Auch bei einer schwerbehinderten Arbeitnehmerin rechtfertigt das kurzzeitige Entfernen vom Arbeitsplatz, ohne sich abzumelden, eine außerordentliche Kündigung. Zumindest gilt das dann, wenn die Betroffene ihr Fehlverhalten leugnet und keine Reue zeigt. So entschied das Landesarbeitsgericht Hamm (SA 1007/22)
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Kaffee holen, ohne sich abzumelden
Die Betroffene hat einen Grad der Behinderung von 100 und arbeitete als Reinigungskraft. Der Betrieb unterhielt ein elektronisches System, um die Arbeitszeit zu erfassen. Die Arbeitnehmer waren also verpflichtet, sich bei Beginn ihrer Arbeit einzustempeln und bei Arbeitsende wieder auszustempeln. Das galt auch bei Pausenbeginn und Pausenende. Die Betroffene kannte dieses System.
An besagtem Tag loggte sie sich ein, als sie ihre Tätigkeit um 7.20 aufnahm und loggte sich am Arbeitsende um 11.05 wieder aus. Um 8.30 ging sie für mindestens zehn Minuten in ein gegenüber der Arbeitsstelle liegendes Café und traf sich dort mit jemand zum Kaffeetrinken.
Vorgesetzter beobachtet den Cafébesuch
Unmittelbar davor hatte sie Arbeitskolleginnen gesagt, sie würde in den Keller gehen. Ob sie zuerst den Keller aufsuchte und dann das Café, ist unklar.
Sie meldete sich im Arbeitszeiterfassungssystem weder ab, als sie den Arbeitsort verließ, noch an, als sie diesen wieder betrat. Ein Vorgesetzter sah aus seinem Auto, dass sie das Café besuchte, rief im Betrieb an und erfuhr, dass sie sich nicht ausgeloggt hatte.
Arbeitnehmerin leugnet zunächst und gesteht später
Als sie zurück in den Betrieb gekommen war, konfrontierte der Vorgesetzte sie damit, dass sie sich nicht ausgeloggt hatte. Sie leugnete den Cafébesuch und behauptete, sie hätte sich im Keller aufgehalten.
Der Vorgesetzte sagte ihr jetzt, dass er sie im Café gesehen hätte. Die Betroffene erklärte, er müsse sich irren. Er kündigte daraufhin an, ihr Beweisfotos auf seinem Handy zu zeigen. Jetzt gab sie zu, dass sie den Betrieb verlassen und sich weder aus- noch eingeloggt hätte und gestand damit auch zu, ihre Pflicht zur Arbeitszeiterfassung verletzt zu haben.
Inklusionsamt stimmt der außerordentlichen Kündigung zu
Der Vorgesetzte beantragte in der Folge beim zuständigen Inklusionsamt die Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung, und das Amt teilte mit, dass die Zustimmung als erteilt gelte. Der Vorgesetzte kündigte der Arbeitnehmerin daraufhin fristlos, beziehungsweise zum nächstmöglichen Zeitpunkt.
Klage vor dem Arbeitsgericht
Die Betroffene klagte vor dem Arbeitsgericht gegen die Kündigung mit der Begründung, es habe sich um ein einmaliges und nicht schwerwiegendes Vergehen gehandelt, das weder eine fristlose noch eine fristgemäße Kündigung rechtfertige. Sie habe sich nur zehn Minuten in dem Café aufgehalten und lediglich vergessen, sich auszuloggen.
Die Kündigung sei zudem unverhältnismäßig, weil der Vorgesetzte weder ihre lange Betriebszugehörigkeit noch ihre Schwerbehinderung berücksichtige, und drittens sei das Arbeitsverhältnis bisher ohne jede Störung verlaufen.
Sie sei nicht abgemahnt worden, und auch andere Mitarbeiter hätten bisweilen vergessen, sich auszuloggen, ohne dass sie deshalb gekündigt worden seien. Insofern berechtige ein einmaliger Verstoß nicht zu einer Kündigung.
Arbeitsgericht sieht vorsätzlichen Arbeitsbetrug
Das Arbeitsgericht wies die Klage ab (CA 1708/21). Die fristlose Kündigung sei wegen Arbeitszeitbetrugs rechtmäßig. Sie habe sich im Café außerhalb des Betriebs mit einer anderen Person getroffen und dies durch ihr Geständnis bestätigt.
Sie hätte auch nicht vergessen, sich auszuloggen. Dass sie Kollegen erzählte, in den Keller zu gehen und auch gegenüber dem Vorgesetzten behauptete, im Keller gewesen zu sein, nachdem dieser gesagt hatte, er hätte sie im Café beobachtet, schließt Fahrlässigkeit aus.
Vielmehr sei sie mehrfach mit Vorsatz vorgegangen, zunächst durch die Bemerkung gegenüber den Kollegen, in den Keller zu gehen, dann durch das fehlende Ausloggen und dann noch einmal durch das fehlende Einloggen. Mit der Behauptung gegenüber dem Vorgesetzten, dass er sich irren müsse, habe sie ihre Verschleierungsabsicht verstärkt.
Enormer Vertrauensbruch
Die Betroffene legte Berufung beim Landesarbeitsgericht Hamm ein, doch dieses bestätigte das Urteil der ersten Instanz. Es handle sich, laut dem Landesgericht, um einen enormen Vertrauensbruch, da Arbeitgeber auf die korrekte Dokumentation der Arbeitszeit vertrauen müssten.
Der Grund für die Kündigung sei so wichtig gewesen, dass es dem Arbeitgeber nicht zuzumuten sei, bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zu warten.
Abmahnung bei ähnlich kurzer Zeitspanne
In anderen Fällen, in denen Arbeitnehmer ebenfalls kurzzeitig den Arbeitsort verließen, ohne sich abzumelden, entschieden Gerichte, dass eine Abmahnung ausreiche und keine Kündigung ausgesprochen werden dürfe, so etwa das Landesarbeitsgericht München (SA 836/20).
In diesem Fall kam jedoch erschwerend hinzu, dass die Betroffene sich nicht reumütig gezeigt und von sich aus gestanden hatte, sondern versuchte, den Vorfall zu leugnen.
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Dr. Utz Anhalt ist Buchautor, Publizist, Sozialrechtsexperte und Historiker. 2000 schloss er ein Magister Artium (M.A.) in Geschichte und Politik an der Universität Hannover ab. Seine Schwerpunkte liegen im Sozialrecht und Sozialpolitik. Er war wissenschaftlicher Mitarbeiter bei Dokumentationen für ZDF , History Channel, Pro7, NTV, MTV, Sat1.