Auch wenn eine Behörde Sozialleistungen zu Unrecht auszahlt hat sie unter Umständen kein Recht, diese Leistungen zurückzufordern. Das gilt dann, wenn ein Fehler innerhalb der Behörde die Ursache der weiter laufenden Zahlungen ist und die Behörde das Ermessen bei der Erstattungsforderung falsch anwendet. So entschied das Bundessozialgericht am 18.12.2024. (Az: B 8 SO 1/24 R)
Inhaltsverzeichnis
Behörde zahlt trotz fehlender Unterlagen
Die Betroffene bezog monatliche Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt. Währenddessen zog sie um und heiratete, ohne dies der Behörde zu melden. Die Behörde prüfte ihre Ansprüche auf Leistungen und wies die Frau darauf hin, dass erst entschieden werden könne, welche Leistungen sie bekäme, wenn die aktuellen Unterlagen eingegangen seien. Die Betroffene reagierte nicht.
Die Behörde überwies trotzdem weiter die monatlichen Leistungen aufgrund eines Fehlers des zuständigen Sachbearbeiters. Dieser hatte versäumt, in der Datenverarbeitung ein Häkchen zu entfernen.
Als die Behörde davon erfuhr, nahm sie rückwirkend den Bewilligungsentscheid zurück und forderte eine Rückzahlung in Höhe von rund 15.000 Euro.
Die Klage hat teilweise Erfolg
Die Betroffene klagte durch mehrere Instanzen, am Ende erfolgreich. Das Schleswig-Holsteinische Landessozialgericht hob den Rückforderungsbescheid teilweise auf und begründete dies damit, dass die Behörde Ermessen fehlerhaft ausgeübt hätte, denn der Fehler der Behörde hätte im Ermessen einbezogen werden müssen. (L 9 SO 19/19).
Die Sozialbehörde akzeptierte die Entscheidung nicht und legte vor dem Bundessozialgericht Revision ein.
Das Bundessozialgericht gibt der Betroffenen Recht
Das Bundessozialgericht wies die Revision zurück und bestätigte die Entscheidung der vorherigen Instanz. Das Landessozialgericht hätte zu Recht angenommen, dass die Erstattungsforderung für den streitigen Zeitraum rechtswidrig sei. (B 8 SO 1/24 R)
Die Betroffene hätte zwar in dieser Zeit zu Unrecht Leistungen erhalten, doch das Ausüben von Ermessen für die Erstattung sei fehlerhaft gewesen. Die Auszahlungen der zu Unrecht bezogenen Leistungen beruhe auf einem Versäumnis innerhalb der Behörde.
Mangelnde interne Kontrollmechanismen hätten zu den Zahlungen über einen Zeitraum von vier Jahren geführt. Es handle sich um einen groben behördlichen Fehler. Laut Paragraf 50 Absatz 2 hätte dieser in die Ermessensabwägung eingestellt werden müssen, und dieser Ermessensfehler allein führe zur Rechtswidrigkeit der Erstattungsforderung.
Lesen Sie auch:
- Gesetzesänderungen im Sozialrecht 2025: Das kommt jetzt auf uns Alle zu
- 3 Kuriositäten im Sozialrecht: Blinde Autofahrer und Arbeitslosengeld im Vollzeitjob
Was bedeutet Ermessen?
Ermessen bedeutet bei einer Behörde, dass diese zwischen verschiedenen möglichen Handlungen wählen kann – im Unterschied zu gebundenen Verwaltungsentscheidungen, bei denen die Behörde einen bestimmten Verwaltungsakt erlassen muss.
Dabei gibt es sowohl ein Erschließungsermessen, bei dem die Behörde entscheidet, ob sie überhaupt tätig wird wie ein Auswahlermessen, bei dem es nicht um das Ob, sondern um das Wie geht.
Die Behörde ist zwar grundsätzlich ermächtigt, nach eigenem Ermessen zu entscheiden, muss dabei aber die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einhalten.
Wann schreiten Gerichte ein?
Gerichte können prüfen, ob ein Verwaltungsakt rechtswidrig ist, weil entweder die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten wurden oder weil von dem Ermessen in einer Art Gebrauch gemacht wurde, die von dem Ermessen nicht gedeckt ist.
Ermessensfehler
Behörden können beim Ermessen verschiedene Fehler begehen, und in diesem Fall ging es um einen Ermessensfehlgebrauch. Das bedeutet, dass die Behörde nicht alle Tatsachen ermittelt, diese falsch verwertet oder falsch gewichtet, die für die Entscheidung erheblich sind.
Hier kam das Bundessozialgericht zu dem Schluss, dass die Sozialbehörde einen groben eigenen Fehler ignorierte, der aber wesentlich für die Abwägung gewesen wäre. Durch diesen Ermessensfehler ist die Forderung einer Rückerstattung rechtswidrig.
Was spricht für die Betroffene?
Es ist denkbar, dass die betroffene Frau den entsprechenden Hinweis der Sozialbehörde übersah oder ihn nicht zu Gesicht bekam und wegen der weiterhin laufenden Zahlungen überhaupt nicht auf die Idee kam, dass irgend etwas verkehrt sei.
Ebenso kann es sein, dass sie zwar die Aufforderung der Behörde, die aktuellen Unterlagen einzureichen, zur Kentnnis nahm, aber davon ausging, dass die Angelegenheit sich erledigt hätte, weil sie weiterhin die vorherigen Leistungen erhielt.
Nach der nicht erfolgten Reaktion der Betroffenen hätte die Behörde die Zahlungen einstellen müssen, bis der Sachverhalt geklärt war. Ein Fehler eines Mitarbeiters führte dazu, dass die Zahlungen stattdessen weiterliefen.
- Über den Autor
- Letzte Beiträge des Autors
Dr. Utz Anhalt ist Buchautor, Publizist, Sozialrechtsexperte und Historiker. 2000 schloss er ein Magister Artium (M.A.) in Geschichte und Politik an der Universität Hannover ab. Seine Schwerpunkte liegen im Sozialrecht und Sozialpolitik. Er war wissenschaftlicher Mitarbeiter bei Dokumentationen für ZDF , History Channel, Pro7, NTV, MTV, Sat1.