Krankengeld-Falle: Kein Krankengeld trotz schwerer Krankheit und Arbeitsunfähigkeit

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Viele Arbeitnehmer verlassen sich bei längerer Krankheit auf das Krankengeld als finanzielle Stütze. Doch ein aktuelles Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen (LSG NRW) vom Dezember 2024 zeigt eine bittere Realität:

Eine durchgehende Arbeitsunfähigkeit führt nicht automatisch zu einem neuen Anspruch auf diese wichtige Leistung. Gesetzliche Fristen und die ununterbrochene Dauer der Arbeitsunfähigkeit spielen eine entscheidende Rolle, wie der Fall einer Physiotherapeutin zeigt. (L 16 KR 719/23)

Der Fall der Physiotherapeutin: Zwischen Krebsdiagnose und verlorenem Krankengeldanspruch

Die Geschichte der Klägerin ist ein prägnantes Beispiel für die Tücken im Detail des Sozialrechts. Die Physiotherapeutin beantragte Krankengeld für den Zeitraum von November 2020 bis Mai 2022. Zuvor hatte sie bereits aufgrund verschiedener gesundheitlicher Probleme Krankengeld bezogen. Nach einer Phase des Arbeitslosengeldbezugs erhielt sie im September 2020 die Diagnose Brustkrebs, was zu erneuter Arbeitsunfähigkeit führte.

Neben der Krebserkrankung litt sie weiterhin unter Schulterbeschwerden und Morbus Crohn. In ihrer Not wandte sie sich an ihre neue Krankenkasse und argumentierte, die neue Krebserkrankung ab November 2020 begründet einen frischen Anspruch auf Krankengeld.

Ablehnung durch die Kasse: Gesetzliche Fristen als unüberwindbare Barriere

Die Krankenkasse wies den Antrag der Physiotherapeutin jedoch entschieden zurück. Ihre Begründung: Die maximale Bezugsdauer für Krankengeld sei bereits erschöpft gewesen. Zudem habe es keine ausreichende Unterbrechung zwischen den vorherigen und der aktuellen Krankheitsphase gegeben. Diese Entscheidung basierte auf den gesetzlichen Bestimmungen, die eine klare zeitliche Grenze für den Bezug von Krankengeld vorsehen.

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Die Physiotherapeutin akzeptierte die Entscheidung der Krankenkasse nicht und zog vor Gericht. Sie argumentierte, dass ihre zwischenzeitliche Arbeitsfähigkeit im Sommer 2020 und die neu hinzugekommene Krebserkrankung einen Neubeginn der sogenannten Blockfrist für den Krankengeldanspruch hätten auslösen müssen.

Das Sozialgericht Köln folgte dieser Argumentation jedoch nicht. Das Gericht stellte fest, dass die Krebserkrankung während einer bereits bestehenden Arbeitsunfähigkeit aufgrund ihrer Schulterprobleme aufgetreten war und diese lediglich verlängert hatte. Ein neuer Krankengeldanspruch sei somit nicht entstanden.

Entschlossen zog die Physiotherapeutin vor das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen. Sie wiederholte ihre Argumente, doch die Richter des LSG NRW bestätigten das Urteil der Vorinstanz und wiesen ihre Berufung ab.

Das Gericht stellte unmissverständlich klar: Ein neuer Krankengeldanspruch entsteht nur dann, wenn nach einer mindestens sechsmonatigen Phase der Arbeitsfähigkeit eine neue Erkrankung auftritt. Diese Bedingung war im Fall der Physiotherapeutin nicht erfüllt, da ihre Arbeitsunfähigkeit aufgrund der Krebserkrankung ohne Unterbrechung fortbestand und ihren Ursprung in der vorherigen Krankheitsphase hatte.

Die Rolle der Erwerbsminderungsrente: Eine zusätzliche Komplikation

Eine weitere entscheidende Wendung in diesem Fall war die rückwirkende Bewilligung einer vollen Erwerbsminderungsrente für die Klägerin ab Oktober 2020. Nach geltendem Recht schließt der Bezug einer solchen Rente einen Anspruch auf Krankengeld aus. Somit hatte die Physiotherapeutin letztlich keinen Anspruch auf das beantragte Krankengeld.

Konsequenzen für Betroffene: Wachsamkeit und das Wissen um Fristen sind entscheidend

Dieses Urteil des LSG NRW verdeutlicht auf schmerzhafte Weise, wie wichtig die Einhaltung gesetzlicher Fristen für den Krankengeldanspruch ist. Wer bereits längere Zeit krankgeschrieben ist, kann nicht automatisch davon ausgehen, bei einer neuen Erkrankung erneut diese Leistung beanspruchen zu können. Für Betroffene bedeutet dies, sich frühzeitig und umfassend über ihre Rechte und Pflichten zu informieren.

Folgende Kernpunkte sollten Sie als Arbeitnehmer unbedingt beachten, um finanzielle Engpässe im Krankheitsfall zu vermeiden:

  • Begrenzte Bezugsdauer: Das Krankengeld ist zeitlich begrenzt. Pro Krankheit beträgt die maximale Bezugsdauer 78 Wochen innerhalb einer sogenannten Blockfrist von drei Jahren. Die ersten sechs Wochen der Arbeitsunfähigkeit werden in der Regel vom Arbeitgeber als Entgeltfortzahlung übernommen.
  • Sechs-Monate-Regel: Ein neuer Anspruch auf Krankengeld entsteht erst, wenn zwischen zwei Phasen der Arbeitsunfähigkeit eine ununterbrochene Arbeitsfähigkeit von mindestens sechs Monaten bestanden hat. Eine neue Erkrankung allein genügt nicht, um einen neuen Anspruch zu begründen, solange die vorherige Arbeitsunfähigkeit fortwirkt.
  • Vorrang der Erwerbsminderungsrente: Wer eine volle Erwerbsminderungsrente bezieht, hat keinen Anspruch mehr auf Krankengeld. Hier greifen andere soziale Sicherungssysteme.

Was können Sie als Betroffener konkret tun?

Um finanzielle Schwierigkeiten im Krankheitsfall zu vermeiden, ist es ratsam, sich frühzeitig zu informieren. Betroffene sollten das Gespräch mit ihrer Krankenkasse suchen und gegebenenfalls einen unabhängigen Sozialrechtsberater konsultieren, um die eigene Situation genau zu klären.

Eine sorgfältige Dokumentation der Krankheitszeiten und Arbeitsfähigkeitsbescheinigungen ist ebenfalls unerlässlich, da diese im Streitfall von entscheidender Bedeutung sein kann. Sollte kein Anspruch auf Krankengeld bestehen, ist es wichtig, sich über alternative finanzielle Unterstützungsmöglichkeiten wie Arbeitslosengeld bei Arbeitsunfähigkeit oder Sozialhilfe zu informieren und diese gegebenenfalls zu prüfen.

Bei längerer oder schwerer Erkrankung sollten Betroffene zudem frühzeitig die Möglichkeit eines Antrags auf Erwerbsminderungsrente in Betracht ziehen.