Schwerbehinderung: Verlust des Arbeitsplatzes trotz voller Erwerbsminderung

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Wenn Menschen mit Schwerbehinderung in eine volle Erwerbsminderungsrente gehen, droht ihnen in vielen Fรคllen das Ende ihres Arbeitsverhรคltnisses.

Fรผr die Betroffenen besteht nun die Frage, wie sie in diesen Fรคllen ihre Anstellung sichern kรถnnen. Ist in einem Tarif- oder Betriebsvertrag eine verbindliche Wiedereinstellungszusage verankert, entfรคllt die sonst notwendige Zustimmung des Integrationsamts.

Dass es trotz dieser eigentlich klaren Regelung zu Irritationen kommen kann und einer Gerichtsentscheidung bedarf, zeigt der Fall, den wir in diesem Artikel behandeln.

Hintergrund zum Fall

Eine schwerbehinderte Arbeitnehmerin, die seit 1985 bei demselben Arbeitgeber angestellt war, verlor ihren Arbeitsplatz durch die Bewilligung einer vollen Erwerbsminderungsrente.

Obwohl sie einen Grad der Behinderung (GdB) von 100 hatte, sah sich der Arbeitgeber veranlasst, das Arbeitsverhรคltnis rรผckwirkend zum 31. Dezember 2017 zu beenden, sobald die Rente ab dem 1. Januar 2018 bewilligt wurde.

Die Arbeitnehmerin wandte sich daraufhin an das Arbeitsgericht, um gegen das Ende ihres Arbeitsverhรคltnisses vorzugehen.

Zwar wurde ihre Klage anfรคnglich anerkannt, doch kam es spรคter zu weiteren Verfahren, in denen die Wirksamkeit der Beendigung erneut untersucht wurde. Parallel stellte der Arbeitgeber beim Inklusionsamt den Antrag, das Arbeitsverhรคltnis formell beenden zu dรผrfen.

Wechsel zum Verwaltungsrechtsweg

Der Fall ging schlieรŸlich in den Verwaltungsrechtsweg, als das Integrationsamt zunรคchst die Zustimmung versagte, im Widerspruchsverfahren jedoch nach eingehender Prรผfung zustimmte. Zur Begrรผndung fรผhrte der Widerspruchsausschuss an, dass die Arbeitnehmerin durch einen einschlรคgigen Tarifvertrag ohnehin einen Anspruch auf Wiedereinstellung habe.

Wo ein solcher Anspruch vorliegt, muss das Integrationsamt nicht zusรคtzlich bestรคtigen, dass das Arbeitsverhรคltnis beendet werden darf. Denn wenn die Rรผckkehr an den Arbeitsplatz nach Ablauf der Rente gesichert ist, besteht kein endgรผltiger Verlust der Beschรคftigung.

Klage vor dem Verwaltungsgericht und Antrag auf Berufung

Die Betroffene akzeptierte diese Argumentation jedoch nicht und legte Klage beim Verwaltungsgericht ein. Dort wurde die Klage als unzulรคssig abgewiesen, unter anderem deshalb, weil sie im arbeitsgerichtlichen Verfahren einen bedeutsamen Antrag zurรผckgenommen hatte. In der Folge bemรผhte sie den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof (VGH Mรผnchen), um die Zulassung der Berufung zu erreichen.

In seinem Beschluss vom 30. August 2024 (Az. 12 ZB 23.536) entschied der VGH jedoch, dass ein weiteres Verfahren keine realistische Aussicht auf Erfolg habe. Der Kern des Urteils lautet, dass ein behรถrdliches Zustimmungsverfahren entbehrlich ist, wenn ein tarif- oder betriebsvertraglicher Wiedereinstellungsanspruch vorliegt.

Wert einer Wiedereinstellungszusage bei voller Erwerbsminderungsrente

Betroffene, die eine volle Erwerbsminderungsrente beziehen, kรถnnen daraus ableiten, wie bedeutsam eine solche Zusicherung fรผr den Erhalt ihres Arbeitsplatzstatus ist. Wer im Anschluss an eine Phase der Arbeitsunfรคhigkeit oder Erwerbsminderung tatsรคchlich zurรผckkehren darf, genieรŸt einen nahezu gleichwertigen Schutz wie durch die behรถrdliche Zustimmung des Integrationsamts.

Die Vorschrift des ยง 175 SGB IX, die Kรผndigungen oder Beendigungen schwerbehinderter Arbeitsverhรคltnisse einer Zustimmungspflicht unterwirft, greift nach gรคngiger Rechtsprechung nur, wenn eine dauerhafte Beeintrรคchtigung droht. Liegt hingegen eine verbindliche Wiedereinstellungsoption vor, wirkt dies faktisch wie eine Suspendierung des Arbeitsverhรคltnisses.

Diese Sichtweise stรผtzen auch Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts, das bereits 2011 (Urt. v. 27.07.2011 โ€“ 7 AZR 402/10) betonte, dass ein Wiedereinstellungsrecht schwerbehinderte Arbeitnehmer hinreichend absichert.

Kein zusรคtzlicher behรถrdlicher Schutzmechanismus erforderlich

Im konkreten Fall folgten die Gerichte konsequent dieser Linie. Das Integrationsamt musste nicht erneut tรคtig werden, weil die Klรคgerin keinen dauerhaften Nachteil erlitt. Nach Ablauf der Rente hรคtte sie das Recht, ihre bisherige Tรคtigkeit wieder aufzunehmen. Eine zusรคtzliche Prรผfung der sozialen Auswirkungen durch die Behรถrde war somit nicht notwendig.

Auch wenn das Verwaltungsgericht die Klage zu streng abgewiesen haben sollte, wรคre das Ergebnis kaum ein anderes gewesen, da der Tarifvertrag den Bestand des Arbeitsverhรคltnisses in gewisser Weise fortschreibt.

Auswirkungen auf das Prozessrecht

Aus prozessualer Sicht zeigt dieser Sachverhalt, wie eng das materielle Arbeitsrecht und das Prozessrecht miteinander verflochten sind. Die Klรคgerin unternahm mehrere Versuche, die Entscheidung abzuรคndern, sah sich jedoch letztlich mit der Tatsache konfrontiert, dass ein Berufungsverfahren nur erรถffnet wird, wenn noch offenkundig klรคrungsbedรผrftige Fragen im Raum stehen.

Der VGH Mรผnchen wies darauf hin, dass ein langer Rechtsstreit nicht gerechtfertigt ist, wenn das Ergebnis bereits feststeht: Ist ein Wiedereinstellungsrecht garantiert, besteht kein endgรผltiger Verlust des Arbeitsplatzes, und damit fehlt ein wesentlicher Grund fรผr die Zustimmungspflicht.

Bedeutung fรผr Arbeitnehmer und Arbeitgeber

Insofern ist die Entscheidung wegweisend, weil sie einerseits den Schutz schwerbehinderter Personen betont, andererseits aber deutlich macht, dass dieser Schutz nicht immer in Form einer behรถrdlichen Zustimmung wahrgenommen werden muss.

Eine tarifvertragliche oder betriebliche Zusage, die den Arbeitsplatz nach Rentenende sichert, gilt als gleichwertiges Instrument, um eine Benachteiligung zu verhindern.

Wer also eine volle Erwerbsminderungsrente in Anspruch nimmt, sollte darauf achten, ob eine schriftlich verankerte Wiedereinstellungszusage existiert. Liegt sie vor, kann er sich wรคhrend der Rentenzeit darauf verlassen, dass er nach deren Ablauf erneut tรคtig werden darf. Gleichzeitig spart man sich das Verfahren vor dem Integrationsamt, weil sich die Existenz des Arbeitsplatzes nicht endgรผltig erledigt.