Bürgergeld – Familie muss 3520 € erstatten wegen Grober Fahrlässigkeit
Wann müssen Empfänger der Grundsicherung nach dem SGB II Fehler in ihren Bewilligungsbescheiden vom Jobcenter erkennen?
Bezieher von Bürgergeld sind – Juristische Laien
Bei komplizierten Berechnungen, wie sie sich z.B. in Bescheiden zur Grundsicherung nach dem Bürgergeld finden, kann von einem Laien, der nicht täglich mit dieser Art von Berechnung zu tun hat, verlangt werden, dass er die Berechnung durchliest und eventuelle Fehler bei den eingestellten Daten (z.B. Anzahl der Mitglieder der Haushaltsgemeinschaft, Höhe des erzielten Entgelts, Höhe der zu zahlenden Miete usw.) beachtet.
Hat der Leistungsbezieher korrekte Angaben gemacht – muss er den Bewilligungsbescheid – nicht – auf seine Richtigkeit überprüfen
Auf der anderen Seite ist der Begünstigte, der zutreffende Angaben gemacht hat, nicht gehalten, Bewilligungsbescheide im Detail auf ihre Richtigkeit zu überprüfen.
Zweifel bei den Bescheiden reichen nicht aus
Für die Annahme grober Fahrlässigkeit reicht es zudem nicht aus, dass der Betroffene Zweifel an der Rechtmäßigkeit hat, sondern die Zweifel müssen so ausgestaltet sein, dass es für jeden erkennbar ist, dass hier wenigstens eine Nachfrage notwendig wäre.
So gibt das Landessozialgericht Nordrhein -Westfalen mit heutigem Beschluss bekannt ( L 7 AS 751/24 ).
Eine Bürgergeld – Familie 3520 Euro muss zurück zahlen, weil die Leistungsempfänger bei Anwendung der ihnen obliegenden Sorgfaltspflichten hätten wissen müssen, dass die gewährten Bedarfe für Unterkunft und Heizung ihnen in dieser Höhe nicht zustanden.
Jobcenter zahlte für 2 Mietwohnungen Unterkunftskosten – Auf Vertrauensschutz konnten sich die hilfebedürftigen nicht berufen
Denn nicht auf Vertrauen berufen können sich Grundleistungsempfänger, wenn sie die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannten oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannten.
Grobe Fahrlässigkeit ist gegeben, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat.
Grobe Fahrlässigkeit ist zum Beispiel dann zu bejahen, wenn sich die Rechtswidrigkeit ohne weitere Nachforschungen aus dem Bescheid selbst ergeben hat oder anhand der Umstände und ganz naheliegender Überlegungen auffallen musste, dass der Bescheid fehlerhaft ist.
Maßgebend für das Kennen oder Kennenmüssen der Rechtswidrigkeit ist der Zeitpunkt der Bekanntgabe des Verwaltungsakts.
Rechtswidrigkeit der Bescheide war nach Auffassung des Gerichts – ganz leicht von den Bürgergeld – Beziehenden zu erkennen
Die Familie musste die Rechtswidrigkeit der Bescheide – aufgrund ganz naheliegender Überlegungen – auffallen.
Denn es war bereits beim Lesen der Berechnungsbögen offensichtlich, dass nicht nur die Kosten für die bis Mai 2019 bewohnte, sondern auch fortlaufend die Bedarfe für die seit Juni 2019 bewohnte Unterkunft aufgeführt wurden und zudem bei der – Höhe der zustehenden Leistungen für die KdU 1.752,64 €, d.h. der Betrag nach Addition der Warmmieten für beide Unterkünfte (1.084 € und 668,64 €) ausgewiesen war. Somit wurden der Familie monatlich Mietkosten für – Zwei Mietwohnungen – vom Jobcenter überwiesen.
Die Leistungsempfänger konnten somit nur durch Lesen der Bescheide erkennen, dass sie vom Jobcenter über 650 € mehr als den gegenüber dem Vermieter monatlich geschuldeten und von den Klägern überwiesenen Mietzins erhielten.
Leistungsbezieher verfügen über keine kaufmännische oder juristische Ausbildung – so die bedürftige Familie
Dieser Auffassung folgten die Richter aber in diesem Einzelfall nicht:
1. Denn zum einen bedarf es lediglich des schlichten Lesens der Bescheide, um den Fehler zu erkennen.
2. Zum anderen hat der Kläger nicht nur den Führerschein erworben, sondern auch eine Tätigkeit als selbstständiger Taxifahrer ausgeübt.
3. Die Klägerin hat in Deutschland einen Schulabschluss gemacht, war zudem anschließend berufstätig in abhängiger Beschäftigung. Ergänzend zeigt sich die Fähigkeit, Bescheide zu lesen, zu prüfen und adäquat zu reagieren auch darin, dass die Betroffenen wegen fehlender Angaben zu den Unterkunftskosten, Grundsicherung ohne deren Berücksichtigung bewilligt worden sind, auf die Aufforderung zur Mitwirkung vom 07.01.2020 umgehend am 15.01.2020 den Vordruck mit den notwendigen Angaben zu den Unterkunftskosten eingereicht haben, um die zeitnahe Änderung des Bescheides zu ihren Gunsten, d.h. die Bewilligung von Unterkunftskosten zu erreichen.
Fazit
Grobe Fahrlässigkeit liegt vor und führt zur Rückzahlung von rechtswidrigen Bürgergeld – Leistungen, wenn eine Familie mit Leistungsbezug nach dem SGB II monatliche Mietkosten für 2 Wohnungen erhält.
Grobe Fahrlässigkeit ist dann zu bejahen, wenn sich die Rechtswidrigkeit ohne weitere Nachforschungen aus dem Bescheid selbst ergeben hat oder anhand der Umstände und ganz naheliegender Überlegungen auffallen musste, dass der Bescheid fehlerhaft ist, was hier der Fall war.
Praxistipp vom Experten für Sozialrecht – Zum Vertrauensschutz bei Aufhebungsbescheiden nach dem Bürgergeld
JobCenter argumentieren immer wieder, die Leistungsbeziehende Person hätte die Rechtswidrigkeit erkennen können (oder müssen), weshalb kein Vertrauensschutz im Sinne von § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X bestehe.
Vertrauensschutz bei Aufhebungsbescheiden hat sich aber am Empfängerhorizont der Leistungsbeziehenden Person nach dem Bürgergeld zu orientieren ( so ausdrücklich das LSG BB Az. L 3 AS 772/23 ).
Ob sich ein Hilfebedürftiger bei Aufhebungs und Rückforderungsbescheiden auf Vertrauensschutz berufen kann, ist immer – eine Frage des Einzelfalls.