mรถglichst schnell streichen, um den Verwaltungsapparat zu entlasten und Hinterbliebenen den Weg in die Erwerbstรคtigkeit offenzuhalten”, fordert unter anderem der Rentenexperte und Rechtsanwalt Peter Knรถppel.
Und der Sozialrechtsexperte Dr. Utz Anhalt sagt: “Wer eine Witwenrente bezieht, sieht sich sowieso erheblichen Belastungen ausgesetzt, wenn der Partner verstirbt. Wird nun auch noch das Einkommen aus Erwerbsarbeit angerechnet, bleibt von der Witwenrente kaum mehr etwas รผbrig. Hier sollte die Politik handeln”.
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Carolin-Jana Klose ist seit 2023 Autorin bei Gegen-Hartz.de. Carolin hat Pรคdagogik und Sportmedizin studiert und ist hauptberuflich in der Gesundheitsprรคvention und im Reha-Sport fรผr Menschen mit Schwerbehinderungen tรคtig. Ihre Expertise liegt im Sozialrecht und Gesundheitsprรคvention. Sie ist aktiv in der Erwerbslosenberatung und Behindertenberatung.