Bürgergeld: Dann muss das Jobcenter eine Weiterbildung fördern – Urteil

Lesedauer 3 Minuten

Leistungsempfänger von Bürgergeld haben grundsätzlich keinen Anspruch auf einen Bildungsgutschein für eine Weiterbildungsmaßnahme, sofern das Jobcenter bei seiner Entscheidung ein Auswahlermessen hat. Ein Anspruch besteht nur bei einer sogenannten Ermessensreduzierung auf Null.
Dies bestätigte das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen mit Urteil vom 25.10.2024 (Az.: L 15 AS 187/24).

Hintergrund und rechtliche Grundlage

Gemäß § 16 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB II i. V. m. § 81 Abs. 1 SGB III kann eine berufliche Weiterbildung durch Übernahme der Weiterbildungskosten gefördert werden, wenn folgende Voraussetzungen erfüllt sind:

Die Maßnahme ist für die berufliche Eingliederung erforderlich, sei es wegen drohender Arbeitslosigkeit oder eines fehlenden Berufsabschlusses.
Eine vorherige Beratung durch den zuständigen Träger hat stattgefunden.
Maßnahme und Träger sind für die Förderung zugelassen.

Zudem erkennt § 81 Abs. 1a SGB III eine Weiterbildung auch dann als notwendig an, wenn dadurch die individuelle Beschäftigungsfähigkeit verbessert wird und die Maßnahme unter Berücksichtigung von Arbeitsmarktlage und entwicklung zweckmäßig ist.

Umsetzung in der Praxis

In der Praxis erfolgt die Förderung regelmäßig über die Ausgabe eines Bildungsgutscheins (§ 81 Abs. 4 SGB III), der dem Leistungsempfänger ein Wahlrecht zwischen zugelassenen Maßnahmen und Trägern einräumt.

Nach § 14 Abs. 4 SGB II sind die Leistungsträger verpflichtet, im Einzelfall alle für die Eingliederung in Arbeit erforderlichen Leistungen unter Berücksichtigung von Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit zu erbringen. § 3 Abs. 1 Satz 1 SGB II stellt zudem klar, dass Leistungen zur Eingliederung erbracht werden können, wenn sie geeignet sind, die Hilfebedürftigkeit zu vermeiden oder zu verringern.

Diese Vorschriften begründen zwar keinen unmittelbaren Leistungsanspruch, definieren aber den Rahmen und die Zielsetzung der Grundsicherung für Arbeitsuchende (vgl. BSG, Urteil vom 23.11.2006 – B 11b AS 3/05 R; Senatsurteil vom 05.12.2022 – L 15 AS 478/21).

Ermessensspielraum des Jobcenters

Nach dem Wortlaut des § 16 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 SGB II i. V. m. § 81 SGB III „können“ Leistungen erbracht werden. Daraus folgt, dass das Jobcenter sowohl ein Entschließungsermessen (ob überhaupt eine Förderung erfolgt) als auch ein Auswahlermessen (welche Maßnahme gefördert wird) hat.

Ein Anspruch auf eine konkrete Maßnahme besteht nur dann, wenn das Ermessen der Behörde auf Null reduziert ist – also keine andere Entscheidung rechtlich zulässig wäre.

Im konkreten Fall verneinte das LSG eine solche Ermessensreduzierung:
Die beantragte Teilnahme an einem MSOffice-Expert-Kurs war nicht die einzig in Betracht kommende Möglichkeit zur beruflichen Eingliederung der Klägerin. Entsprechend war das Jobcenter nicht verpflichtet, diesen Kurs durch einen Bildungsgutschein zu fördern.

Dies entspricht auch der bisherigen Rechtsprechung anderer Landessozialgerichte (vgl. etwa LSG Hamburg, Beschluss vom 14.12.2010 – L 5 AL 830/10 B ER; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 13.10.2011 – L 14 AL 174/11 B ER; LSG NRW, Beschluss vom 05.07.2010 – L 6 AS 842/10 B).

Fazit des Gerichts

Da dem Jobcenter bei der Auswahl geeigneter Weiterbildungsmaßnahmen ein Ermessensspielraum zusteht, bestand kein Anspruch auf die konkrete Maßnahme. Eine Ermessensreduzierung auf Null lag nicht vor, da mehrere sinnvolle Alternativen denkbar waren.

Praxistipp von Sozialrechtsexperte Detlef Brock: Ermessensreduzierung auf Null im Eilverfahren

Ein Anspruch auf einen vorläufigen Bildungsgutschein im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes kann bestehen, wenn die beantragte Maßnahme zur nachhaltigen Eingliederung zwingend erforderlich ist.

So etwa in einem Fall vor dem LSG NRW (Beschluss vom 21.10.2021 – L 21 AS 779/21 B ER), in dem ein Bürgergeld-Bezieher ohne abgeschlossene Ausbildung eine Umschulung zum Zerspanungsmechaniker anstrebte. Das Gericht sah eine positive Beschäftigungsprognose: Aufgrund der spezifischen Lage des Arbeitsmarktes und der fehlenden beruflichen Perspektive ohne Umschulung sei die Maßnahme notwendig gewesen.

Entscheidend ist stets die Prognoseentscheidung des Jobcenters:
Eine Maßnahme gilt als notwendig, wenn ohne sie ein angemessener Arbeitsplatz nicht zeitnah vermittelt werden kann. Berücksichtigt werden müssen dabei u. a. Dauer der Arbeitslosigkeit, Qualifikation und Marktlage.

Hinweis: Kostenerstattung bei selbst beschaffter Maßnahme

Ein Bildungsgutschein muss vor Beginn der Maßnahme ausgestellt werden (§ 81 Abs. 4 SGB III). Dennoch ist in Ausnahmefällen eine Kostenerstattung möglich, etwa bei unaufschiebbarem Bedarf oder rechtswidriger Ablehnung durch das Jobcenter.

Dies ergibt sich aus dem allgemeinen sozialrechtlichen Grundsatz, dass bei Selbstbeschaffung unaufschiebbarer Leistungen ein Erstattungsanspruch bestehen kann (vgl. BSG, Urteile vom 06.08.2014 – B 4 AS 37/13 R und vom 23.05.2013 – B 4 AS 79/12 R; LSG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 24.05.2016 – L 2 AL 54/10).

Voraussetzung: Es muss ein rechtlich bestehender Anspruch auf die Leistung vorgelegen haben. Nur dann kann der Kostenerstattungsanspruch an die Stelle des Primäranspruchs treten (vgl. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 20.05.2016 – L 8 AL 1234/15).