Eine Pauschale fรผr Unterkunftskosten der Sozialhilfe gibt es fรผr erwachsene Erwerbsgeminderte mit Behinderung auch dann, wenn diese mietfrei bei ihren Eltern leben. Die tatsรคchlichen Unterkunftskosten sind keine Begrรผndung dafรผr, diese Pauschale zu verweigern. So entschied das Bundessozialgericht (B8 SO 14/19 R).
Betroffener konnte Lebensunterhalt nicht selbst finanzieren
Ein Mann, der als erwerbsgemindert eingestuft war, arbeitete in einer Werkstatt fรผr Menschen mit Behinderungen. Sein Grad der Behinderung wegen Autismus betrug 100, mit Merkzeichen B. Das bedeutet, dass er beim Nutzen รถffentlicher Verkehrsmittel auf stรคndige Begleitung angewiesen ist. Er war von Sozialhilfe abhรคngig, da er sich nicht selbst seinen Lebensunterhalt finanzieren konnte.
Er wohnte im Dachgeschoss seiner Eltern, hatte einen Schlaf- und Wohnraum sowie eine Restkรผche und Abstellkammer mit insgesamt rund 30 Quadratmeter Flรคche und eigenem Kรผhlschrank. Die Mahlzeiten nahm er gemeinsam mit seinen Eltern ein.
Er zahlte keine Miete, und seine Eltern hatten mit ihm keinen formalen Mietvertrag abgeschlossen.
Er forderte von der Stadt Stuttgart, pauschale Kosten fรผr Unterkunft und Heizung fรผr ihn zu รผbernehmen. Die Stadt lehnte dies mit der Begrรผndung ab, dass Leistungen der Sozialhilfe nur fรผr den tatsรคchlichen Bedarf gewรคhrt werden kรถnnten, und dies seien 19,40 Euro pro Monat, da er mietfrei bei seinen Eltern wohne.
Das Haus sei abbezahlt, und damit gebe es keine weiteren anfallenden Kosten zu berรผcksichtigen.
Gesetzesgrundlage hatte sich geรคndert
Der Anwalt des Betroffenen verwies aber darauf, dass seit Juli 2017 die รbernahme der Unterkunftskosten neu geregelt sei. Es sei nicht mehr vorgeschrieben, dass Erwerbsgeminderte oder Menschen, die Grundsicherung im Alter bezรถgen und mietfrei bei nahen Angehรถrigen wohnten, nur noch die โtatsรคchlichenโ Unterkunftskosten durch die Sozialhilfe erstattet bekรคmen.
Das Sozialgericht stimmt der Klage zu โ Stadt widerspricht
So sah es auch das Sozialgericht Stuttgart und sprach dem Erwerbsgeminderten ein pauschales Wohngeld von 109, 93 Euro pro Monat zu. Die Stadt Stuttgart akzeptierte diese Entscheidung nicht, und der Fall ging bis zur Revision vor das Bundessozialgericht.
Dieses erklรคrte die Revision fรผr unbegrรผndet und vertrat die Auffassung der ersten Instanz. Die Stadt Stuttgart sei, laut Bundessozialgericht, in der Pflicht, dem Betroffenen die vom Sozialgericht festgesetzten und pauschalen fiktiven Kosten der Unterkunft zu bezahlen.
รberdeckung bei Pauschale mรถglich
Das Bundessozialgericht machte deutlich, dass die Unterkunftskostenpauschale des Gesetzgebers ausdrรผcklich fรผr Menschen gelte, die wegen ihres Alters oder ihrer Erwerbsminderung bedรผrftig seien und mietfrei bei nahen Angehรถrigen wohnten.
Sinn dieser Pauschale sei es, die Verwaltung zu vereinfachen. Dabei sei die Pauschale unabhรคngig von den tatsรคchlichen Aufwendungen der Leistungsberechtigten, sondern maรgeblich seien die abstrakt gesetzten Angemessenheitsgrenzen der Unterkunft.
Das Bundessozialgericht machte auch deutlich, dass es sich um mehrere Rรคume handelte, die alle fรผr die Fรผhrung eines Haushaltes notwendigen Ausstattungen enthielten und von anderen Wohnrรคumen baulich getrennt seien. Es handelte sich nicht um eine Wohngemeinschaft, sondern um einen Mehrpersonen-Haushalt.
Auch dass die Eltern des Klรคgers selbst keine tatsรคchlichen Aufwendungen hรคtten, sei ohne Bedeutung.
Eine Pauschale kรถnne im Einzelfall bedeuten, dass der Bedarf รผbergedeckt wรผrde, denn das liege in ihrer Natur, klรคrte das Bundessozialgericht.
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Dr. Utz Anhalt ist Buchautor, Publizist, Sozialrechtsexperte und Historiker. 2000 schloss er ein Magister Artium (M.A.) in Geschichte und Politik an der Universitรคt Hannover ab. Seine Schwerpunkte liegen im Sozialrecht und Sozialpolitik. Er war wissenschaftlicher Mitarbeiter bei Dokumentationen fรผr ZDF , History Channel, Pro7, NTV, MTV, Sat1.