Schwerbehinderung: Bundessozialgericht setzt Grenzen – Kein GdB-Verlust rückwirkend

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Eine nachträgliche Minderung des Grades der Behinderung (GdB) ist nicht erlaubt. Das hat das Bundessozialgericht entschieden und damit ein wichtiges Signal an Betroffene und Behörden gesendet.

Die Richter stellten klar: Wer einmal Anspruch auf bestimmte Nachteilsausgleiche hatte, darf diese nicht plötzlich rückwirkend verlieren – selbst dann nicht, wenn sich der Gesundheitszustand inzwischen verändert hat.

Rückblick auf den Fall: Behörde reduziert GdB ohne Vorankündigung

Im Mittelpunkt des Verfahrens stand eine Frau, bei der nach einer Krebserkrankung ein GdB von 50 anerkannt worden war. Damit galt sie offiziell als schwerbehindert und hatte Zugang zu bestimmten Leistungen, etwa steuerlichen Vergünstigungen und arbeitsrechtlichem Zusatzurlaub.

Die Anerkennung war zeitlich befristet – üblich bei sogenannten Heilungsbewährungen –, um den Krankheitsverlauf über einen Zeitraum von zwei Jahren zu beobachten.

Nach Ablauf dieser Frist prüfte die zuständige Behörde den Gesundheitszustand der Frau erneut. Sie kam zu dem Schluss, dass keine wesentliche gesundheitliche Einschränkung mehr vorliege, und reduzierte den GdB auf 20.

Brisant daran: Die Herabsetzung wurde rückwirkend zum 8. September 2017 beschlossen, obwohl der neue Bescheid erst später zugestellt wurde.

Die Betroffene klagte – mit Erfolg. Sie argumentierte, ihr Gesundheitszustand habe sich nicht wesentlich verändert, die Behörde habe den Fall nur oberflächlich geprüft. Das Bundessozialgericht folgte dieser Einschätzung in zentralen Punkten.

Urteil mit Signalwirkung: Keine rückwirkende Kürzung möglich

Die Richter urteilten eindeutig: Eine Herabsetzung des GdB darf nur für die Zukunft gelten. Rückwirkende Änderungen sind unzulässig, weil sie die Rechtssicherheit der Betroffenen untergraben. Wer eine Leistung bereits erhalten hat, etwa einen steuerlichen Freibetrag oder Kündigungsschutz, muss sich auf die Gültigkeit des ursprünglichen Bescheids verlassen können.

Besonders problematisch sei laut Gericht, dass durch eine nachträgliche Kürzung auch bereits gewährte Leistungen in Frage gestellt würden. Die Entscheidung wurde daher als teilweise rechtswidrig bewertet.

Während eine künftige Neubewertung grundsätzlich möglich bleibt, darf ein Bescheid nicht rückwirkend verändert werden – es sei denn, er wurde unter falschen Voraussetzungen erlassen oder vorsätzlich erschlichen. In diesem Fall lagen jedoch keine Anzeichen für solche Umstände vor.

Behörden in der Pflicht: Änderungen müssen begründet sein

Auch wenn die rückwirkende Anpassung abgelehnt wurde, schloss das Gericht eine Herabsetzung des GdB für die Zukunft ausdrücklich nicht aus. Allerdings müssen Ämter hierfür fundierte medizinische Nachweise vorlegen. Eine bloße Vermutung, der Gesundheitszustand habe sich verbessert, reicht nicht.

Stattdessen ist eine detaillierte Dokumentation erforderlich, die sowohl den bisherigen als auch den aktuellen Gesundheitszustand klar beschreibt. Nur so lässt sich objektiv beurteilen, ob eine relevante Verbesserung vorliegt. Die Prüfung durch die Behörde muss nachvollziehbar und auf den Einzelfall bezogen sein – pauschale Bewertungen sind unzulässig.

Das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg wurde vom BSG damit beauftragt, diese erneute Prüfung im konkreten Fall vorzunehmen. Dabei soll festgestellt werden, ob die gesundheitlichen Voraussetzungen für eine künftige Herabsetzung tatsächlich vorliegen.

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Bedeutung für Versicherte: Stärkerer Schutz bei Neubewertung

Das Urteil stärkt die Position von Menschen mit anerkannter Behinderung spürbar. Es schützt nicht nur vor plötzlichem Leistungsentzug, sondern stellt auch sicher, dass Veränderungen nur unter klaren gesetzlichen Rahmenbedingungen erfolgen dürfen.

Für Betroffene bedeutet das: Ein einmal festgestellter GdB bleibt rückwirkend verbindlich – selbst wenn sich die Gesundheit verbessert. Nur für die Zukunft darf sich die Bewertung ändern, und auch das nur dann, wenn entsprechende medizinische Nachweise vorgelegt werden.

So können sich Versicherte auf ihre rechtliche Situation verlassen. Wer in der Vergangenheit aufgrund eines bestimmten GdB steuerlich begünstigt oder beruflich geschützt war, behält diese Vorteile, solange keine rechtmäßige Neubewertung für die Zukunft erfolgt.

Konkrete Auswirkungen: Sicherheit bei Nachteilsausgleichen

Das Urteil hat direkte Auswirkungen auf den Alltag vieler Menschen. Wer etwa aufgrund eines GdB von 50 zusätzlichen Urlaub erhielt oder besonderen Kündigungsschutz genoss, muss nach dieser Entscheidung nicht mit einer nachträglichen Aberkennung rechnen.

Gerade im Arbeitsleben, wo die Schwerbehinderung auch bei Bewerbungen und Kündigungsschutz eine Rolle spielt, sorgt das Urteil für klare Verhältnisse. Auch steuerrechtlich bringt die Entscheidung Sicherheit: Steuerfreibeträge, die auf Basis eines bestimmten GdB gewährt wurden, dürfen rückwirkend nicht gestrichen werden.

Diese neue Rechtsklarheit stärkt nicht nur die Betroffenen, sondern zwingt auch die Behörden zu sorgfältigerem Handeln. Änderungen müssen nun besser begründet, dokumentiert und im Vorfeld kommuniziert werden.

Was Betroffene unternehmen können: Reagieren statt akzeptieren

Menschen, die einen Änderungsbescheid zur GdB-Herabsetzung erhalten, sollten genau hinschauen. Die Behörden sind verpflichtet, nachvollziehbar darzulegen, warum sich der Gesundheitszustand verändert haben soll. Ein vager Verweis auf das Ende der Heilungsbewährung reicht nicht aus.

Betroffene haben die Möglichkeit, Widerspruch einzulegen und ärztliche Unterlagen zur Stützung ihres Standpunkts nachzureichen. Dabei empfiehlt sich eine sozialrechtliche Beratung – etwa durch Sozialverbände, Patientenberatungen oder spezialisierte Anwälte.

Wichtig ist: Nur wer aktiv wird, kann seine Rechte sichern. Das Urteil des BSG liefert dafür eine starke rechtliche Grundlage.