Bürgergeld: Lebensversicherung dürfen Jobcenter nicht als Vermögen anrechnen – Gericht rügt

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Eine Kapitallebensversicherung zur Altersvorsorge ist von der Vermögensberücksichtigung beim Bürgergeld freigestellt.

Eine Kapitallebensversicherung mit einer Laufzeit von 30 Jahren, welche der Versorgung im Alter dient und die vereinbarte Auszahlung erst mit dem 60. Lebensjahr erfolgt, dient der Altersvorsorge und darf vom Jobcenter nicht als Vermögen berücksichtigt werden.

Generell kann eine Zweckbestimmung mit der Praxis der BA etwa bei Kapitallebens- oder Rentenversicherungen vorliegen (Orientierungssatz Detlef Brock).

Was wurde verhandelt?

Das Sozialgericht Landshut gibt aktuell bekannt, dass eine Kapitalversicherung zur Altersvorsorge geschützes Vermögen ist. Dem Empfänger von Bürgergeld wurden die Leistungen im Eilverfahren und vorläufig zugesprochen.

Das Jobcenter lehnte den Antrag auf Bürgergeld für den Antragsteller ab, weil er nicht hilfebedürftig sei. Die Karenzzeit für Vermögen sei abgelaufen. Es gelte ein Vermögensfreibetrag in Höhe von 15.000,00 EUR.

Der Antragsteller verfüge über ein verwertbares Vermögen in Höhe von 19.384,05 Euro, das den Vermögensfreibetrag in Höhe von 15.000,00 Euro übersteige.

Gegen die subjektive Zweckbestimmung der Altersvorsorge spreche objektiv, dass kein Verwertungsausschluss nach § 165 Abs. 3 VVG vereinbart worden sei. Die Kapitallebensversicherung könne ohne Weiteres gekündigt werden, weshalb auch der Zugriff nicht erheblich erschwert sei, so das Jobcenter.

Eines Verwertungsausschlusses bedürfe ist zwar laut Wortlaut des § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 Hs. 1 SGB II wie bei § 12 Abs. 3 Satz 1 Nr. a.F. SGB II geregelt nicht mehr. Trotzdem habe der Antragsteller die Möglichkeit des Verwertungsausschlusses zur Manifestierung der Zweckbestimmung der Altersvorsorge nicht gewählt, weshalb die subjektive Zweckbestimmung hiermit auch objektiv nicht feststellbar sei.

Das Jobcenter prangert an, dass auch Leistungen bei Tod ausgezahlt würden

Ein weiteres gewichtiges Indiz, das gegen die Zweckbestimmung der Altersvorsorge spreche, sei die Tatsache, dass auch Leistungen bei Tod des Antragstellers ausgezahlt würden. Damit liege noch ein weiterer Verwendungszweck vor, der schädlich sei.

Jobcenter meint weiterhin, dass eine besondere Härte bei der Verwertung auch nicht gegeben sei – § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 7 SGB II

Der Umstand, dass bei vorzeitigem Versicherungsende eine geringere Versicherungssumme ausbezahlt werde, als bei vollständigem Versicherungsablauf, sei ein in der Praxis übliches Phänomen, dass alle Leistungsbezieher betreffe.

Das SG Landshut hat mit Beschluss vom 04.12.2024 – S 11 AS 347/24 ER – dem Antragsteller Bürgergeld nach dem SGB II im Eilverfahren zu gesprochen.

Der Versicherungsvertrag des Antragstellers erfüllt entgegen der Auffassung des Jobcenters die Kriterien einer Altersvorsorge.

Insbesondere die vereinbarte Auszahlung erst mit dem 60. Lebensjahr ist von Relevanz.

Altersgrenze von 60 Jahren – Eintritt in den Ruhestand

Die Altersgrenze von 60 Jahren für das Kriterium des – Eintritts in den Ruhestand- allgemein akzeptiert (vgl. BSG, Urteil vom 7. Mai 2009 – B 14 AS 35/08 R -). Es gibt keine Hinweise darauf, dass die Versicherung nicht der Altersvorsorge dienen sollte.

Auszahlung im Falle des Todes des Antragstellers ist üblicher Standard und weit verbreitet

Die Auszahlung im Falle des Todes des Antragstellers an Hinterbliebene entspricht dem üblichen Standard und ist in der Praxis weit verbreitet. Es handelt sich vorliegend nicht um eine Risikolebensversicherung, die gerade das Risiko des vorzeigten Ablebens für die Hinterbliebenen absichern soll.

Auch fehlender Verwertungsausschlusses überzeugt das Gericht nicht

Ein Verwertungsausschluss wäre von vornherein mit einer Nichtverwertbarkeit des Vermögens gleichzusetzen. Die gesetzliche Freistellung typischer Versicherungen zur Absicherung der Altersvorsorge erfolgt unabhängig von einem Verwertungsausschluss.

Das Fehlen eines Ausschlusses spricht darüber hinaus weder für noch gegen die Zweckbestimmung Altersvorsorge.

Laufzeit von 30 Jahren spricht nach Auffassung des Gerichts eindeutig für die – Altersvorsorge

Zusätzlich spricht auch noch die Laufzeit des Vertrages von 30 Jahren für die Zweckbestimmung Altersvorsorge.

Gericht weist darauf hin, dass die im einstweiligen Rechtsschutz erlangten Leistungen nur vorläufig zugesprochen sind. Wenn im nachfolgenden Hauptsacheverfahren festgestellt wird, dass der Leistungsanspruch doch nicht besteht, dann sind die im einstweiligen Rechtsschutz erlangten Leistungen zu erstatten.

Fazit aus dem Urteil

Eine Kapitalversicherung ist als Altersvorsorge von der Vermögensberücksichtigung freigestellt – § 12 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 Hs. 1 SGB II – wenn

Allein die Zweckbestimmung des Vertrages ist für die Altersvorsorge maßgeblich – Versicherungsverträge als Altersvorsorge müssen – nicht – nach Bundesrecht gefördert werden – Zweckbestimmung erfordert Berücksichtigung sämtlicher Umstände – Zweckbestimmung kann mit der Praxis der BA etwa bei Kapitallebens- oder Rentenversicherungen vorliegen – Der Versorgungszweck ist von ausschlaggebender Bedeutung.

Die Versicherung muss der Versorgung im Alter dienen, also der Sicherung des Lebensstandards nach dem Ausscheiden aus dem Erwerbsleben – Weitere Absicherungen, etwa Invaliditäts- oder Hinterbliebenenversorgungen stellen – keine Altersvorsorge dar – es gibt keine Obergrenze (vgl. BT-Drs. 20/3873, 78 ).

1. Für die Feststellung einer Zweckbestimmung gemäß § 12 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 Hs. 1 ist eine Berücksichtigung sämtlicher Umstände erforderlich. Eine Zweckbestimmung kann mit der Praxis der BA etwa bei Kapitallebens- oder Rentenversicherungen vorliegen. Der Versorgungszweck ist dabei von ausschlaggebender Bedeutung. Die Versicherung muss der Versorgung im Alter dienen, also der Sicherung des Lebensstandards nach dem Ausscheiden aus dem Erwerbsleben.

2. Dieser Versorgungszweck kann sich aus der vereinbarten Laufzeit ergeben; er liegt vor, wenn der Leistungsbeginn auf ein Alter festgelegt wird, das typischerweise nicht schon das Ausscheiden aus dem Erwerbsleben markiert. Weitere Absicherungen, etwa Invaliditäts- oder Hinterbliebenenversorgungen, stellen keine Altersvorsorge dar und fallen somit nicht unter § 12 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 Hs. 1 SGB II.

3. Eine Obergrenze ist gemäß § 12 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 Hs. 1 nicht vorgesehen (vgl. BT-Drs. 20/3873, 78: vollständig von der Vermögensberücksichtigung ausgenommen; Luik/Harich/Lange, 6. Aufl. 2024, SGB II § 12 Rn. 55-57 ).

4. Im Gegensatz zu § 12 Abs. 1 S. 2 Nr. 4 Hs. 1 stellt Nr. 3 Hs. 1 SGB II nicht darauf ab, dass die Vermögensgegenstände als für die Altersvorsorge bestimmt bezeichnet werden, sondern verlangt, dass die infrage kommenden Versicherungsverträge – für die Altersvorsorge bestimmt- sind.

Hinweis:

Hier hat das Gericht dem Jobcenter eine richtige Lehrstunde  zu der Frage verpasst:

Wann eine Kapitalversicherung als Altersvorsorge im Sinne von § 12 Abs 1 Satz 2 Nr. 3 SGB II bestimmt ist.

Alle Punkte des Jobcenters wurden vom Gericht verworfen, hätte der Bürgergeldempfänger nicht geklagt, denn hätte er seine Altersvorsorge vorzeitig, aber mit großem Verlust – verkaufen müssen.