Das Landessozialgericht Sachsen-Anhalt (L 5 AS 97/23) wies die Klage einer russischstämmigen Frau ab, die Bürgergeld-Leistungen erhalten hatte, ohne anzugeben, dass sie aus Russland eine Rente bezog. Allerdings betonte die Klägerin, dass sie die Rente nicht erhalten kann.
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Es geht um fast 50.000 Euro
“Umstritten sind die Rücknahme der Bewilligung von Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch – Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) und die Erstattung von insgesamt 49.496,66 € für den Zeitraum vom 15. September 2009 bis 31. Oktober 2016 wegen des Bezugs einer Versicherungsaltersrente vom Rentenfond der Russischen Föderation.”
Leistungsausschluss bei “Versicherungsaltersrente”
Das Landesgericht urteilte: Eine “Versicherungsaltersrente” von dem Rentenfond der Russischen Föderation zu beziehen, bedeutet von Leistungen nach § 7 Abs 4 SGB II ausgeschlossen zu sein. Dies gelte auch, wenn die Rente aufgrund eines behinderten Kindes vorzeitig in Anspruch genommen worden sei.
Auch dürften rechtswidrige vorläufige Leistungen nach dem SGB II für die Vergangenheit zurückgenommen werden.
Grob fahrlässige Verletzung von Mitwirkungspflichten
Unzureichende Deutschkenntnisse seien in diesem Fall keine Entschuldigung für die grob fahrlässige Verletzung von Mitteilungspflichten. Sie hätte wissen müssen, dass sie alles, was mit ihrer Einkommens- und Wirtschaftssituation zu tun hat, bei der Behörde hätte angeben müssen.
Leistungen nach dem SGB II
Die Betroffene ist russische Staatsbürgerin und siedelte mit ihrem Ehemann und ihrer Tochter 1999 nach Deutschland. Vom 15. September 2009 bis zum 31. Oktober 2016 bezog sie Leistungen nach dem SGB II (damals Hartz IV, heute Bürgergeld).
Anonymer Hinweis an das Jobcenter
Am 21. Juli 2016 erhielt das Jobcenter eine anonyme Mitteilung über die in Russland bezogene Rente.
Monatliche Rente auf russischem Sparkonto
Die Betroffene bezog seit 15. September 2009 eine „Versicherungsaltersrente“ ab dem 50. Lebensjahr vom Rentenfond Russland. Dort ist registriert: „Rente – (10220) Altersrente (Arbeit) / Mutter eines behinderten Kindes“.
88,69 Euro pro Monat
Monatlich bekam sie seit November 2009 zuerst 3.458,92 Rubel, und im August 2016 dann 6.445,76 Rubel, also den Gegenwert von 88,69 Euro. Im September 2016 lagen auf ihrem russischen Sparkonto 3.184,15 Euro.
Laufende Leistungen wurde bewilligt – ohne Kenntnis von der Rente zu haben
Das Jobcenter gewärte der Betroffenen laufende Leistungen, ab Januar 2015 vorläufig, und das letzte Mal am 27. Juni 2016.
Ein gegen die Betroffene geführtes Strafverfahren wurde im Sommer 2018 gegen Zahlung einer Geldauflage eingestellt (Schadenswiedergutmachung von jeweils 1.000 Euro, davon jeweils 500 Euro zahlbar an das Jobcenter und die Landeskasse).
Gericht: Es handelt sich um Altersrente
Die Behauptung der Betroffenen, die Rente hätte ausschließlich der Entschädigung wegen familiärer Besonderheiten (behindertes Kind) gedient, hielt das Gericht nicht nachvollziehbar. Eindeutig sei, dass es sich um eine Altersrente handle – auch wenn diese vorzeitig ausgezahlt worden sei.
Ob die Betroffene, wie sie sagte, von Deutschland aus keinen Zugriff auf die Rente gehabt hätte, war für das Gericht ohne Bedeutung für die Beurteilung.
Grobe Fahrlässigkeit
Die Betroffene sei einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für sie nachteiliger Änderungen der Verhältnisse grob fahrlässig nicht nachgekommen (§ 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB X).
Ihre Leistungsbewilligungen hätten auf Annahmen basiert, die sie zumindest grob fahrlässig unrichtig oder unvollständig gemacht hätte. Wegen zu Unrecht bezogener Leistungen nach dem SGB II sei sie zur Erstattung verpflichtet, ebenso zur Erstattung erbrachter Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung.
Auch vergangene Leistungen sind zurückzunehmen
Da die Bewilligung von Leistungen nach dem SGB II rechtswidrig gewesen seien, seien sie mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen. Dies gelte, da “der Begünstigte einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist.” (Hinweis Tacheles e.V.)
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Dr. Utz Anhalt ist Buchautor, Publizist, Sozialrechtsexperte und Historiker. 2000 schloss er ein Magister Artium (M.A.) in Geschichte und Politik an der Universität Hannover ab. Seine Schwerpunkte liegen im Sozialrecht und Sozialpolitik. Er war wissenschaftlicher Mitarbeiter bei Dokumentationen für ZDF , History Channel, Pro7, NTV, MTV, Sat1.