Das Bundesarbeitsgericht (BAG) war in einem Revisionsverfahren mit der Frage, wie eine endgehaltsbezogene betriebliche Altersversorgung zu berechnen ist, wenn ein Arbeitnehmer nicht wรคhrend des gesamten Arbeitsverhรคltnisses, sondern erst in den letzten Jahren in Teilzeit tรคtig war. Im zugrunde liegenden Fall hatte die Klรคgerin รผber Jahrzehnte fรผr denselben Arbeitgeber gearbeitet und erst in den letzten rund 15 Jahren ihre Arbeitszeit reduziert.
Sie ging davon aus, dass ihre frรผhere Vollzeittรคtigkeit stรคrker in den Rentenanspruch einflieรen mรผsse. Das BAG wies ihre Revision jedoch zurรผck und entschied damit zugunsten des beklagten Arbeitgebers.
Worum ging es konkret?
Die Klรคgerin, geboren 1964, war seit 1984 bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgรคngerinnen beschรคftigt. In einer Versorgungsrichtlinie (RL 1995), die zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat vereinbart wurde und daher als Betriebsvereinbarung gilt, war ein endgehaltsbezogenes Versorgungssystem festgeschrieben. Dabei sollten โ stark vereinfacht โ
- das Endgehalt (bzw. das durchschnittliche Gehalt im letzten Kalenderjahr)
- sowie die anrechnungsfรคhige Dienstzeit (Dienstjahre seit Eintritt in das Unternehmen)
fรผr die betriebliche Altersversorgung maรgeblich sein.
Die Klรคgerin arbeitete zunรคchst in Vollzeit (35 Stunden/Woche) und verringerte ihre Stundenzahl ab 2005 auf 17,5 Stunden. Kurz vor dem Ausscheiden im Jahr 2020 stellte der Arbeitgeber klar, dass bei ihrer spรคteren Altersversorgung nur die letzten zehn Dienstjahre fรผr eine eventuelle โTeilzeitquoteโ ausschlaggebend sein sollten.
Da sie in diesen letzten zehn Jahren ausschlieรlich 17,5 Stunden pro Woche gearbeitet hatte, ergab sich faktisch kein Ausgleichsfaktor fรผr frรผhere Vollzeitphasen: Fรผr den Teilzeitfaktor zรคhlte nur der Zeitraum mit gleichbleibend reduzierter Stundenzahl.
Die Klรคgerin hielt dies fรผr rechtswidrig. Sie argumentierte, man mรผsse ihre gesamte, deutlich lรคngere Vollzeittรคtigkeit berรผcksichtigen und den Rentenfaktor entsprechend erhรถhen.
Ihrer Ansicht nach verstoรe die Beschrรคnkung auf die letzten zehn Jahre gegen das Diskriminierungsverbot fรผr Teilzeitbeschรคftigte (nach ยง 4 Abs. 1 Teilzeit- und Befristungsgesetz, TzBfG) und sei damit unwirksam.
Warum spielt die โEndgehaltsbezogenheitโ eine so wichtige Rolle?
Das BAG stellt in seinem Urteil klar, dass eine sogenannte endgehaltsbezogene Zusage im Kern darauf abzielt, den Lebensstandard abzusichern, den ein Arbeitnehmer am Ende seiner Beschรคftigung tatsรคchlich innehat. Das fรผhrt dazu, dass in solchen Versorgungssystemen im Regelfall das zuletzt bezogene Entgelt (oder ein Durchschnittswert des letzten Jahres) maรgeblich ist.
Warum nicht das gesamte Arbeitsverhรคltnis betrachten?
Das Gericht verweist darauf, dass die betriebliche Altersversorgung bei einer endgehaltsbezogenen Regelung รผblicherweise die zum Ende der Erwerbszeit maรgebliche Einkommens- und Lebenssituation widerspiegelt.
Fรผr die Frage, welchen Lebensstandard ein Beschรคftigter aufgebaut hat und absichern will, ist das spรคtere Einkommen nรคher am Versorgungsfall wichtiger als das Einkommen viele Jahre zuvor. Gleichzeitig dรผrfen Dienstzeiten in Teilzeit zwar nicht benachteiligen โ aber das Endgehaltsprinzip zielt nicht auf die Monatsverdienste wรคhrend der gesamten Beschรคftigung, sondern auf das zuletzt stabile Einkommensniveau in einem festgelegten Zeitraum (hier: den letzten zehn Jahren).
Verletzte der Arbeitgeber das Benachteiligungsverbot aus dem TzBfG?
Das Teilzeit- und Befristungsgesetz (TzBfG) verbietet eine ungerechtfertigte Schlechterstellung von Teilzeitkrรคften im Vergleich zu Vollzeitbeschรคftigten. Insbesondere garantiert ยง 4 Abs. 1 TzBfG den sogenannten Pro-rata-temporis-Grundsatz, wonach Teilzeitbeschรคftigte grundsรคtzlich Ansprรผche im Verhรคltnis ihrer Arbeitszeit zu einem vergleichbaren Vollzeitbeschรคftigten haben.
Die Klรคgerin argumentierte, dass ihr unterm Strich weniger zustehe, weil sie lange Zeit Vollzeit gearbeitet hatte und diese Zeiten nicht voll in die Teilzeitquote einbezogen wรผrden.
Das BAG jedoch verneinte einen Verstoร gegen das Diskriminierungsverbot. Insbesondere seien die dienstzeitbezogenen Regelungen und die Entgeltberechnung auf das Endgehalt (bzw. das letzte Jahr) ausgerichtet โ und das habe keinen mittelbaren oder unmittelbaren Zusammenhang mit einer Diskriminierung von Teilzeitkrรคften.
Sind Teilzeitkrรคfte hier nicht doch benachteiligt?
Nach Ansicht des BAG nein. Da die Richtlinien fรผr alle gleich gelten und die Klรคgerin letztlich so behandelt wird wie jemand, der in den letzten Jahren Vollzeit bzw. Teilzeit in unverรคnderter Form gearbeitet hat.
Die Teilzeitleistung werde รผber den jeweiligen kรผrzeren Betrachtungszeitraum zwar oft niedriger ausfallen als bei (frรผheren) Vollzeittรคtigkeiten, doch das sei folgerichtig, wenn das Betriebsrentenmodell den aktuelleren Verdienst in den Fokus rรผckt. So werde der zuletzt gelebte Lebensstandard abgebildet โ nicht ein Stand, den man vor vielen Jahren hatte.
Welche Rolle spielten das AGG und der betriebsverfassungsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz?
Neben dem TzBfG stellte sich die Frage, ob eine mittelbare Diskriminierung nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) oder ein Verstoร gegen den betriebsverfassungsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz (ยง 75 Abs. 1 BetrVG) vorliegen kรถnnte. Das Gericht stellte hierzu fest:
- AGG: Es ergab sich weder eine Ungleichbehandlung wegen des Geschlechts noch wegen des Alters. Die Regelung knรผpfte ausschlieรlich an das letzte Entgelt und an das Endgehaltprinzip an, nicht an das Alter oder das Geschlecht.
- BetrVG: Eine Diskriminierung oder Ungleichbehandlung war auch aus dem Blickwinkel des BetrVG nicht erkennbar, da die Regelung fรผr alle Arbeitnehmer gleichermaรen gilt.
Ist das Ergebnis fair oder hรคtte es andere Lรถsungen gegeben?
Aus juristischer Sicht hรคlt das BAG die Grenze von zehn Jahren fรผr angemessen, weil dieser Zeitraum das zuletzt dauerhaft erreichte Einkommen widerspiegeln und gleichzeitig eventuelle kurzfristige Teilzeitphasen ausbalancieren kรถnne.
Die betrieblichen Partner (Arbeitgeber und Betriebsrat) haben nach Auffassung des Gerichts einen weiten Gestaltungsspielraum, wie sie ihre Versorgungsordnung formulieren. Solange klar ist, dass die Vorschriften nicht gezieltgegen Teilzeitbeschรคftigte oder andere Gruppen gerichtet sind und einen sachlichen Zweck verfolgen (hier: die Sicherung des zuletzt geltenden Lebensstandards), ist eine solche Ausgestaltung zulรคssig.
Was wรคre anders, wenn die Versorgung nicht endgehaltsbezogen wรคre?
In Systemen, bei denen die Betriebsrente rein beitragsorientiert (z. B. auf Basis von jรคhrlichen Beitrรคgen oder einem Punktemodell) berechnet wird, spielt das tatsรคchliche prozentuale Beschรคftigungsverhรคltnis รผber den gesamten Zeitraum oft eine grรถรere Rolle. In einem rein endgehaltsorientierten Modell wie hier ist es jedoch das spรคte Einkommen, das maรgeblich den Rentenbetrag bestimmt โ zuzรผglich der Berรผcksichtigung der vollen Dienstjahre.
Wie hat das Gericht entschieden und was bedeutet das fรผr Unternehmen und Beschรคftigte?
- Die Entscheidung: Das Bundesarbeitsgericht wies die Revision zurรผck. Die Klรคgerin erhielt nicht den gewรผnschten hรถheren Rentenfaktor. Damit muss sie die Kosten des Verfahrens tragen.
- Die Begrรผndung: Die betriebliche Altersversorgung sei rechtmรครig so ausgestaltet, dass die letzten zehn Jahre vor Eintritt des Versorgungsfalls oder vorzeitigem Ausscheiden betrachtet werden. Das entspreche der Zielsetzung einer endgehaltsorientierten Versorgungszusage.
- Die Auswirkungen: Fรผr Unternehmen bestรคtigt sich, dass endgehaltsbezogene Betriebsrentenmodelle, die auf den Verdienst in einem bestimmten Zeitraum am Ende des Arbeitsverhรคltnisses abstellen, nicht automatisch gegen das Verbot der Teilzeitdiskriminierung verstoรen โ vorausgesetzt, sie sind systematisch konsistent und sachlich gerechtfertigt. Teilzeitbeschรคftigte sollten sich hingegen bewusst sein, dass eine dauerhafte Reduzierung der Wochenstunden in den letzten Jahren vor Renteneintritt bei einer endgehaltsbezogenen Zusage zu einer (oft spรผrbar) reduzierten Betriebsrente fรผhren kann.
Was sollten Beschรคftigte beachten?
- Vertrags- oder Betriebsvereinbarungsregelungen prรผfen
Beschรคftigte sollten frรผhzeitig die in ihrem Unternehmen geltende Versorgungsordnung oder Betriebsvereinbarung zur betrieblichen Altersversorgung lesen und verstehen. - Auswirkungen von Teilzeitphasen bedenken
Wer plant, die Arbeitszeit langfristig zu reduzieren, sollte bedenken, wie dies das Endgehalt oder den maรgeblichen Referenzzeitraum beeinflusst. - Eventuelle Lรผcken oder Fragen im Vorfeld klรคren
Bei Fragen zur Auslegung oder individuellen Auswirkungen hilft oft ein Blick in betriebliche FAQs, eine Beratung durch den Betriebsrat oder den Arbeitgeber bzw. eine rechtliche Beratung.
(Az.: 3 AZR 221/22)
- รber den Autor
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Dr. Utz Anhalt ist Buchautor, Publizist, Sozialrechtsexperte und Historiker. 2000 schloss er ein Magister Artium (M.A.) in Geschichte und Politik an der Universitรคt Hannover ab. Seine Schwerpunkte liegen im Sozialrecht und Sozialpolitik. Er war wissenschaftlicher Mitarbeiter bei Dokumentationen fรผr ZDF , History Channel, Pro7, NTV, MTV, Sat1.