Das Sozialamt muss Häftlingen in einer Justizvollzugsanstalt (JVA) ein Taschengeld in Höhe des Barbetrages bewilligen. Der notwendige Lebensunterhalt eines Häftlings in einer Einrichtung zum Vollzug richterlich angeordneter Freiheitsentziehung umfasst analog § 27b Abs. 2 Satz 2 SGB XII auch den Barbetrag in Höhe von mindestens 27 v. H. der Regelbedarfsstufe 1 nach der Anlage zu § 28 SGB XII.
BSG Entscheidung – B 8 SO 16/16 R – bezieht sich entgegen der Auffassung vieler Sozialhilfeträger nicht lediglich auf Untersuchungsgefangene. Auf den monatlichen Barbetrag ist das gewährte Taschengeld der JVA gemäß § 82 Abs. 1 Satz 1 SGB XII als Einkommen anzurechnen.
Landessozialgericht Hessen beseitigt rechtswidrige Auffassung vieler Sozialämter in Deutschland!
Das LSG Hessen hat mit heutigem Tage bekannt gegeben, dass entgegen der Auffassung vieler Sozialämter, wonach Häftlinge in einer JVA zwar nicht nach § 21 Satz 1 SGB XII von Leistungen für den Lebensunterhalt ausgeschlossen sein, weil sie gemäß § 7 Abs. 4 Satz 2 SGB II aufgrund des Aufenthalts in einer Einrichtung zum Vollzug richterlich angeordneter Freiheitsentziehung von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen sind.
Ein Ausschluss ergibt sich nach Auffassung der Sozialhilfeträger – jedoch aus dem Nachrang der Sozialhilfe, wie er in § 2 SGB XII normiert ist.
Denn gemäß § 2 Abs. 1 SGB XII erhält Sozialhilfe nicht, wer sich allein durch Einsatz seiner Arbeitskraft seines Einkommens und seines Vermögens selbst helfen kann oder wer die erforderliche Leistung von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen erhält.
LSG Hessen gibt am heutigem Tage bekannt und widerspricht der Auffassung vieler Sozialämter in Deutschland:
Auch Häftlinge in einer Justizvollzugsanstalt haben Anspruch auf Gewährung von Hilfen zum Lebensunterhalt nach dem SGB XII für die Dauer Strafhaft in einer Justizvollzugsanstalt.
Es besteht ein Rechtsanspruch auf Taschengeld für JVA – Häftlinge in Höhe des Barbetrags.
Auf den monatlichen Barbetrag ist das gewährte Taschengeld der JVA gemäß § 82 Abs. 1 Satz 1 SGB XII anzurechnen ( LSG Hessen, Urteil v. 11.12.2024 – L 4 SO 45/23- ).
Sozialhilfe – Hilfe zum Lebensunterhalt – Untersuchungshaft – notwendiger Lebensunterhalt – angemessener Barbetrag nach § 27b Abs 2 S 2 SGB 12 – Taschengeld ist auf den Barbetrag anzurechnen – BSG Entscheidung bezieht sich entgegen der Auffassung des Sozialhilfeträgers nicht lediglich auf Untersuchungsgefangene – planwidrige Regelungslücke
Denn der notwendige Lebensunterhalt eines Häftlings in einer Einrichtung zum Vollzug richterlich angeordneter Freiheitsentziehung umfasst analog § 27b Abs. 2 Satz 2 SGB XII auch den Barbetrag in Höhe von mindestens 27 v. H. der Regelbedarfsstufe 1 nach der Anlage zu § 28 SGB XII (Anschluss an Bundessozialgericht, Urteil vom 14. Dezember 2017 – B 8 SO 16/16 R).
Dass der Gesetzgeber mit den Neuregelungen des Bundesteilhabegesetzes bewusst den Barbetrag für Personen in Einrichtungen zum Vollzug richterlich angeordneter Freiheitsentziehung nicht geregelt hat und damit keine unbewusste planwidrige Regelungslücke mehr vorliegt, finden sich in den Gesetzesbegründungen keinerlei Anhaltspunkte.
Auch durch die Regelung des § 41 des HStVollzG – Taschengeld – erfolgt keine Lückenschließung.
Der Barbetrag nach § 27b SGB XII dient der Erfüllung persönlicher Bedürfnisse, die im Rahmen einer freien, selbstgestalteten und – bestimmten Lebensführung entstehen und soll dem Hilfebedürftigen in Einrichtungen so ein Mindestmaß an Selbstbestimmung belassen, insbesondere bezüglich des soziokulturellen Bereichs (menschenwürdiges Existenzminimum).
Dem Leistungsberechtigten soll ein persönlicher Freiraum zur Deckung zusätzlicher Aufwendungen unter Berücksichtigung des Wunsch- und Wahlrechts verbleiben, um Bedarfe zu decken, die außerhalb des erforderlichen institutionellen Angebots liegen (Bundessozialgericht, Urteil vom 8. Dezember 2022 – B 8 SO 11/20 R – ).
Durch die Gewährung von Taschengeld nach § 41 HStVollzG soll zwar dem unverschuldet ohne Beschäftigung und dadurch mittelosen Strafgefangenen in entsprechender Anwendung des Rechtsgedankens der Sozialhilfe eine Mindestausstattung zur Befriedigung solcher Bedürfnisse zukommen, die über die auf Existenzsicherung ausgerichtete Versorgung durch die Anstalt hinausgeht.
Im Gegensatz zur Sozialhilfe wird das Taschengeld jedoch nicht unbedingt bedürfnisorientiert gewährt
Sondern ist den Gegebenheiten und den Bedürfnissen des Strafvollzuges entsprechend, bei Fehlverhalten entziehbar, u.a. bei schuldhafter Arbeitsverweigerung oder sonstigem nachweisbarem Verschulden.
So kann bei verschuldeter Arbeitslosigkeit die Taschengeldgewährung bis zu 12 Wochen ausgesetzt werden, § 30 Nr. 3 der Verwaltungsvorschriften zu den Hessischen Vollzugsgesetzen – HVV – (vgl. hierzu auch: Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 4. September 1995, 2 BvR 1453/94 unter Aufzeigung erforderlicher Grenzziehungen am Maßstab von Art. 3 Abs. 1 GG).
Eine willkürfreie und Art. 1 GG entsprechende Auslegung und Anwendung des Strafvollzugsrechts stellt nicht stets sicher, dass damit auch der verfassungsrechtliche Anspruch auf Gewährleistung des menschenwürdigen Existenzminimums unter den Bedingungen des Strafvollzuges gedeckt wird
§ 11 HMVollzG, durch welchen im Bereich des Maßregelvollzuges eine Lückenfüllung nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts erfolgt, sieht dementsprechend und im Gegensatz hierzu vor, dass die untergebrachte Person einen Barbetrag zur persönlichen Verfügung (Taschengeld) unter den Voraussetzungen und in der Höhe, wie es in vergleichbaren Fällen nach den Vorschriften des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch psychisch Kranken und seelisch oder geistig behinderten Personen gewährt wird, erhält.
Aber Taschengeld in der JVA ist anrechenbares Einkommen
Auf den monatlichen Barbetrag ist das gewährte Taschengeld der JVA gemäß § 82 Abs. 1 Satz 1 SGB XII anzurechnen. Hierbei handelt es sich um Geldeinkünfte im Sinne der gesetzlichen Norm.
Taschengeld in der JVA stellt keine anrechnungsfreie zweckbestimmte Leistung dar
Bezüglich des von der JVA gewährten Taschengeldes greift die Privilegierung des § 83 Abs. 1 SGB XII nicht ein.
Anrechnung der von der JVA gezahlten Corona-Hilfen auf den monatlichen Barbetrag
Keine Anrechnung der von der JVA gezahlten Corona-Hilfen auf den monatlichen Barbetrag. Bezüglich der von der JVA gezahlten Corona-Hilfen greift die Privilegierung des § 83 Abs. 1 SGB XII ein.
Fazit:
Der notwendige Lebensunterhalt in einer Einrichtung zum Vollzug richterlich angeordneter Freiheitsentziehung umfasst auch den Barbetrag in Höhe von mindestens 27 vH der Regelbedarfsstufe 1.
Auf den monatlichen Barbetrag ist das gewährte Taschengeld der JVA gemäß § 82 Abs. 1 Satz 1 SGB XII anzurechnen.
Bezüglich der von der JVA gezahlten Corona-Hilfen greift die Privilegierung des § 83 Abs. 1 SGB XII ein.
Praxistipp
LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil v. 16.02.2018 – L 8 SO 69/15 –
Auch Untersuchungshäftlinge haben Anspruch auf Sozialhilfeleistungen – Barbetrag – Taschengeld
1. Der Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt zur Deckung des soziokulturellen Existenzminimums bemisst sich für vorläufig im Maßregelvollzug Untergebrachte nach § 27b Abs. 2 Satz 2 SGB XII in analoger Anwendung.
2. Mit dem Barbetrag zur Deckung des weiteren notwendigen Lebensunterhalts in stationären Einrichtungen nach § 27b Abs. 2 SGB XII soll der Leistungsberechtigte die persönlichen Bedürfnisse des täglichen Lebens bestreiten, d.h. Aufwendungen für Körperpflege und Reinigung, für die Instandhaltung der Schuhe, Kleidung und Wäsche in kleinerem Umfang sowie für die Beschaffung von Wäsche und Hausrat von geringem Anschaffungswert abgegolten werden.
3. In Rechtsprechung und Literatur ist es allgemein anerkannt, dass Personen, die sich in Einrichtungen zum Vollzug richterlich angeordneter Freiheitsentziehung aufhalten, einen sozialhilferechtlichen Anspruch auf Gewährung eines Barbetrags bzw. Taschengeldes haben können, soweit sie die entsprechenden Leistungen nicht von der Einrichtung selbst erhalten.
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Detlef Brock ist Redakteur bei Gegen-Hartz.de und beim Sozialverein Tacheles e.V. Bekannt ist er aus dem Sozialticker und später aus dem Forum von Tacheles unter dem Namen “Willi2”. Er erstellt einmal wöchentlich den Rechtsticker bei Tacheles. Sein Wissen zum Sozialrecht hat er sich autodidaktisch seit nunmehr 17 Jahren angeeignet.