Sozialhilfe: Keine eheähnliche Lebensgemeinschaft bei psychischer Erkrankung

Lesedauer 3 Minuten

Eine eheähnliche Lebensgemeinschaft im Sinne des SGB XII ( § 43 Abs. 1 Satz 2 SGB XII ) ist zu verneinen, wenn der subjektive Tatbestand im Sinne eines wechselseitigen Willens, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen, fehlt.

Konstitutive Voraussetzung einer eheähnlichen Lebensgemeinschaft ist in Anlehnung an § 1353 Abs.1 Satz 2 BGB – die Wechselbezüglichkeit des Einstandswillens füreinander.

Daran fehlt es aber, wenn der Partner aufgrund seiner psychischen Erkrankung nicht in der Lage ist, Verantwortung für eine andere Person zu übernehmen und einen entsprechenden Willen zu bilden.

Bei ihm liegt eine ausgeprägte kombinierte Persönlichkeitsstörung mit paranoiden, dissozialen und instabilen Anteilen vor (so aktuell ein Urteil – zu eheähnlichen Gemeinschaften in der Sozialhilfe).

Liegt keine eheähnliche Gemeinschaft vor, war der Antragsteller bedürftig im Sinne des SGB XII und ihm waren seine tatsächlichen Mietkosten nach der Rechtsprechung des BSG als Einzelperson zu gewähren ( Orientierungssatz Detlef Brock ).

Sozialhilfe – Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung – Einkommen und Vermögen – eheähnliche Gemeinschaft

Keiner Entscheidung bedurfte es, ob eine eheähnliche Gemeinschaft auch dann (weiter-) besteht, wenn zunächst ein wechselseitiger Einstandswille vorhanden ist, einer der Partner dann jedoch aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr in der Lage ist, einen solchen Willen zu bilden

Denn der Antragsteller war bereits zum Zeitpunkt des Zusammenziehens vor vielen Jahren so schwer an der kombinierten Persönlichkeitsstörung erkrankt, dass er einen Einstandswillen nicht mehr bilden konnte.

Für einen Fortbestand des wechselseitigen Einstandswillens spricht allerdings, dass bei Eheleuten die Erkrankung eines Partners und die fehlende Möglichkeit zur Willensbildung, z.B. bei einer Demenzerkrankung, nicht zu einem Getrenntleben führt.

Selbst bei einer räumlichen Trennung der Eheleute, zB aufgrund der Heimaufnahme eines Ehepartners, bleibt die eheliche Gemeinschaft bestehen (Urteil des Senates vom 18.02.2016 – L 9 SO 128/14; LSG Saarland Urteil vom 04.04.2019 – L 11 SO 2/18).

Dies spricht einerseits im Hinblick auf § 20 SGB XII dafür, auch bei eheähnlichen Gemeinschaften von einem Fortbestehen auszugehen, wenn einer der Partner aus gesundheitlichen Gründen keinen Einstandswillen mehr bilden kann (vgl. LSG Berlin-Brandenburg Beschluss vom 02.04.2009 – L 23 SO 37/09 B ER; abweichend insoweit LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 09.04.2020 – L 8 SO 270/19 B ER).

Anspruch auf Übernahme der tatsächlichen Kosten für Unterkunft und Heizung – Abstellung auf Einzelperson bei Leben in der Wohngemeinschaft

Denn wenn ein Leistungsberechtigter nach dem SGB XII – wie hier – nicht in einer Einstandsgemeinschaft nach § 19 Abs. 1 oder 2 SGB XII bzw. einer gemischten Bedarfsgemeinschaft nach § 7 Abs. 3 SGB II lebt, sondern in einer bloßen Wohngemeinschaft, ist bei der Bestimmung der angemessenen Kosten der Unterkunft nach der Produkttheorie allein auf ihn als Einzelperson abzustellen.

Auf das Vorliegen einer Haushaltsgemeinschaft kommt es nicht an (zum SGB II BSG Urteile vom 19.5.2009 – B 8 SO 8/08 R und vom 18.6.2008 – B 14/11b AS 61/06 R; zum SGB XII LSG Hessen Beschluss vom 28.07.2011 – L 7 SO 51/10 B ER).

Nach der Rechtsprechung des Senats besteht eine subjektive Unmöglichkeit zur Kostensenkung, wenn ohne Hilfe bei der Wohnungssuche eine angemessene Unterkunft nicht gefunden werden kann

Der Antragsteller ist aufgrund seiner Erkrankung nicht in der Lage, eine andere Wohnung anzumieten, er kann nicht allein leben. Es kommt nicht darauf an, ob die Zeugin in der Lage gewesen wäre, eine abstrakt angemessene Wohnung für sich und den Kläger zu finden.

Offen gelassen hat das Gericht

Ob ein etwaiges Verschulden innerhalb von Einstandsgemeinschaften nach § 27 Abs. 2 SGB XII zugerechnet werden muss.

Jedenfalls die Obliegenheit zur Kostensenkung trifft gem. § 35 Abs. 2 Satz 1 und 2 SGB XII nur Personen, deren Einkommen und Vermögen nach § 27 Abs. 2 zu berücksichtigen sind.

Nach § 27 Abs. 2 SGB XII sind bei nicht getrenntlebenden Ehegatten oder Lebenspartnern das Einkommen und Vermögen beider Ehegatten oder Lebenspartner gemeinsam zu berücksichtigen.

Gleiches gilt für Personen, die in eheähnlicher oder lebenspartnerschaftsähnlicher Gemeinschaft leben, denn diese dürfen gem. § 20 SGB XII hinsichtlich der Voraussetzungen sowie des Umfangs der Sozialhilfe nicht bessergestellt werden als Ehegatten.

Keine eheähnliche Gemeinschaft – somit Anspruch auf Mietkostenübernahme in tatsächlicher Höhe

Zwischen dem Kläger und der Zeugin bestand jedoch weder eine Ehe, noch eine eheähnliche Gemeinschaft, so dass die tatsächlichen Mietkosten zu bewilligen waren.

Fazit:

1. Zu den Voraussetzungen einer eheähnlichen Gemeinschaft im Sinne von §§ 20 und 43 Abs. 1 SGB XII

2. Es bestehen erhebliche Zweifel an der erforderlichen Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft, wenn einer der Partner wegen schwerer psychischer Erkrankung zu einer Willensbildung dahingehend, für den anderen Partner Verantwortung zu übernehmen und einzustehen, nicht in der Lage ist.

3. Wenn ein Leistungsberechtigter nach dem SGB XII – wie hier – nicht in einer Einstandsgemeinschaft nach § 19 Abs. 1 oder 2 SGB XII bzw. einer gemischten Bedarfsgemeinschaft nach § 7 Abs. 3 SGB II lebt, sondern in einer bloßen Wohngemeinschaft, ist bei der Bestimmung der angemessenen Kosten der Unterkunft nach der Produkttheorie allein auf ihn als Einzelperson abzustellen.

Praxistipp

LSG BW, Urt. v. 14.07.2021 – L 2 SO 2114/19 –

Zur Frage, wann eine Einstehens- und Verantwortungsgemeinschaft und damit eine eheähnliche Lebensgemeinschaft im Sinne der §§ 43 Abs 1 S 2 und 20 SGB XII oder nur eine “Alters-Wohngemeinschaft” vorliegt.