Ein Rentenbescheid, der rückwirkend mehrere Tausend Euro fordert, löst oft Verunsicherung aus. Umso belastender ist es, wenn die Forderung ohne nachvollziehbare Gründe im Bescheid auftaucht.
Genau dies ereignete sich in einem Fall, in dem ein über 80-jähriger Witwer mehr als 8.000 Euro zurückzahlen sollte. Dank der Unterstützung des DGB Rechtsschutz und einem klaren Urteil des Sozialgerichts Berlin endete die Auseinandersetzung zugunsten des Betroffenen.
Doch wie konnte es überhaupt so weit kommen, worauf berief sich die Rentenversicherung – und weshalb entschied das Gericht letztlich gegen sie?
Wie kam es zu der hohen Rückforderung?
Der betagte Kläger erhält eine Witwerrente. Im Jahr 2019 wurde diese neu berechnet und fortan mit monatlich 530 Euro ausgezahlt.
Doch bereits 2020 stellte die Rentenversicherung einen weiteren Fehler fest: Angeblich sei auf die Rente rückwirkend ab 2015 weiteres Einkommen anzurechnen. Darunter befanden sich Tantiemenzahlungen aus der früheren Schauspieltätigkeit der mittlerweile verstorbenen Ehefrau, die dem Kläger zuflossen.
Plötzlich sah sich der Mann mit einer Nachforderung über 8.000 Euro konfrontiert, da die Rentenkasse rückwirkend monatlich nur noch 267 Euro zahlen wollte.
Das Problem: Der Bescheid zur Rückforderung enthielt keine konkreten Gründe, aus denen ersichtlich wurde, warum der Kläger das Geld zurückzahlen sollte. Zwar nannte man allgemein „unvollständige Angaben“ des Betroffenen als Auslöser, doch fehlte eine auf den Einzelfall bezogene Begründung dafür, warum dem Witwer der Vertrauensschutz versagt bleiben sollte.
Sein Widerspruch blieb zunächst erfolglos, weshalb der DGB Rechtsschutz Berlin Klage vor dem Sozialgericht erhob.
Warum war der Rückforderungsbescheid rechtswidrig?
Das Sozialgericht Berlin stellte klar, dass die Rentenversicherung für die Aufhebung eines früheren Bewilligungsbescheids gewissen formalen Anforderungen genügen muss.
Entscheidend ist hier § 45 SGB X, der – vereinfacht gesagt – eine Rücknahme rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakte regelt. Ein solcher Verwaltungsakt darf nicht ohne Weiteres aufgehoben werden, wenn die betroffene Person auf seinen Bestand vertraut hat und dieses Vertrauen schutzwürdig ist.
Fehlt in der behördlichen Entscheidung bereits jede nachvollziehbare Begründung, aus der hervorgeht, weshalb das Vertrauen des Betroffenen nicht zu schützen sei, ist der Bescheid formell rechtswidrig.
Im Falle des Witwers war nicht erklärt worden, warum er sich nicht auf Vertrauensschutz berufen kann. Vielmehr hatte die Behörde nur den Gesetzestext zitiert und pauschal behauptet, es läge ein Fall unvollständiger Angaben vor.
Die Rentenversicherung versäumte jedoch, konkrete Tatsachen zu ermitteln oder zu erläutern, die dem Witwer nach § 45 Abs. 2 S. 3 SGB X anzulasten wären.
Und was ist mit dem Vertrauensschutz?
Ein Empfänger von Sozialleistungen darf grundsätzlich darauf vertrauen, dass ein einmal erlassener Bewilligungsbescheid Bestand hat.
Dieses Vertrauen genießt allerdings nur dann Schutz, wenn ihm nicht grobe Fahrlässigkeit oder ein vorsätzliches Verschweigen wichtiger Tatsachen vorzuwerfen ist. Wer Leistungen erschleicht oder hätte erkennen müssen, dass die Bewilligung rechtswidrig ist, kann sich nicht auf den Vertrauensschutz berufen.
Das Gericht stellte jedoch fest, dass sich im vorliegenden Fall keine konkreten Anhaltspunkte dafür fanden, dass der Witwer fehlerhafte Angaben gemacht oder bewusst zu seinem Vorteil gehandelt hatte.
Um herauszufinden, ob beispielsweise das Verschweigen von Einkünften vorlag, wären umfangreiche Ermittlungen notwendig gewesen – Ermittlungen, die die Rentenversicherung hätte führen müssen. Ohne sachliche Darlegung, warum der Kläger hätte wissen müssen, dass Tantiemen aus der künstlerischen Tätigkeit seiner verstorbenen Ehefrau als eigenes Einkommen zu werten sind, konnte ein Vorwurf grober Fahrlässigkeit nicht einfach im Raum stehen bleiben.
Wo liegen die Grenzen der Amtsermittlung?
Im Sozialrecht ist die Behörde zwar verpflichtet, von Amts wegen zu ermitteln. Ein Gericht kann in einem Klageverfahren in gewissem Umfang auch nachträglich ergänzende Untersuchungen anstellen.
Doch wenn ein Bescheid völlig ohne stichhaltige Begründung ergangen ist, ist es nicht Aufgabe des Gerichts, diesen Mangel durch umfangreiche Ermittlungen auszugleichen.
Der Kern des Problems im Fall des Witwers: Eine völlig neue, erstmalige Begründung im Gerichtsverfahren hätte den Charakter des ursprünglichen Bescheids grundsätzlich verändert.
Denn dieser Bescheid hatte gar keine konkreten Ausführungen zum Verschulden oder zur Kenntnis des Witwers gemacht. Das Gericht machte deutlich, dass eine solche Prüfung nicht mehr nachgeschoben werden könne, ohne dass es einem komplett neuen Bescheid gleichkäme.
Wann kann sich ein Begünstigter nicht auf Vertrauensschutz berufen?
Nur in wenigen klaren Fällen darf eine Behörde den Vertrauensschutz ausschließen. Eine – hier stark vereinfachte – Zusammenfassung:
- Wenn der Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt wurde.
- Wenn der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig falsche Angaben machte.
- Wenn er die Rechtswidrigkeit des Bescheids kannte oder grob fahrlässig nicht kannte.
Ob einer dieser Ausschlusstatbestände einschlägig ist, muss im Einzelfall begründet werden. Genau dieser individuelle Bezug fehlte im Streitfall.
Wie geht es für den Kläger weiter?
Das Sozialgericht hob den Bescheid auf. Für den Zeitraum in der Vergangenheit muss der über 80-jährige Mann die geforderte Rückzahlung daher nicht leisten.
Da die entsprechenden Fristen inzwischen verstrichen sind, ist kaum davon auszugehen, dass die Rentenversicherung hierzu einen völlig neuen Bescheid erlässt.
Allerdings bleibt die Neuberechnung der Zukunftsrente bestehen. Der Witwer muss sich also fortan mit einer geringeren Witwerrente begnügen. Was ihm dennoch erspart bleibt, ist die erhebliche finanzielle Belastung für die Vergangenheit.
Dank der rechtzeitigen Klage und der konsequenten Argumentation musste das Sozialgericht Berlin nicht nur die fehlende Begründung rügen, sondern auch den gesamten Rückforderungsbescheid aufheben.
Fazit
Der Fall zeigt exemplarisch, wie wichtig eine klare und nachvollziehbare Begründung ist, wenn eine Behörde bereits bewilligte Leistungen zurückfordern möchte. Selbst wenn sich später herausstellt, dass der ursprüngliche Bewilligungsbescheid möglicherweise rechtswidrig war, hat die Behörde sich an die gesetzlichen Vorgaben zu halten.
Das Sozialgericht Berlin bekräftigt damit einen wesentlichen Grundsatz des Sozialrechts: Ohne eine konkrete und auf den Einzelfall bezogene Darstellung, warum der Vertrauensschutz nicht greift, kann eine Rückforderung nicht bestehen.
Gerade für Betroffene, die oft mit komplexen Bescheiden konfrontiert werden, ist dies eine beruhigende Nachricht – und es verdeutlicht, wie wertvoll juristische Unterstützung bei unklaren Rückforderungen sein kann. (Az: S 19 R 964/21)